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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Türkisches Reich

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Türkisches Reich (Heer u. Flotte, Wappen u. Orden; außereuropäische Besitzungen).

untern. Die höchste ist das Obertribunal in Konstantinopel (gegründet 1868), welches unter anderm alle Todesurteile zu bestätigen hat. Außerdem bestehen in Seestädten 49 Handelsgerichte, die 1847 errichtet wurden. In Prozessen, bei denen beide Parteien Fremde sind, entscheiden die Konsulargerichte.

[Finanzen.] Was die Finanzen anlangt, so haben sich dieselben nach dem Staatsbankrott vom 13. April 1876 (Einstellung der Zinszahlungen) ein wenig gehoben infolge der am 20. Dez. 1881 dekretierten Konsolidation und Reduktion der äußern und der Regulierung der schwebenden Schuld. Die Anleihen von 1858 bis 1874 im Betrag von 190,997,980 Pfd. Sterl. wurden auf 106,437,234 Pfd. Sterl. reduziert, und letztere werden seitdem aus den Erträgnissen gewisser Steuern (Tabaks- und Salzmonopol, Getränke- und Fischereisteuer, Stempel, Seidenzehnt, Tribut von Bulgarien und Ostrumelien, Überschuß der Einkünfte von Cypern) unter Aufsicht von Vertretern der Gläubiger mit 1 Proz. verzinst und mit ¼ Proz. amortisiert. Am 13. März 1887 betrug diese Schuld noch 104,458,706 Pfd. Sterl., die zu ihrer Verzinsung bestimmten innern Steuern ergaben 1887/88: 114 Mill. Piaster (noch nicht 1 Mill. Pfd. Sterl.). Außerdem gibt es aber noch eine innere Schuld von ca. 22 Mill. türk. Pfd. (à 100 Piaster), eine schwebende Schuld von ca. 9 Mill. türk. Pfd., die unverzinsliche russische Kriegsschuld von 32 Mill. Pfd. Sterl., die an russische Private zu leistende Entschädigung von 38 Mill. Frank und Schulden für neuerdings geliefertes Kriegsmaterial (ca. 3 Mill. Pfd. Sterl.). Das Budget ist ein ganz ungeregeltes; die Zahlen desselben, soweit solche überhaupt noch veröffentlicht werden, stehen lediglich auf dem Papier und verdienen kein Vertrauen, das ständige Defizit wird durch Verringerung und Nichtauszahlung der Beamtengehalte, kleine Anleihen, selbst Zwangsanleihen nicht ausgeschlossen, und ähnliche Mittelchen gedeckt. 1881/82 belief sich dasselbe auf ca. 5¼ Mill. türk. Pfd., es schwankt meist zwischen 4 und 8 Mill. Im Finanzjahr 1884/85 waren die sonst ca. 12 Mill. türk. Pfd. betragenden Einnahmen angeblich auf 7 Mill. gesunken! Für 1887/88 schätzt man sie wieder auf 17½ Mill. türk. Pfd., ob mit Recht, ist sehr fraglich. Die Hauptposten der Einnahmen, soweit dieselben nicht an die Staatsgläubiger verpfändet sind, sind: Grundsteuer, Einkommensteuer von einzelnen Gewerben, der Zehnte von den Bodenerzeugnissen, der aber in der Höhe von 12½ Proz. erhoben wird, die Hammelsteuer, die auf den Nichtmohammedanern lastende Steuer für Befreiung vom Militärdienst, der 8proz. Einfuhr- und der 1proz. Ausfuhrzoll.

[Heer, Flotte, Wappen.] Im Mai 1879 erließ die Armee-Reorganisationskommission eine neue Ordre de bataille für den Friedensstand des türkischen Heers. Danach umfaßt letzteres sieben Armeekorps (Ordu) mit den Hauptquartieren in Konstantinopel (Garde), Adrianopel, Monastir, Ersindschan, Damaskus, Bagdad und Sana'a in Arabien. Jedes Armeekorps soll im Frieden durchschnittlich umfassen: 6 Infanterieregimenter zu 3 Bataillonen à 800 Mann, 6 Jägerbataillone zu 800 Mann, 4 Kavallerieregimenter zu 800 Pferden, 1 Artillerieregiment zu 12 Batterien à 6 Geschütze und 100 Mann, 1 Pionierbataillon zu 400 Mann und mehrere Gendarmeriebataillone. Das gäbe einen Etat von 210,000 Mann (134,400 Infanteristen, 22,400 Reiter, 9600 Mann Artillerie, 3600 Pioniere und 40,000 Gendarmen) mit 576 Geschützen, wozu im Krieg noch je 100,000 Mann Reserven und Landwehr kämen mit resp. 192 und 120 Geschützen. Die Feldarmee betrüge also 410,000 Mann mit 888 Geschützen, eine Zahl, die durch Irreguläre und das ägyptische Kontingent auf eine halbe Million gebracht würde. Faktisch zählte die türkische Armee 1885: 63 Regimenter Infanterie zu 4 Bataillonen, 2 Zuavenregimenter zu 2 Bataillonen, 15 Bataillone Jäger und 1 Bataillon berittene Infanterie; 39 Regimenter Kavallerie zu 5 Schwadronen; 13 Regimenter Artillerie mit 144 fahrenden Batterien, 18 reitende und 36 Gebirgsbatterien, 8 Bataillone Festungsartillerie und 10 Bataillone Artilleriehandwerker, 6 Bataillone Genietruppen, eine Telegraphenkompanie, 5 Train-, 3 Feuerwehr- und 3 Handwerkerbataillone, zusammen 12,000 Offiziere, 170,000 Mann, 30,000 Pferde, 1188 Feld- und 2374 Festungsgeschütze; außerdem Kadres für 96 Redifregimenter zu 4 Bataillonen. Die Flotte, durch Verluste im letzten russischen Krieg und nachherige Verkäufe an England wesentlich verringert, zählte zu Ende 1886 wieder 12 Panzer-, 50 hölzerne und 12 Torpedofahrzeuge; im Bau befanden sich eine Panzerfregatte und 2 Panzerkorvetten. Die Flagge besteht aus einem roten Flaggtuch mit weißem Halbmond und weißem achtstrahligen Stern (s. Tafel "Flaggen I"); die Handelsflagge aus drei Horizontalstreifen Rot-Grün-Rot.

Das Wappen des türkischen Reichs ist ein grüner Schild mit wachsendem silbernen Monde. Den Schild umgibt eine Löwenhaut, auf der ein Turban mit einer Reiherfeder liegt; hinter demselben stehen schräg zwei Standarten mit Roßschweifen. Es bestehen vier Ritterorden: der Orden des Ruhms (Nischani iftichar, 1831 gestiftet), mit 4 Klassen; der Medschidieh-Orden (1852 gestiftet, s. Tafel "Orden", Fig. 33), mit 5 Klassen, der Osmanje-Orden (1861 gestiftet), mit 3 Klassen, der Verdienstorden (Nischani-Imtiaz, 1879 gestiftet), außerdem ein Damenorden (1880 gestiftet). Sonstige Auszeichnungen sind Kriegsmedaillen, Ehrenkaftane und Ehrensäbel.

Außereuropäische Besitzungen.

Die asiatische Türkei umfaßt eine Anzahl verschiedenartiger Gebiete, welche den westlichsten Teil von Asien bilden. Diese Gebiete sind: Armenien, Kurdistan, Irak Arabi oder Babylonien, El Dschesireh oder Mesopotamien, Kleinasien, Syrien und Palästina, die Halbinsel Sinai und das westliche Küstenland von Arabien. Hinsichtlich der Verwaltung zerfallen diese Länder in Wilajets, von denen jedes unter einem Pascha als Statthalter steht, deren Grenzen und Namen aber häufig wechseln. Dieselben sind im Sommer 1888, abgesehen von den zum Polizeibezirk von Konstantinopel gehörigen Liwas Bigha und Kodscha-Ili, das Inselwilajet (Dschezâiri-bahri-sefîd), Chodawendikjâr, Aïdin, Kastamuni, Angora, Konia, Siwas, Adana, Trapezunt, Erzerum, Wan, Bitlis, Diarbekr, Charput (Ma'amuret el Aziz), Mosul, Bagdad, Basra, Aleppo, Surija oder Damaskus und Beirut und in Arabien die Wilajets Hidschas und Jemen (s. die einzelnen Artikel). Die Bevölkerung der asiatischen Besitzungen der Pforte wird auf 16,133,000 Seelen veranschlagt, das Areal derselben auf ca. 1,890,000 qkm (ca. 34,300 QM.). Die direkten afrikanischen Besitzungen zählen auf 1,033,000 qkm nur etwa 1 Mill. Einw. Die gesamten unmittelbaren Besitzungen des türkischen Reichs umfassen also ca. 3,088,400 qkm mit 21½ Mill. Einw., unter Hinzurechnung aller Tributärstaaten etc. aber 4¼ Mill. qkm mit 33 Mill. Einw.

[Litteratur.] Vgl. v. Hammer-Purgstall, Die Staatsverfassung und Staatsverwaltung des osma-^[folgende Seite]