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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Geburt (der Menschen)

und von kürzerer Dauer sind, allmählich aber immer heftiger, häufiger und anhaltender werden. Wegen dieser mit ihnen verbundenen Schmerzen werden die Zusammenziehungen der Gebärmutter bei der G. Wehen genannt. Sie beginnen von dem obern geschlossenen Teile der Gebärmutter und drängen dadurch die Frucht, die noch von den Eihäuten und den darin enthaltenen Flüssigkeiten s. Embryo) ^[öffnende Klammer fehlt] umgeben und gewöhnlich mit ihrer Längsachse in der Längsachse der Gebärmutter gelegen ist, nach dem untern offenen Teile derselben, dem Mutterhalse und Muttermunde, der dadurch erweitert und zum Durchgange der Frucht vorbereitet wird. Die Eihäute, durch die Flüssigkeit und den nachfolgenden Kindeskörper herabgedrängt, bilden im Muttermunde eine angespannte elastische Blase, die zur allmählichen Erweiterung des Muttermundes viel beiträgt. Diese Blase, die nur in manchen Fällen künstlich geöffnet werden muß, zerreißt endlich (Blasen- oder Wassersprung); die Flüssigkeit wird entleert, und der vor der Öffnung liegende Teil des Kindes (in den meisten Fällen der Kopf desselben) tritt nun in den Muttermund ein. Hiermit ist die erste Periode der G., die sog. Eröffnungsperiode, während welcher die weichen Geburtsteile eröffnet und für den Durchtritt des Kindes vorbereitet werden, beendet und es beginnt der zweite Geburtsabschnitt, die sog. Austreibungsperiode, während welcher die Frucht durch die Geburtswege hindurchgetrieben und endlich ausgestoßen wird. Durch die nachdrängenden Wehen wird das Kind immer weiter vorgeschoben, und daß dies nur sehr allmählich geschieht, hat seine Ursache zum Teil in der eigentümlichen Gestalt des gekrümmten Kanals, den der untere Teil des weiblichen Beckens (s. d.) darstellt. Der Durchschnitt desselben ist zwar überall oval, aber der größte Durchmesser dieses Ovals hat an verschiedenen Stellen des Kanals eine verschiedene Richtung. Nun hat zwar auch der Körper des Kindes am Kopfe und in der Gegend der Schultern und Hüften eine ovale Gestalt, der größte Durchmesser liegt aber wiederum verschieden: am Kopfe von vorn nach hinten, an Schultern und Hüften von rechts nach links, überdies ist der Beckenkanal nur gerade so weit, daß das Kind bloß dann in ihn hineinpaßt, wenn die Teile seines Körpers so gestellt sind, daß ihr größter Durchmesser genau in die Richtung des größten Durchmessers der verschiedenen Stellen des Kanals fällt. Mit andern Worten: das Kind muß bei seinem Durchgang durch jenen Kanal, während es in gekrümmter Lage vorwärts geschoben wird, zugleich auch immer etwas um seine Längsachse gedreht werden, sodaß es auf diesem Wege gewissermaßen eine Spirallinie beschreibt. Auch die äußern Geburtsteile setzen dem Austritt des Kindes noch ein und zwar oft nicht geringes Hindernis entgegen, indem sie dabei um ein Beträchtliches über ihre gewöhnliche Weite ausgedehnt werden müssen, sodaß sie mitunter selbst Einrisse und andere Verletzungen erleiden. Während der Austreibungsperiode wirken außer den Zusammenziehungen der Gebärmutter auch das Zwerchfell und die Bauchmuskeln mit, indem die Gebärende unter Anhalten des Atems mit angezogenen Schenkeln und fest angestemmten Füßen nach unten drängt (sog. Verarbeiten der Wehen).

Es ist somit eine in dem Baue des menschlichen Weibes begründete Notwendigkeit, daß das Gebären bei ihm nur langsam und immer mit einer gewissen Schwierigkeit erfolgt, während es bei den Tieren im allgemeinen infolge ihres geräumigen Beckens leichter und schneller vor sich geht. Nachdem die Gebärmutter das Kind selbst auf die angegebene Weise ausgetrieben hat, entleert sie noch die Organe, die vorher zur Ernährung und zum Schutze des Fötus dienten, aber schon während der G. des Kindes gewisse Veränderungen erlitten haben, nämlich den sog. Mutterkuchen und dessen Anhängsel, die durchrissenen Eihäute und einen Teil des Nabelstrangs (dritter Zeitraum der Geburt, sog. Nachgeburtsperiode). Dieser Reste seines frühern Inhalts, die zusammengenommen Nachgeburt genannt werden, entledigt sich die Gebärmutter durch neue, ebenfalls mit Schmerzen (Nachwehen) verbundene Zusammenziehungen, die zunächst den Mutterkuchen von der Innenfläche der Gebärmutterschleimhaut vollends lostrennen, wobei aus den zerreißenden Gefäßen etwas Blut ergossen wird, und ihn sodann nebst seinen Anhängseln ausstoßen, worauf die Gebärmutter sich selbst allmählich noch weiter zusammenzieht. Dieser Abgang der Nachgeburt erfolgt meistens innerhalb einer halben bis ganzen Stunde nach der G. des Kindes; damit ist der Geburtsvorgang beendet und es beginnt nun das Wochenbett (s. d.).

Das Gebären selbst ist demnach an und für sich ein physiol. Prozeß, d. h. eine Verrichtung des weiblichen Körpers, die in seiner Natur und Bestimmung begründet ist. Zu dem regelmäßigen Verlaufe der G. gehört aber, daß das Becken und die äußern Geburtsteile der Mutter regelmäßig gebaut seien, daß die Größe der Frucht der Weite des Beckens entspreche, und daß die Lage der Frucht den Austritt durch dasselbe verstatte. Sind diese Bedingungen erfüllt und tritt sonst kein störendes Moment ein, so verläuft die G. verhältnismäßig leicht, wenn auch nicht ohne Schmerzen, in einer Zeit von 6 bis 12 Stunden. Sie kann jedoch eines viel längern Zeitraums und viel bedeutenderer Anstrengung zu ihrer Vollendung bedürfen, ohne regelwidrig zu werden, z. B. wenn das vorgerückte Lebensalter der Mutter eine größere Straffheit der Fasern derselben bedingt, sodaß die Erweiterung des Muttermundes nicht so schnell erfolgt, wobei freilich auch die Schmerzen gesteigert werden, selbst wenn eine oder mehrere jener Bedingungen nicht erfüllt sind, wird der Widerstand, den die G. dadurch findet, noch oft durch geduldiges Abwarten der Naturhilfe überwunden, z. B. bei unregelmäßig gebautem Becken der Mutter oder bei ungünstiger Lage des Kindes. Ist dies jedoch der Natur nicht möglich, oder erfordern anderweite Umstände die Beschleunigung der G., so muß die Geburtshilfe (s. d.) einschreiten und eine künstliche G. vermitteln. Andere bei der G. vorkommende Unregelmäßigkeiten beziehen sich auf die Länge der Zeit, welche die Frucht im Körper der Mutter eingeschlossen gewesen ist. Von diesem Gesichtspunkte aus nennt man eine G., durch welche eine Frucht von noch nicht 17 Wochen, die also noch nicht lebensfähig ist, zur Welt gebracht wird, eine Fehlgeburt (s. d.). Erfolgt die G. zwischen der 17. und 28. Woche, so nennt man sie eine unzeitige G. (partus immaturus), bei welcher ebenfalls das Kind noch nicht lebensfähig ist. Eine Frühgeburt (s. d.) findet statt, wenn das Kind zwischen der 28. und 36. Woche der Schwangerschaft zur Welt gebracht wird, zu