Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Papst

691

Papst (Geschichte des Papsttums bis 1314).

von allem Verband mit Staat und Familie abgelöst und zu einem großen Heer von päpstlichen Beamten umgewandelt. Der P. ist nicht bloß die höchste, sondern auch die einzige ordentliche Würde in der Kirche, alle übrigen sind nur ein Ausfluß von ihm; er ist also nicht bloß Nachfolger des Petrus, sondern Stellvertreter Christi auf Erden. Von dieser Unterwürfigkeit legten alle Kirchenbeamten gleich bei ihrer Einführung Zeugnis ab: die Erzbischöfe holten in Rom das Pallium, die Bischöfe erhielten von Rom ihre Konfirmation, und während ihrer Amtsführung ward ihnen das Unterthänigkeitsverhältnis dadurch stets ins Gedächtnis zurückgerufen, daß alle einzelnen Rechte des Bischofs und Erzbischofs auch vom P. in ihrem Sprengel ausgeübt wurden, er sich als Ordinarius, sie aber als Delegierte hinstellte. Die höchste Entscheidung in kirchlichen und Ehesachen wohnte fortan dem römischen Stuhl bei. Was sonst jedem Bischof in seiner Diözese freistand, und zwar nur ihm allein: von Verbrechen zu absolvieren, von Strafen zu dispensieren, die niedern Pfründen und Benefizien zu verleihen, Heilige zu kanonisieren, kirchliche Auflagen auszuschreiben, dies geschah jetzt ebenfalls nur kraft von Rom erhaltenen Auftrags. Durch die Aussendung von päpstlichen Legaten mit allgemeiner Vollmacht zur Visitation der Kirche setzte Gregor VII. seiner hierarchischen Autokratie die letzte Spitze auf. Wohin ein solcher Legat kam, war sofort jedes Recht des Ortsbischofs erloschen, und die Rechtspflege wie die Administration geschah im Namen des Papstes. Die päpstliche Universalmonarchie, wie sie während des 12. und 13. Jahrh. faktisch bestand, vielleicht die großartigste Realisierung einer Idee, welche je zur Darstellung gekommen ist, fand ihre Hauptträger und Vertreter nach Gregor VII. in Hadrian IV. und Alexander III. zu Friedrichs I. Zeit, dann in dem größten aller Päpste, dem ersten wirklichen Souverän des Kirchenstaats, Innocenz III., nach ihm in Gregor IX. und Innocenz IV., den furchtbaren Gegnern Friedrichs II., endlich in Bonifacius VIII., welcher die Grundsätze der Hierarchie in ihrer äußersten Konsequenz aussprach, aber auch durch einen überlegenen Gegner, König Philipp IV. von Frankreich, gestürzt wurde. Die Kaiser hatten sich beugen müssen; England, Polen, Ungarn, Bulgarien, Aragonien, Sizilien waren dem päpstlichen Stuhl zinspflichtige Königreiche; hätten die Kreuzzüge, an sich schon ein Erweis päpstlicher Macht über die Gemüter, Erfolg gehabt, so wäre auch der Orient tributpflichtig geworden. Die Könige der Erde nannten sich Söhne des Papstes und waren bei den schlechten Verfassungsverhältnissen ihrer Länder, bei der Furcht der Völker vor dem Interdikt, bei der Empörungslust der Vasallen gegen Könige, deren Recht u. Macht fraglich zu werden anfing, der Obervormundschaft des Papstes fast rettungslos verfallen. Die Päpste der fünften Periode (im Katalog der Päpste 163-201) sind:

^[Liste]

Gregor VII. (bis 1085),

Viktor III. (1086-1087),

Urban II. (1088-1099),

Paschalis II. (bis 1118),

Gelasius II. (bis 1119),

Calixtus II. (bis 1124),

Honorius II. (bis 1130),

Innocenz II. (bis 1143),

Cölestin II. (bis 1144),

Lucius II. (bis 1145),

Eugen III. (bis 1153),

Anastasius IV. (bis 1154),

Hadrian IV. (bis 1159),

Alexander III. (bis 1181),

Lucius III. (bis 1185),

Urban III. (bis 1187),

Gregor VIII. (1187),

Clemens III. (bis 1191),

Cölestin III. (bis 1198),

Innocenz III. (bis 1216),

Honorius III. (bis 1227),

Gregor IX. (bis 1241),

Cölestin IV. (1241),

Innocenz IV. (1243-54),

Alexander IV. (bis 1261),

Urban IV. (bis 1264),

Clemens IV. (1265-68),

Gregor X. (1271-76),

Innocenz V. (1276),

Hadrian V. (1276),

Johann XXI. (bis 1277),

Nikolaus III. (bis 1280),

Martin IV. (1281-85),

Honorius IV. (bis 1287),

Nikolaus IV. (1288-92),

Cölestin V. (1294),

Bonifacius VIII. (bis 1303),

Benedikt XI. (bis 1304),

Clemens V. (bis 1314).

Viele dieser Päpste hatten übrigens Gegenpäpste zu bekämpfen, welche meist die Sache der Kaiser vertraten. So standen sich Alexander III. und Viktor IV. gegenüber, jener durch König Wilhelm von Sizilien, dieser durch Kaiser Friedrich unterstützt. Auch nach dem Tod Viktors (1164) wählte die kaiserliche Partei neue Gegenpäpste: Paschalis, Calixtus und Innocenz; aber Alexander behauptete sich.

Die sechste Periode reicht von der Verlegung des päpstlichen Stuhls nach Avignon bis zur Reformation (1305-1517) und bezeichnet die Zeit des tiefsten Verfalls des Papsttums. Clemens V. war durch französische Unterstützung zum P. erhoben worden und stand fortwährend unter französischer Gewalt, so daß er, wie seine Nachfolger, nur gegen andre Mächte, namentlich gegen den Kaiser, die alte Papstsprache anwenden konnte. Der P. wurde zum Werkzeug der Eifersucht, die Frankreich gegen Deutschland nährte, herabgewürdigt; seine ganze Stellung aber ward noch verächtlicher dadurch, daß das Streben der päpstlichen Kurie im Grund nur noch auf Geldgewinnung gerichtet war. Nach der Entfernung von Rom hörte bald der Zuschuß aus dem dortigen Patrimonium Petri auf, und die kostspielige Hofhaltung war allein auf Finanzspekulationen bei den Gläubigen angewiesen. Die geistlichen Benefizien und Pfründen wurden jetzt von den Päpsten ebenso verhandelt, wie es unter der Herrschaft der von den Kaisern und Fürsten geübten Simonie geschehen war. Unter stets neuen Vorwänden (Ablaß von Sünden, Steuer zum Türkenkrieg, Taxen und Annaten, Spolien, Zehnten, Vakanzen) wurde das Abendland vom P. gebrandschatzt. Die Sitten waren nirgends und nie tiefer gesunken als am päpstlichen Hof zu Avignon. Vermehrt wurden diese Übelstände und jene Erpressungen, als beim Beginn des päpstlichen Schismas die Haushaltungen verdoppelt wurden. Das Schisma entstand, als nach Gregors XI. Tod 1378 Urban VI. in Rom gewählt wurde, wodurch die 70jährige babylonische Gefangenschaft der Kirche ihr Ende nahm, die meisten Kardinäle dann aber in Avignon einen andern Papst, Clemens VII., auf den Stuhl Petri erhoben. Das Abendland zerfiel in zwei Hälften, und auch nach dem Absterben der Rivalen war an keine Vereinigung zu denken; denn sofort beeilte sich jede Kardinalpartei, durch die Wahl eines Nachfolgers sich einen neuen Stützpunkt zu verschaffen. So kam es, daß 40 Jahre lang kein allgemein anerkannter P. zu finden war, und ebenso lange vernahm man die Bannflüche des einen Papstes gegen den andern. Gleichzeitig konsolidierten sich die Staatsgewalten, besonders in Frankreich, immer selbstbewußter und stieg zugleich die Autorität der weltlichen Wissenschaften. Nur schwer vermochten sich jetzt die Päpste in ihrer Herrschermacht mehr zu behaupten. Eine Krise nahte; man rief nach "Reform an Haupt und Gliedern", und bald fand man, nach dem Vorgang der Universität Paris, nur in einem allgemeinen Konzil die Möglichkeit der Rettung (s. Episkopalsystem und Konzil). Zwar zu Pisa 1409, wo man einen neuen P. in der Person Alexanders V. einsetzte, noch ehe man die allgemein ersehnte Reform der Kirche in Angriff genommen hatte, gewann man, da auch die abgesetzten Päpste nicht von ihren Posten