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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Tuberkulose

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Tuberkulose (Kochs Heilmittel).

der Kranken mit sich bringe, und am Schlusse seiner damaligen Ausführungen betonte er, daß es ihm nicht mehr verfrüht erscheine, mit prophylaktischen Maßregeln gegen die T. vorzugehen. Diese Gedanken wurden neuestens weiter verfolgt in einer Arbeit von Cornet, welche das große Verdienst hat, nachgewiesen zu haben, wo sich die Tuberkelbacillen außerhalb des menschlichen Körpers vorfinden, und wo dem entsprechend für den Menschen die Gefahren lauern, von der T. befallen zu werden. Während nämlich bis dahin häufig der Ansicht gehuldigt worden war, daß die Tuberkelbacillen überall in der Luft herumschwirren, und daß somit jeder Mensch stetig der Gefahr, angesteckt zu werden, ausgesetzt, eine wirksame Prophylaxe also unmöglich sei, sowie daß das Ergriffen- oder Nichtergriffenwerden von T. lediglich Folge der individuellen Disposition sei, wies Cornet nach, daß die Tuberkelbacillen sich nur an solchen Orten vorfinden, an welchen Lungenschwindsüchtige sich für längere Dauer aufhalten, also in deren Wohnungen, und zwar konnte Cornet auch hier nur dann die Bacillen nachweisen, wenn die Kranken die üble und unreinliche Gewohnheit hatten, auf den Boden oder ins Taschentuch zu spucken. In solchen Fällen wurden im Staube der Wohnung, an den Wänden, Bettleisten, allerlei Vorsprüngen mit großer Regelmäßigkeit infektionstüchtige Tuberkelbacillen nachgewiesen, ebenso regelmäßig wurden sie dagegen vermißt in den Wohnungen solcher Kranken, welche sich ausschließlich des Spucknapfes zur Entleerung ihres Auswurfs bedienten. Auch an verkehrsreichen Orten, in Wartesälen, auf belebten Straßen etc. wurden Tuberkelbacillen niemals nachgewiesen. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich die ebenso wichtige und wirksame wie einfache prophylaktische Maßregel: der Lungenkranke soll seinen Auswurf niemals anders als in einen Spucknapf (der etwas Wasser oder Karbollösung enthält) entleeren, es sollen in den Wohnungen, in Theatern, Wirtschaften und an ähnlichen öffentlichen Orten Spucknäpfe in hinreichender Zahl aufgestellt werden, damit die Kranken nicht genötigt werden, den Boden oder ihr Taschentuch durch ihren Auswurf zu beschmutzen. Die große Gefahr von solchem Verhalten liegt nämlich darin: kommt der Auswurf auf den Boden, so trocknet er hier allmählich ein, durch das Gehen wird die eingetrocknete Masse zu einem feinen Pulver zerrieben und mischt sich, aufgefegt durch das Gehen im Zimmer, durch die langen Kleider der Frauen, der Luft bei und wird eingeatmet. Noch gefährlicher sind die Taschentücher: der in denselben enthaltene Auswurf trocknet hier, unter dem Einfluß der höhern Temperatur, welche das Taschentuch vom nahen Körper annimmt, besonders rasch ein, das Herausziehen und Entfalten gibt zum Zerstäuben und Zerreiben Anlaß, und dabei mischen sich die zarten, leichten Stofffäserchen den getrockneten Sekretbröckchen bei und versehen diese, welche an sich spezifisch ziemlich schwer sind und Neigung haben, sich zu Boden zu senken, gleichsam mit Schwingen und hindern sie am Absetzen. Die Thatsache, daß man Tiere mit Leichtigkeit tuberkulös machen kann, wenn man sie zerstäubten Auswurf Schwindsüchtiger atmen läßt, daß unter allen Formen der T. primäre Lungenschwindsucht weitaus die häufigste ist, die erwiesene Häufung der Schwindsuchtsfälle bei engem Zusammenwohnen der Menschen in Gefängnissen, Klöstern und ähnlichen Anstalten, besonders aber auch in den großen, dicht bevölkerten Städten sind Beweise genug, daß auch die Übertragung der Schwindsucht durch Einatmung der Tuberkelbacillen erfolgt. Auch sehr viele derjenigen Fälle, in welchen die Lungenschwindsucht in einer Familie herrscht, sind nicht auf eine Vererbung der T. selbst oder der Disposition zurückzuführen, sondern auf eine infizierte Wohnung, in welcher sich ein Familienglied nach dem andern infiziert. Eine Vererbbarkeit der T., d. h. der Bacillen selbst, kommt ohne Zweifel in seltenen Fällen vor, sie fällt aber außerordentlich wenig ins Gewicht. Auch eine Vererbung einer Disposition soll nicht geleugnet werden, doch ist jedenfalls die Disposition für die Krankheit eine viel allgemeinere als die Gefahr der Infektion. Ein kräftig gebauter Körper mit normalem Stoffwechsel, der viel in freier Luft lebt, ist wenig disponiert, ein von kränklichen Eltern abstammender, in ärmlichen Verhältnissen, in Not und Schmutz und engen Wohnungen aufgewachsener Mensch, dem auch sein Beruf oder Kränklichkeit den Genuß der freien Luft verbietet, ist mehr geneigt, an T. zu erkranken. Die hieraus sich ergebenden prophylaktischen Maßnahmen sind selbstverständlich; neben diesen sind aber noch von weit größerer Bedeutung die oben erwähnten zur Verhütung des Zerstäubens des Auswurfs. Hierzu kommen noch die regelmäßige Reinhaltung der Spucknäpfe, peinliche Reinlichkeit mit Bett und Leibwäsche, event. sofortiges Auskochen derselben, wenn sie (was bei Schwerkranken nicht selten) durch Auswurf trotz aller Vorsicht dennoch verunreinigt wurde (betreffend Desinfektion des Krankenzimmers vgl. Desinfektion, Bd. 17, und im vorliegenden Bande: Gesundheitspflege, S. 358). Darf man in ein Zimmer, in eine Wohnung ziehen, in welcher ein Schwindsüchtiger gewohnt hat, bez. gestorben ist? Ja; man soll aber die Wände erst mit Brot abreiben, dann neu tapezieren oder streichen, den Boden mit Sublimat 1:1000 auswaschen, mit heißem Wasser und Soda nachwaschen, Parkett mit Eisenspänen abreiben und wichsen lassen. Betten, Kleider und Wäsche Schwindsüchtiger müssen im strömenden Dampf von mindestens 100° desinfiziert werden. Hierzu sind städtische Desinfektionsanstalten überall dringendes Erfordernis. Daß zur Desinfektion von Betten die gewöhnlichen Bettfedernreinigungsanstalten ganz Ungenügendes leisten, hat Cornet durch sehr sinnreiche Versuche nachgewiesen. Dies alles sind Anforderungen, welche das Publikum kennen muß, um an der hygienischen Kulturaufgabe unsrer Tage, der Ausrottung dieser schlimmsten Geißel der Menschheit, wirksam mitarbeiten zu können.

Hatten auch, wie oben erwähnt, die anfänglichen Bestrebungen Kochs, ein Heilmittel zu finden, welches die Tuberkelbacillen im Körper vernichten oder an ihrer weitern Entwickelung verhindern könnte, anfänglich keinen Erfolg gehabt, so war dennoch sein Bestreben unausgesetzt auf dieses Ziel gerichtet, und beim zehnten internationalen Medizinischen Kongreß (s. d., S. 607 f.) in Berlin im August 1890 überraschte er die Welt mit der Mitteilung, daß er nunmehr Substanzen getroffen habe, »welche nicht bloß im Reagenzglas, sondern auch im Tierkörper das Wachstum der Tuberkelbacillen aufzuhalten im stande seien«. Später verlautete ab und zu in der Tagespresse, daß das angedeutete Mittel jetzt in Spitälern bei Menschen angewandt werde, und 13. Nov. 1890 erschien Kochs denkwürdige Mitteilung über sein Heilmittel und über dessen Wirkungen auf gesunde und auf tuberkulös erkrankte Menschen. Noch ist die Zusammensetzung und die Art der Herstellung des Mittels nicht zur allgemeinen Kenntnis gebracht und zwar aus sehr begreiflichen Gründen. Schon die erste Mit-^[folgende Seite]