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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Bayern (Rechtspflege. Finanzwesen)

Bürgermeister werden auf 6 Jahre gewählt, die Gemeindebevollmächtigten auf 9 Jahre; der rechtskundige Bürgermeister und die rechtskundigen Räte werden nach 3 Jahren, im Falle der Wiederwahl, auf Lebenszeit gewählt. Vertreter der Landgemeinden ist der Gemeindeausschuß, der aus einem Bürgermeister, einem Beigeordneten und aus 4 bis 24 Gemeindebevollmächtigten besteht (alle auf 6 Jahre gewählt). Vertreter der Gemeinden in der Pfalz ist der Gemeinderat, bestehend aus einem Bürgermeister, einem oder zwei Adjunkten und 6 bis 24 Gemeinderäten (alle auf 5 Jahre gewählt). Das Gesamtvermögen (rentierendes und nicht rentierendes) der 8021 Gemeinden betrug (1892) 577857219 M., dem ein Gesamtschuldenstand von 215339637 M. gegenüberstand. Die Rente vom ganzen rentierenden Vermögen beträgt 18559697, d. i. 3,32 M. auf den Kopf der Bevölkerung.

Rechtspflege. Bezüglich der Civilgesetzgebung verblieb es bei den Kodifikationen von der Mitte des 18. und Anfang des 19. Jahrh. 43 verschiedene Privatrechte giebt es derzeit. Eine regere Thätigkeit zeigte sich im Gebiete des Handelsrechts, der modernen Gesellschaftsformen, des öffentlichen und Strafrechts. Das Deutsche Handelsgesetzbuch gelangte 1861 zur Einführung. An Stelle des 1813 eingeführten Strafgesetzbuchs für das rechtsrheinische B. (Verfasser: Feuerbach) trat 1861 ein neues Straf- und Polizeistrafgesetzbuch, durch die auch der bisher in der Pfalz gültige Code pénal außer Kraft trat. Durch Einführung des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich und der Strafprozeßordnung wurden diese bayr. Gesetze aufgehoben.

Ein Landgericht wird gebildet von 6 bis 15 Amtsgerichten; Landgerichte giebt es im ganzen 22, davon 16 mit Kammern für Handelssachen. Dem Landgericht München Ⅰ sind nur die Amtsgerichte München Ⅰ und München Ⅱ unterstellt. 4 bis 7 Landgerichte bilden ein Oberlandesgericht (Augsburg, Bamberg, München, Nürnberg, Zweibrücken, s. diese Artikel). Periodische Schwurgerichte bestehen bei den Landgerichten Amberg, Augsburg, Bayreuth, Würzburg, München Ⅰ, Nürnberg, Straubing und Zweibrücken. Die Zuständigkeit der Gerichte bemißt sich nach dem Reichsgerichtsverfassungsgesetz. Abweichend hiervon sind Verbrechen und Vergehen, die durch die Presse begangen werden, den Schwurgerichten überwiesen. Bezüglich der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten die landesgesetzlichen Normen. Hiernach fällt in die Zuständigkeit der Amtsgerichte das Hypothekenwesen, Pflegschafts- und Verlassenschaftswesen; in der Pfalz bestehen eigene Hypothekenämter. Die Oberlandesgerichte sind zuständig für Fideïkommißsachen, für die dinglichen und denselben gleichgeachteten Klagen, wenn dieselben Eigentum der Mitglieder des königl. Hauses betreffen, und zugleich Vormundschaftsbehörden für die Standesherren. Ein oberstes Landesgericht entscheidet über die weitern Beschwerden in Sachen der nicht streitigen Rechtspflege nach Maßgabe der Art. 62–67 des bayr. Ausführungsgesetzes zur Reichs-Civilprozeßordnung. Durch Gesetz vom 8. Aug. 1878 wurde in der höchsten Instanz Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung getrennt und letztere dem Verwaltungsgerichtshofe übertragen.

Für den Vollzug der Festungshaft ist die Feste Oberhaus bestimmt. Zuchthäuser sind in Ebrach, Kaisheim, Lichtenau, München, Plassenburg, St. Georgen, Wasserburg, Würzburg; letztere zwei für Frauen; ein Zellengefängnis in Nürnberg, Gefangenanstalten in Amberg, Laufen, Niederschönenfeld (für Frauen), Sulzbach, Zweibrücken und Kaiserslautern (für Männer und Frauen). Die Zahl der Insassen betrug (1892) 284412 (228716 männliche und 55696 weibliche), darunter in Strafanstalten 13217 (einschließlich 1390 jugendlichen), in den Gerichtsgefängnissen 271195. ^[Spaltenwechsel]

Finanzwesen. Das Budget 1894/95 schließt in Einnahme und Ausgabe mit 328341269 M. ab; davon kommen auf die Erhebung und Verwaltung 141729038 M., auf die Staatsausgaben 186612231 M. Die Matrikularbeiträge für Reichszwecke beziffern sich auf 50895280 M.

Die direkten Steuern ergaben 30656000 M., die Erbschaftssteuern 2200000 M., Gebühren, Stempelabgaben und Strafen 22522200 M., die Zölle und indirekten Steuern 79223550 M., die Bergwerks-, Hütten- und Salinengefälle 7270674 M., die Münzanstalt 342502 M., die Ärarialrente von der königl. Bank in Nürnberg 650000 M., die Staatseisenbahnen 118124006 M., die Post- und Telegraphenverwaltung 24450870 M., die Bodenseedampfschiffahrt 479113 M., die Staatsforst-, Jagd- und Triftgefälle 28425800 M., die Ökonomien und Gewerbe 1846628 M., die Grundgefälle 7247008 M., die Zinsen, Renten und besondern Abgaben u. s. w. 745550 M. und für Zwecke des allgemeinen Unterstützungsvereins für die Hinterlassenen der königlich bayr. Staatsdiener u. s. w. 388400 M., sonstige Einnahmen 2500000 M.

Von den in Staatsregie betriebenen Ökonomien und Gewerben ist zu nennen das Hofbräuhaus in München, das Weingut in Unterfranken und die Hoffischerei auf dem Chiemsee.

Die Einnahmen aus denselben und aus der Verpachtung und Vermietung von sonstigen Staatsrealitäten und Gewerben betragen 2384178 M., die Ausgaben 1713783 M.

Den Einnahmen stehen folgende Ausgabeposten gegenüber: Etat des königl. Hauses (Civilliste, Apanagen u. s. w.) 5403906 M., Etat der Staatsschuld 49995430 M., Etat des königl. Staatsrats 27840 M., Etat der Landtagsversammlung 461375 M., Etat der königl. Staatsministerien und zwar: des königl. Hauses und des Äußern 647945 M., der Justiz 14886240 M., des Innern 22500338 M., des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten 25500160 M., der Finanzen 4189359 M., der Militärverwaltung 70275723 M., Pensionen und Unterstützungen der Staatsdiener und deren Hinterbliebenen 9972413 M., Reserve für unvorhergesehene Ausgaben 431495 M., Gewährung von Wohnungsgeldzuschüssen an die pragmatischen Beamten u.s. w. 1700000M. Am Schlusse des J. 1891 betrug die Staatsschuld 1332500589 M., wovon 968258828 M. Eisenbahnschuld und 150732914 M. Grundrentenschuld, Landeskulturrentenschuld 871487 M. Dieser großen Staatsschuld steht aber bedeutendes Staatsvermögen gegenüber. An indirekten Steuern erhebt B. nur den Malzaufschlag, der jährlich rund 38 Mill. M. einträgt, wovon jedoch 6½ Mill. Ausfuhrvergütung wieder abgehen. Das Gebührenwesen ist geregelt durch das Gesetz über Gebührenwesen von 1890 und eine Novelle hierzu vom 26. Mai 1892. Als äußere Finanzbehörden zur Erhebung und Verrechnung der Steuern und Gebühren bestehen u. a. 216 Rentämter, in der Pfalz unter den Rentämtern auch die Gemeindeeinnehmereien.