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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Sachsen

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Sachsen (Geschichte des Königreichs bis 1849).

nur die Befürchtungen der Leipziger Kaufmannschaft, sondern übertraf alle Erwartungen und fand in dem Bau der Leipzig-Dresdener Eisenbahn (7. April 1839 eröffnet) seine Bestätigung.

Nach dem Tode des Königs Anton folgte Friedrich August II. (1836-54). Unter ihm setzten Regierung und Landtag anfangs ihre gesetzgeberische Thätigkeit, welche durchgreifende Reformen vermied, aber innerhalb des Rahmens der ständischen Verfassung und des büreaukratischen Verwaltungsorganismus die bessernde Hand anzulegen suchte, fort. 1843 aber wurde der Minister v. Lindenau durch den Einfluß der Aristokratie verdrängt und durch Könneritz ersetzt, der in ein reaktionäreres Fahrwasser einlenkte, die Presse maßregelte, Schriftsteller auswies u. dgl. Hierdurch wurde die liberale Strömung, welche in ganz Deutschland das Bürgertum beherrschte, verstärkt und die von Braun geleitete Opposition in der Zweiten Kammer zu schärferm Auftreten angespornt. Als nun die Regierung auch gegen die religiöse Bewegung der Deutschkatholiken und Lichtfreunde einschritt, vermutete die mißtrauische öffentliche Meinung dahinter die Spuren einer geheimen jesuitischen Propaganda, deren Haupt der Prinz Johann, Bruder des Königs, sei. Daher kam es 12. Aug. 1845 bei einer Revue, die der Prinz Johann über die Leipziger Kommunalgarde abhielt, zu einem Tumult, bei welchem das Militär voreilig feuerte und acht Menschen tötete. Dies rief eine unbeschreibliche Erbitterung hervor und reizte die Opposition in der Kammer zu verstärkten Angriffen auf das Ministerium. Nach dem Ausbruch der Februarrevolution bestürmten die Behörden der größern Städte, voran Leipzig, den König mit Adressen, in denen eine völlige Änderung des Regierungssystems gefordert wurde. Das Ministerium suchte die Bewegung erst durch einzelne Zugeständnisse zu beschwichtigen, nahm aber, als dies vergeblich war, 13. März 1848 seine Entlassung, und Braun bildete ein neues, dessen hervorragendste Mitglieder v. d. Pfordten, Georgi und Oberländer waren, und das 16. März Erfüllung aller liberalen Forderungen verhieß. Aber schon waren nicht mehr die gemäßigten Liberalen, sondern die radikalen Demokraten die Herren der Lage, wie die Ergänzungswahlen zum Landtag und die Wahlen für das Frankfurter Parlament bewiesen. Im Landtag zwar, der am 18. Mai eröffnet wurde, begnügte sich die Opposition damit, daß die Regierung in der Frage der Verfassung und der Justizreform nur die allgemeinen Grundsätze festsetzte und über die Presse, das Vereins- und Versammlungsrecht und über ein neues Wahlrecht für beide Kammern Gesetzentwürfe vorlegte, die angenommen wurden; das neue Wahlgesetz schrieb allgemeine, direkte Wahlen, für die Erste Kammer mit einem Zensus, vor. Im Land aber herrschte die demokratische Partei und siegte 1849 bei den Wahlen für den ersten nach dem neuen Gesetz zu wählenden Landtag fast ausnahmslos; die Ungeschliffenheit, Selbstüberhebung und Verblendung, womit sie in demselben bei den Debatten auftrat, verschafften dem Landtag den Namen des Unverstandslandtags. Ein erbliches und unverantwortliches Oberhaupt für das neuzuschaffende Deutsche Reich verwarf die Mehrheit durchaus, verlangte aber die sofortige Verkündigung der deutschen Grundrechte. An einer erfolgreichen Wirksamkeit verzweifelnd, reichte das Ministerium Braun seine Entlassung ein (Februar 1849) und wurde durch ein Übergangsministerium ersetzt, an dessen Spitze der Oberappellationsrat Held stand, und in das v. Beust, Weinlig und v. Rabenhorst eintraten. Dies gewährte die Publikation der Grundrechte (2. März) und die ständische Initiative, befriedigte aber damit noch nicht die Radikalen, welche besonders wegen der Nichtverhinderung des Todes von R. Blum die Abberufung des sächsischen Gesandten in Wien verlangten. Während die Linke früher die monarchische Reichsverfassung verworfen hatte, verlangte sie nun, nachdem der König von Preußen die Kaiserkrone abgelehnt, plötzlich die sofortige Anerkennung der Verfassung, und die Kammern beschlossen demgemäß, sowie daß über den 30. April hinaus die Steuern nicht forterhoben werden dürften. Dies gab dem durchaus partikularistisch gesinnten König den erwünschten Vorwand, 30. April die Kammern aufzulösen. Nun erhielten die Deputationen von Leipzig und andern Städten, welche die Anerkennung der Reichsverfassung forderten, vom König abschlägliche Antwort. Als deshalb Held und Weinlig ihre Entlassung gaben, wurde Zschinski, an die Spitze eines neuen Ministeriums berufen, in welches Beust und Rabenhorst übertraten (2. Mai).

Das Verbot einer Demonstration der Dresdener Bürgerwehr für die Reichsverfassung, welches die neuen Minister erließen, gab 3. Mai die Losung zum Aufstand (Dresdener Maiaufstand). Ein tobender Volkshaufe griff das Zeughaus an, wurde aber zweimal blutig zurückgewiesen. Jetzt wurden die Sturmglocken geläutet, überall feste Barrikaden errichtet und auf dem Rathaus ein Sicherheitsausschuß eingesetzt, welcher die Bürgerwehren andrer Städte und Freischaren nach Dresden entbot. Die Regierung verfügte nur über 1900 Mann Truppen, da der größere Teil des sächsischen Heers in Schleswig-Holstein stand, wo die Sachsen im Verein mit den Bayern 13. April die Düppeler Schanzen gestürmt hatten. Sie beorderte sofort alle erreichbaren Truppenteile nach der Hauptstadt und wandte sich um Hilfe nach Berlin. Inzwischen aber eroberten die Aufständischen die ganze Altstadt mit Ausnahme des Zeughauses und des Schlosses. Daher begab sich 4. Mai der König nebst seiner Familie und den Ministern nach dem Königstein. Auf die Kunde hiervon wurde eine provisorische Regierung, aus den Abgeordneten Tzschirner, Heubner und Todt bestehend, gebildet, welche die Anerkennung der Reichsverfassung als ihr Ziel bezeichnete und sich unter den Schutz der Frankfurter Nationalversammlung stellte, unter der aber die heimlichen Urheber des Aufstandes, die internationalen Revolutionäre, Bakunin an der Spitze, die rote Fahne zu entfalten wagten. Da die Erhebung nun einen republikanisch-sozialistischen Charakter annahm, zog sich der Bürgerstand von ihr zurück; von den aus andern Städten herbeigeeilten Bürgerwehren kehrten die meisten, als sie den wirklichen Stand der Dinge erfuhren, wieder um und halfen in ihrer Heimat die Ordnung aufrecht zu erhalten.

Inzwischen schöpfte die Regierung wieder Mut und Kraft; die Minister v. Beust und v. Rabenhorst kehrten nach der Neustadt zurück, aus Leipzig und Chemnitz trafen Verstärkungen ein, und aus Berlin erschien, als Vorbote weiterer entscheidender Hilfe, ein Bataillon Preußen. Am Morgen des 6. Mai ward der Kampf erneuert. Drei Tage lang verteidigten sich die Aufständischen hinter ihren ausgezeichnet angelegten Barrikaden; als sie durch Anzündung des alten Opernhauses das Schloß in Brand zu stecken suchten, ging ein Zwingerpavillon mit der Naturaliensammlung in Flammen auf. Nach einem hartnäckigen und blutigen Straßen- und Häuserkampf erstürmten die Truppen am Morgen des 9. Mai, noch vor Tagesanbruch, den Postplatz und die große