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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gichtaufzug - Gichtpapier

dauungsbeschwerden, die meist dem Anfall schon vorausgehen, und in Zeit von 1 bis 2 Wochen ist der akute Gichtanfall in der Regel zu Ende. Dabei findet sich in dem Blut der Kranken die Menge der Harnsäure beträchtlich vermehrt, weshalb man gewöhnlich die G. als den Folgezustand einer besondern Art der Blutentmischung und einer eigentümlichen Störung des allgemeinen Stoffwechsels, der sog. harnsauren Dyskrasie, betrachtet. Die chronische, irreguläre oder atonische G. besteht darin, daß diese Anfälle mehrere, oft viele Jahre hintereinander besonders im Frühjahr und Herbst wiederkehren, gewöhnlich mit geringen Schmerzen und ohne Fieber, aber länger andauernd. Die sog. verlarvte G. ist derselbe Krankheitszustand, spricht sich aber nicht in den Knochen, sondern in andern Körperteilen durch Verdauungsbeschwerden, Hautausschläge u. s. w. aus. Gewöhnlich befällt die G. die kleinern Gelenke, die Zehen, Finger, das Knie u. s. w., bei unregelmäßigem Verlaufe jedoch auch die Kopfknochen, das Rückgrat und die Kreuzgegend; auch zieht sie von einer Stelle zur andern. Die chronische G. hat oft Ablagerungen fester, hauptsächlich aus harnsauren Salzen bestehender Massen zur Folge, entweder in den Gelenken (die sog. Gichtknoten) oder äußerlich an den Knochen und den Ohrknorpeln, oder in innern Teilen, dem Herzen, den Häuten der größern Gefäße, zuweilen auch Nieren- oder Blasensteine. Bisweilen bricht die entzündete Haut über einem gichtischen Gelenk auf, und es bildet sich so ein Gichtgeschwür, aus dem sich mehr oder minder reichlicher, mit weißen mörtelartigen Massen vermischter Eiter entleert.

Bei der Behandlung der G. muß der Arzt hauptsächlich dieselbe vom Rheumatismus (s. d.) zu unterscheiden wissen und mehr die Verhütung weiterer Anfälle berücksichtigen, als etwa den Anfall, der eine Art Krisis bildet, durch starke entzündungswidrige Mittel in seinem Laufe hemmen wollen. Während des Anfalls selbst lagere man das erkrankte Glied mäßig erhöht, bestreiche das entzündete und geschwollene Gelenk reichlich mit einem milden Fett oder Öl und umwickle es mit gewärmter Watte, Flanell oder Werg; dabei genieße der Kranke nur eine schmale stickstoffarme Kost (am besten Wassersuppen, Gemüse, getrocknetes Obst), trinke viel Selters- oder Sodawasser und sorge durch Klystiere oder milde Abführmittel für regelmäßige Stuhlentleerung; bei großer Schmerzhaftigkeit und Schlaflosigkeit ist das Morphium oft nicht zu entbehren. Die eigentliche Kur muß erst nach vollendetem Anfall beginnen, und hierzu ist besonders der Gebrauch einiger Mineralbäder, wie Aachen, Teplitz, Wiesbaden, Gastein, Wildbad, Karlsbad, Marienbad, Kissingen und Homburg, auch der Sol- und Dampfbäder zu empfehlen. Jedoch gelingt es selten, die Krankheit vollkommen zu heben, da, wie schon die Erblichkeit derselben zeigt, ihr eigentlicher Keim sehr tief im Körper wurzelt. Ohne eine gründliche und dauernde Änderung seiner Lebensweise kann der Kranke nicht hoffen, von weitern Gichtanfällen verschont zu bleiben; eine einfache und mäßige Diät, besonders große Mäßigkeit im Genuß stickstoffreicher und fetter Nahrungsmittel (Fleisch, Eier, Käse) und alkoholreicher Getränke, fleißiges Wassertrinken, angemessene körperliche Bewegung im Freien und bei kräftigem Atmen sind hierzu ganz unerläßlich erforderlich. Von den Arzneimitteln werden das Colchicum sowie das Piperacidin am meisten empfohlen. Gegen die zurückbleibende Gelenksteifigkeit erweist sich die methodische Anwendung der Massage (s. d.) nützlich. – Vgl. Pagenstecher, G. und Rheumatismus (3. Aufl., Lpz. 1889); Ebstein, Die Natur und Behandlung der G. (Wiesb. 1882); ders., Das Regimen bei der G. (ebd. 1885); Diruf, Die Lebensweise für Gicht- und Steinkranke (Kissing. 1891).

Gichtaufzug, s. Gicht (in der Hüttenkunde).

Gichtbeeren, s. Johannisbeere.

Gichtel, Joh. Georg, Mystiker, geb. 14. Mai 1638 zu Regensburg, studierte zu Straßburg Theologie und die Rechte, war dann Rechtsanwalt, zuerst in Speyer, seit 1664 in Regensburg. Nach seiner Überzeugung des unmittelbaren Verkehrs mit der übersinnlichen Welt in Träumen und Visionen gewürdigt, bemühte er sich, in enger Verbindung mit einem Baron Weltz, eine «christerbauliche Jesusgesellschaft» ins Leben zu rufen. Bei seinen zu diesem Zwecke unternommenen Reisen geriet er in immer größern Zwiespalt mit der luth. Geistlichkeit und wurde nach seiner Rückkehr nach Regensburg als Wiedertäufer angeklagt und aus der Stadt verwiesen. Nach vorübergehendem Aufenthalte in Gernsbach im Badischen und in Wien begab er sich 1666 nach Zwolle in Holland und 1668 nach Amsterdam, wo er 21. Jan. 1710 starb. In Amsterdam war G. mit den Schriften Jakob Böhmes (s. d.) bekannt geworden, die er zuerst vollständig (9 Bde., Amsterd. 1682) herausgab. Seine eigene Lehre ist nur eine praktisch-ascetische Weiterbildung der Böhmeschen Theosophie; ihm eigentümlich aber ist die schwärmerische Lehre vom Melchisedekschen Priestertum, vermöge deren er sich und andern «Erleuchteten» die Kraft zuschrieb, in Nachahmung des stellvertretenden Leidens Christi Seelen aus der Verdammnis zu erlösen. Er verwirft die Ehe, schätzt theol. Wissenschaft gering und fordert freiwillige Armut. Seine Anhänger, Gichtelianer oder Engelsbrüder (nach Matth. 22, 30) genannt, weil sie durch Enthaltung von der Ehe und Weltlust, durch Kontemplation und andere Mittel den Engeln gleich zu werden dachten, haben sich, obschon nicht zahlreich, in Amsterdam und Leiden, sowie hier und da in Deutschland bis in die Neuzeit erhalten. G.s Briefe erschienen gesammelt in «Theosophia practica» (7 Bde., Leiden 1722; Bd. 7 enthält die Lebensbeschreibung). – Vgl. Lipsius in Ersch und Grubers «Allgemeiner Encyklopädie der Wissenschaften und Künste» (Sekt. 1, Bd. 66, Lpz. 1858).

Gichter, Kinderkrankheit, s. Eklampsie.

Gichtgalerie, s. Gicht (in der Hüttenkunde).

Gichtgase, Gichtgasfang, s. Eisenerzeugung (Bd. 5, S. 924 fg.).

Gichtgeschwür, s. Gicht (mediz.).

Gichthungerwespen, s. Evaniidae.

Gichtiger Mund, im deutschen Mittelalter das Geständnis im Strafverfahren, auf Grund dessen Verurteilung erfolgen konnte. Zusammen genannt werden als Überführung vor dem Femgericht (s. d.) G. M., handhafte That (Ergreifung auf frischer That) und blickender Schein (Augenschein, wie wenn der Leichnam des Ermordeten vorgelegt wird).

Gichtknoten, s. Gicht (mediz.).

Gichtkörner des Weizens, s. Gallen (S.488 a).

Gichtmittel von Laville, s. Geheimmittel.

Gichtpapier (Charta resinosa s. anti-rheumatica), mit Schiffspech, Terpentin und Kolophonium getränktes Papier, das zum Einhüllen gichtkranker Glieder benutzt wird. Das sog. Hamburger G.