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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Grenzbegriff (das mathematisch Unendliche)
endlich.Kleinen, ohne welche Funktionentheorie und Differentialrechnung nicht vorhanden wären. Sie las-sen sich, wie Bolzano ("Paradoxien des Unendlichen", .... 1o) bemerkt hat, auf die Unendlichkeit der Zahlen-reihe zurückführen. "Findet er (der Mathematiker) eineGröße größer als jede (noch so große) Anzahl der zur Einheit genommenen, so nennt er sie u n e n d l i ch groß; findet er eine so kleine, daß jedes Vielfache derselben kleiner ist als die Einheit, so nennt er sie unendlich klein." Es fragt sich nur, wo der Mathe-matiker solche Größe findet; Bolzano verweist (§ 13) auf die Menge der Sätze und Wahrheiten an sich, Dedekind auf den Inbegriff alles Denkbaren. Beide Inbegriffe oder Mengen verdanken ihre Unendlich-keit demselben Umstand, wie die Anzahlenreihe selbst, der Möglichkeit, die Reihe immer noch um ein Glied zu vermehren, d. h. also der Schließbarkeit von n auf (n + 1). Diese ist eine Folge davon, daß das Bil-duna.sgesetz der Zahlenreihe, die Vermehrung immer um Eins, so außerordentlich einfach ist, daß es mit Hilfe der eben gebildeten Zahl eine überaus deutliche Vorstellung derjedesmalneu hinzukommenden liefert. Was das Unendlich-Kleine betrifft, so genüge es, an die immer kleiner werdendeStrecke, welcheAchilleus im oben erwähnten Paradoxon durchläuft, zu erinnern.
Die Denkbarkeil des Begriffs "unendlich" und um so mehr das wirkliche Vorhandensein irgend einer unendlichen Menge ist von Aristoteles bis auf unsre Zeit bestritten worden. Da der Nutzen, wel-chen Physik und Mathematik von diesem Begriff ge-zogen haben, unbestreitbar war, so sah man sich ae.. zwungen, die Möglichkeit eines Unendlichwerdens in dem Sinne zuzugestehen, daß man darin eine Art und Weise der Veränderlichkeit erblickte, bei der die veränderliche Größe Werte annehmen kann, größer als jeder noch so große angebbare, ohne doch je wirk-lich unendlich groß zu sein. Man unterschied also zwischen dem Unendlichen im Werden und dem Un-endlichen im Sein, dem infinitum potentia und dem lnfinitum actu. Den Haupteinwand gegen das letz-tere: "daß eine unendliche Menge nie in ein Ganzes vereinigt, nie in Gedanken zusammengefaßt werden können hat Bolzano aus dem Wege geräumt. In§ 14 der "Paradoxien" hebt er scharf hervor, wie wenig es nötig sei, daß die Vorstellung des Ganzen durch die aller Teile hindurchgehen müsse. Niemand, der sich die. Einwohnerschaft Prags oder Pekings denke, stelle sich dabei jeden einzelnen Einwohner vor. In der That, schon bei 1o,ooo, dem Unendlich dcr Grie-chen, ist eine Vorstellung des Ganzen durch die der einzelnen Teile unmöglich; ja, wenn man von ver-einzelnen, fast krankhaften Erscheinungen, wie den Rechenkünstler Dase, absieht, schon bei 50. Der Haupt-mann, der an seine Kompanie, der Lehrer, der an seine Klasse denkt, hat dabei selten oder nie eine Vor-stellung des Einzelnen.
Von durchschlagender Bedeutung für die Auf-fassung des mathematisch Unendlichen als eines zwar indirekten, aber vollkommen bestimmten Begriffs sind die Arbeiten G. Cantors gewesen. Cantor hat bemerkt, daß ein Unendliches im Werden zu seinem Werden stets ein Unendliches im Sein voraussetzt. Er hat in Verfolgung dieses Gedankens die Grenze eingeführt, der die natürliche Zahlenreihe 1, 2, 3 . . . ziistrebt, und diese unendlich ferne Zahl mit w be-zeichnet. ("Grundlagen einer allgemeinen Mannig-faltig^eitslehre", 1883.) Also ist w als die erste ganze Zahl zu denken, "welche auf alle natürlichen Zahlen folgt, d. h. großer zu nennen ist als jede von ihnen. Indem mun auf die Setzung der Zahl W weitere
Sitzungen der Einheit folgen läßt, erhält man di.^ weitern Zahlen : W + 1, W + 2. ... W + W - 2^ 2w + 1, . . . w . W = W-". Da jede Zahl n die An^ zahl der Zahlen von 1 bis n in ihrer natürlich...^
Folge angibt, so dient w auch als Ausdruck für di^
Anzahl sämtlicher ganzen Zahlen in ihrer natürlichen Reihenfolge. Zwei Reihen , deren Glieder einand^ gegenseitig eindentig zugeordnet sind, haben gleich^ Anzahl; somit gibt W auch die Anzahl der Glieder jeder Reihe, bei der, wie bei der Zahlenreihe, ei.^ erstes Glied existiert, auf dieses ein bestimmtes
zweites folgt u. s. f., so daß jedem Gliede mit Aus..
nahme des ersten auch ein bestimmtes vorangeht, b.-i der aber ein letztes Glied nicht vorhanden ist. Mit.. hin hat die Reihe der Zahlen, welche durch 10 geteilt den Rest 1 lassen, in ihrer natürlichen Folge: 1, 1l. 21 ... die Anzahl W. Ebenso ist W die Anzahl der
Menge: 2, 1, 11, 21 . . ., während die Reihe: 1, 1i
21, . . ..2 die Anzahl W -...-- 1hat. Die Cantorschen Zahlen dienen daher zur Unterscheidung der verschie-denen Anordnungen einfach unendlicher Mengen; si^ werden deshalb auch Ordnungstypen genannt. Denkt man sich die sämtlichen ganzen Zahlen in der ....lu:.
ordnung: 1, 11, 21, ... 2, 12, 22, ... 3, 13, 23,
10, 20, 30, . . ., so ist ihre Anzahl W + W + W ...+- . ..
+ W = 10W. Die Anzahl, welche bei endlichen Men.. gen von der Wahl der Anordnung unabhängig ift. hängt bei unendlichen Mengen von der Art der ...ln.. ordnung ab. "Eine unendliche Menge hat unzählig viele Anzahlen und kann einem ihrer Teile ...in-zahlengleich sein." Das bleibende Merkmal einer unendlichen Menge bezeichnet Cantor als "Mächtig-keit". Zwei Mengen haben gleiche Mächtigkeit, wenn irgend zwei ihrer Anzahlen einander gleich sind. Mithin ist die Teilreihe: 1, 11, 21 . . ., deren An..
zahl - W ist. von derselben Mächtigkeit wie die Reihe: 1, 11, 21, ... 2, 12, 22,. .. 10, 20, 30,...,
da den Gliedern der letztern in der Anordnung der natürlichen Zahlenreihe ebenfalls die Anzahl W ent-spricht. Ebenso ist die Menge der ganzen und ge-brochenen (rationalen) Zahlen, von der die natürlich... Zahlenreihe ein verschwindender Teil ist, mit dieser von gleicher Mächtigkeit. Man ordne die voneinander verschiedenen Rationalzahlen so in Gruppen, .d'.il^ innerhalb jeder Gruppe die Summe von Zähleriin.-Renner dieselbe ist. Zur Gruppe gehört: keine Zahl, zur Gruppe 2: 1^1 oder 1, zur Gruppe 3: 1/2 nn.- ^ oder 2, zur Gruppe 4: 1/.. und 3/1 oder 3, zur Gri.ippe 5: 1/4, ^/3, 3/2 und ^/1 oder 4 u. s. f. Ordnen wir dann die Rationalzahlen in die Reihe: 1, 1/2, 2, 1^,3, 1/4, 2/3, 3/2, 4.. ., so können wir von einer ersten, zwei^ ten, kten rationalen Zahl reden; die Anzahl dieser Reihe ist also .-= W und mithin die Mächtigkeit^ Menge sämtlicher verschiedenenRationalzahlen gl^ der der natürlichen ganzen Zahlen. Dedekind h^ dann 1888 einen letzten Schritt gethan. In .-^ Schrift: "Was sind undwassoilendieZahlen?"erk^t er eine unendliche Menge als eine solche, welche ei^ ihrer Teile gegenseitig eindeutig zugeordnet wer^ kann, also mit ihm von gleicher Mächtigkeit is^ u^. nennt eine Menge endlich, bei der dies nicht der ^
ist. Damit ist dann das Unendliche zum posin.-^
das Endliche zum negativen Begriff geworden. ..,
Was das Unendlich-Kleine betrifft, so br^*
dasselbe zum Werden (s. Differentialrechn**^ Bd. 4) ebenfalls eine unendliche Menge, z. ^- ^ Reihe 0,1, 0,01, 0,001 . . . Das Unendlich -Kle^^ Sein ist von der Null nicht verschieden. .
Die nächst der Null ältesten Grenzbegr-s.^ ^
Aritbmetik sind die schon von den Griechen ^