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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Sanskrit

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Sanskrit (Litteratur).

nebst der dazu gehörigen theologischen Litteratur fast durchaus in Nordindien entstanden, und ihre ältesten Bestandteile gehören der Zeit an, als die S. redenden Stämme noch nicht über das Gebiet des Pandschab hinaus vorgedrungen waren, etwa 2000-1500 v. Chr. Mit der Kultur und religiösen Litteratur der arischen Inder verbreitete sich aber das S. nicht nur schon früh über ganz Indien, sondern es wurde auch durch den Buddhismus einerseits nach Tibet, China und bis nach Japan verpflanzt, wo kürzlich durch die Bemühungen Max Müllers Sanskrithandschriften entdeckt worden sind, anderseits gelangte es nebst dem Pâli nach Hinterindien. Das S. der Wedas büßte im Lauf der Zeit manche seiner besonders im Verbum höchst zahlreichen Beugungen ein oder schliff sie ab, und durch diese Vereinfachung der Grammatik und entsprechende Änderungen des Wortschatzes entstand schließlich aus dem wedischen das sogen. klassische S., zu dem übrigens schon in den spätern wedischen Werken manche Übergänge vorliegen. Das klassische S. erfuhr dagegen, außer in Bezug auf den Stil, der einer stets wachsenden Künstelei verfiel, die Satzbildung durch unförmliche Komposita verdrängte und die noch übrigen alten Verbalformen außer Gebrauch setzte, keine Veränderungen mehr und hält noch heutzutage genau an den Normen fest, die der berühmte indische Grammatiker Pânini (s. d.) mehrere Jahrhunderte vor Christo dafür aufstellte. Dagegen entwickelten sich aus dem wedischen S. zunächst das buddhistische Pâli und das Prâkrit (s. d.), dessen älteste bekannte Überreste dem 3. Jahrh. v. Chr. angehören, weiterhin die modernen indischen Volkssprachen (s. Indische Sprachen). Das S. ist eine sehr wohllautende, vokalreiche Sprache; neuere Berechnungen haben ergeben, daß das a, der klangvollste aller Vokale, der Häufigkeit seines Vorkommens nach ungefähr 28 Proz. aller überhaupt vorkommenden Laute ausmacht. Das Hauptinteresse des S. liegt aber, abgesehen von dem Reichtum seiner Litteratur, für die europäische Wissenschaft in seiner ungemeinen Wichtigkeit für die älteste Geschichte der indogermanischen Sprachen, unter denen es an Altertümlichkeit, an Fülle der grammatischen Formen und an etymologischer Durchsichtigkeit der Wortbildungen obenan steht. So können, während nach Curtius das Griechische von einem Verbum 507, das Lateinische 143, das Gotische nur 38 Formen bilden kann, im wedischen S. von einem gebräuchlichen Verbum allein im Präsens, und zwar mit Ausschluß der Partizipien und Infinitive, 336 Formen gebildet werden, und die ganze Anzahl der möglichen Formen geht weit in die Tausende hinein. In ähnlicher Weise haben das Substantivum, Adjektivum und Pronomen je acht Kasus und neben der Einzahl und Mehrzahl auch eine Zweizahl (Dualis), während das Latein sechs Kasus, aber keinen Dualis, das Griechische einen Dualis, aber nur fünf Kasus hat. Vom Standpunkt der einzelnen Sprache aus betrachtet, ist der Ursprung der meisten Wortstämme in den europäischen Sprachen dunkel; die Vergleichung des S. hat z. B. gezeigt, daß Vater (pater) ursprünglich "Beschützer", Bruder (frater) "Erhalter" heißt u. dgl. Die aus einem semitischen Alphabet entsprungene, aber sehr eigentümlich entwickelte Schrift, mit der das S. gewöhnlich auch in Europa immer geschrieben und gedruckt wird, heißt Devanâgarî (s. d.); vgl. die Schrifttafel bei Artikel "Schrift". Die sehr zahlreichen europäischen Grammatiken des S. lassen sich in zwei Klassen einteilen, je nachdem sie sich genau an das System und die Regeln der indischen Grammatiker anschließen oder eine mehr den europäischen Anschauungen entsprechende Methode zur Anwendung bringen. Zu der ersten Klasse gehören namentlich die Grammatiken von Colebrooke (Kalk. 1805), Benfey ("Vollständige Grammatik der Sanskritsprache", Leipz. 1852; in kürzerer Fassung, das. 1855), Max Müller (deutsch von Kielhorn und Oppert, Kiel 1868), Kielhorn (deutsch, Berl. 1888); zu der letztern unter andern die Grammatik von Bopp (4. Aufl., das. 1868), Kellners "Kurze Elementargrammatik" (2. Aufl., Leipz. 1877) und "Praktisches Elementarbuch" (das. 1887), das ausführliche, vortreffliche Werk von Whitney (deutsch von Zimmer, das. 1879), Bühlers "Leitfaden für den Elementarkursus des S." (Wien 1882) und Geigers "Elementarbuch der Sanskritsprache" (Münch. 1888). Sehr beliebt zur ersten Einführung ins S. ist auch das eine Chrestomathie mit Glossar enthaltende "Elementarbuch der Sanskritsprache" von Stenzler (5. Aufl., Bresl. 1885). Ein meisterhaftes ausführliches Wörterbuch lieferten Böhtlingk u. Roth (Petersb. 1853-1875, 7 Bde.), ein kürzeres haben Böhtlingk (Petersb. 1879 ff.) und Cappeller (Straßb. 1886 ff.) begonnen. Anthologien lieferten namentlich Lassen (3. Aufl., Bonn 1868) und Böhtlingk (2. Aufl., Petersb. 1877).

Die Sanskritlitteratur.

Auch die Sanskritlitteratur zerfällt in zwei der Zeit und dem Wesen nach voneinander verschiedene Epochen: die Periode des Weda und die des klassischen S. Genaue chronologische Daten für die Abgrenzung der beiden Perioden lassen sich bei der großen Unsicherheit der indischen Chronologie überhaupt nicht geben; dazu kommt, daß wir von der zweiten Periode aus allen Litteraturzweigen nur die Werke übrig haben, die den Höhepunkt der ganzen Gattung bezeichnen, so daß wir in die Entwickelung derselben gar keinen Blick thun können. In der ersten Periode werden alle Gegenstände nur in ihrer Beziehung auf rituelle Vorgänge behandelt; erst in der zweiten treten wissenschaftliche und künstlerische Gesichtspunkte hervor. Über die erste Periode s. Weda. Der Anfang der zweiten Periode wird ins 5. oder 6. Jahrh. v. Chr. gesetzt werden müssen, als die Volksdialekte sich immer selbständiger zu entwickeln begannen und die Sprache, in welcher die Brâhmana und Sûtra der wedischen Periode abgefaßt waren, die sogen. Bhâschâ, immer mehr ausschließliches Eigentum der Gebildeten und schließlich eine nur zu litterarischen Zwecken verwendete tote Sprache wurde, welche noch heute in Indien zu schriftlicher Darstellung gebraucht wird. Besonders charakteristisch für die Sanskritlitteratur ist der Mangel einer prosaischen Darstellung, indem sämtliche wissenschaftliche Werke in metrischer Form abgefaßt sind; so sind die Anfänge der Prosa, wie sie in den Brâhmana der ersten Periode vorliegen, gänzlich verkümmert, und es gibt kaum etwas Schwerfälligeres als die Prosa der spätern indischen Romane, Kommentare und Inschriften. Die gebräuchlichste metrische Form ist der epische Vers (Sloka), eine Doppelzeile, aus je 16 Silben bestehend, die nur in ihren beiden letzten Füßen sicher iambischen Rhythmus hervortreten läßt.

Die epische Poesie zerfällt in zwei Gruppen, die Itihâsa-Purâna und die Kâwya. Zur ersten Gruppe, legendarisch-epischen Sammelwerken, die in ihrem Grundstock in die wedische Periode hinaufreichen, gehören das "Mahâbhârata" (s. d.) und die "Purâna" (s. d.), mythische Erzählungen kosmogonischen und theogonischen Inhalts, in der uns vorliegenden Gestalt den letzten 1000 Jahren angehörig und vielfach durchsetzt mit theologischen und philosophischen Be-^[folgende Seite]