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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Anevelle - Anfechtung

4) das variköse A.(Aneurysma varicosum), wenn bei einem Aderlaß die Vene ganz durchschlagen und die obere Seite einer unter ihr liegenden Arterie durchschnitten wird, wodurch nun das Blut aus derselben in die Vene dringt; 5) das diffuse A. (Aneurysma cirsoideum), wenn ein ganzer Arterienbezirk erweitert ist; bei der letztern Form findet zugleich eine starke Schlängelung der Arterien statt. Am häufigsten ist das diffuse A. an den Arterien des Hinterhaupts.

Die Aneurysmen sind häufig an großen Arterienstämmen, besonders in der Nähe des Herzens, an dem Bogen der Aorta (innere Aneurysmen) und an den äußern Gliedern, z. B. in der Kniekehle und an den Rippen, wo die Arterien durch Ausdehnung und heftige Bewegungen, Anstrengungen des Körpers, Stoßen, Fallen und Quetschungen öftern Verletzungen ausgesetzt sind. Am häufigsten entstehen die Aneurysmen durch Krankheit der Arterienhäute, indem diese entarten und dadurch ihre Festigkeit und Spannkraft verlieren. (S. Arterienentzündung.) Auffallend ist die Häufigkeit der Aneurysmm, namentlich der Kniekehlenarterie, in England, speciell bei den männlichen Bedienten, welche dort oft halbe Tage lang hinten auf der herrschaftlichen Karosse stehen. Die innern Aneurysmen sind schwer und nur durch physik. Diagnostik zu erkennen. Durch den fortwährenden Druck, welchen die Aneurysmen auf die umgebenden Teile ausüben, veranlassen sie Schwinden selbst knöcherner Teile, seltener Entzündung, Verschwärung oder Brand derselben; die hauptsächlichste Gefahr besteht aber darin, daß sie zuletzt platzen und tödliche Verblutung bewirken können.

Wenn man unter der Heilung eines A. die Verödung der abnormen Erweiterung versteht, so kann eine solche von selbst eintreten, wenn nämlich aus irgendwelchem Grunde das Blut in derselben zur Gerinnung kommt, so daß die Arterie an der kranken Stelle verstopft und eine weitere Ausdehnung ihrer Wand unmöglich wird. Die künstliche Heilung kann entweder ebenfalls durch Herbeiführung einer solchen Gerinnung, oder durch Unterbindung der Arterie nach verschiedenen Operationsmethoden, oder durch vollständige Zerstörung des Aneurysmasacks und gleichzeitige Unterbindung der Arterie erzielt werden. Um Gerinnung des Blutes im A. zu veranlassen, bedient man sich entweder der anhaltenden Zusammenpressung der kranken Arterie oder des ganzen Gliedes, um auf diese Weise den Lauf des Blutes zu hemmen und durch die langsamere Bewegung desselben sein Gerinnen im A. zu begünstigen, oder man wendet die sog. Elektropunktur an, d. h. man leitet durch Nadeln einen galvanischen Strom durch das A., wobei sich das Blut gerinnend niederschlägt, oder man spritzt tropfenweise eine Flüssigkeit (Eisenchlorid) in den Aneurysmasack, welche schnell eine Gerinnung des Blutes zur Folge hat. Führen diese Methoden nicht zur Heilung, so unterbindet man die Arterie ober- und unterhalb des A., spaltet den Aneurysmasack, entfernt die Blutgerinnsel in ihm und überläßt die Ausstoßung des Sacks der Eiterung. - Vgl. Broca, Des aneurysmes et de leur traitement (Par. 1856); Holmes, Lectures on the surgical treatment of aneurism in its various form (in der Zeitschrift "Lancet", 1872-75); Neudörfer, Entstehung und Behandlung der Aneurysmen (Wien 1894).

Anevelle, s. Angefälle.

Anfahren, in der Bergmannssprache: den Weg zur Arbeitsstätte zurücklegen; beim Fortbetrieb von Grubenbauen (Strecken, Stollen, Schächten) einen Gang, ein Flöz oder ein Lager finden.

Anfahrweg, der Weg der Berg- und Hüttenleute von der Wohnung bis zur Arbeitsstätte.

Anfall, der Erwerb oder die Berufung zum Erwerb eines durch den Wegfall des bisherigen Inhabers, der Linie oder der Familie frei werdenden Rechts an den Nachfolger, die nächste Linie, die successionsberechtigte Familie, den Staat. Ein Lehn, ein Fideikommiß, ein Land fallen an, wenn die Regentenfamilie, der Fideikommißbesitzer, der Lehnsbesitzer versterben. Die Berufung erfolgt nach der dafür geltenden Erbfolgeordnung. Sind alle zum Lehn berufenen Personen weggefallen, so spricht man von Heimfall (s. d.). Erblose Güter fallen an den Fiskus (s. Heimfallsrecht), ebenso das Vermögen einer aufgehobenen Stiftung (s. d.), soweit nicht besondere, abweichende Landesgesetze bestehen; ob das Vermögen einer aufgehobenen Korporation beim Mangel einer statutarischen Bestimmung dem Staat anfällt oder, zumal bei rein privatrechtlichen Korporationen unter die Mitglieder verteilt wird, ist bestritten. Im Erbrecht versteht man unter A., Berufung oder Delation, das Recht, eine Erbschaft zu erwerben. Unterschieden werden als Anfallsgründe das Gesetz (Gesetzliche Erbfolge, s. d.), die Letztwillige Verfügung (s. d.) und der Erbvertrag (s. d.). - Durch den A. entsteht die rechtliche Möglichkeit, die Erbschaft anzunehmen oder nicht auszuschlagen (s. Erbschaftserwerb). In gleicher Weise wird von einem A. des Vermächtnisses und der Nacherbschaft (des Universalfideikommisses) gesprochen, jedoch fällt nach Gemeinem Rechte bei dem Vermächtnisse A. und Erwerb in gewissen Fällen zusammen. Das röm. Recht kennt nur den A. der Erbschaft aus dem Testamente oder auf Grund des Gesetzes; beide Gründe können in der Regel nebeneinander nicht vorkommen (nemo paganus pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest). Die neuern Gesetzgebungen haben diesen Grundsatz aufgegeben; vgl. Preuß. Allg. Landr. I, 12, §§. 45, 254 fg.; Sächs. Bürgerl. Gesetzb. §§. 2011 fg.; (Code civil Art. 1011-1013; Österr. Bürgerl. Gesetzb. §. 534, und die Thüringischen Erbgesetze. (S. Erbe.)

Wegen des Deutschen Entwurfs vgl. Motive V, 485 fg. (Erbschaft), §§. 1867 fg.; Motive V, 177 fg. (Vermächtnis).

Anfangsgeschwindigkeit der Geschosse, s. Flugbahn.

Anfangsmeridian, s. Länge (geogr.).

Anfechtung (im Recht). Rechtsgeschäfte sind ungültig, wenn ihrer Errichtung ein Mangel anhaftet, der die von den Urhebern des Rechtsgeschäfts gewollte Wirkung nicht oder nicht vollkommen eintreten läßt. Die Ungültigkeit ist Nichtigkeit, wenn die gewollte Wirkung schlechthin nicht eintritt. So sind Verträge nichtig, welche über dem Gemeingebrauch gewidmete Sachen, als wären sie Sachen des Privateigentums, abgeschlossen sind. Wer den Marktplatz einer Stadt der nicht von der Stadt selbst eingezogen wird, oder einen öffentlichen Strom verkauft, kann weder auf den Kaufpreis klagen noch auf Lieferung oder Leistung einer Entschädigung verklagt werden. Wer durch den Vertrag einen Zustand schaffen will, welcher vom Recht verboten ist, hat etwas absolut Nichtiges verabredet. Ein Mensch kann sich innerhalb des Deutschen Reichs nicht in die Knechtschaft verkaufen, noch kann er sich bei Strafe der Schuldhaft verpflichten. Die Verabredung der Strafe ist nichtig. Ferner ist das Versprechen eines Kindes oder eines