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Hebammenschulen – Hebbel
auch die Befugnisse und Pflichten der H. durch eigene, obrigkeitlich erlassene Hebammenordnungen genau bestimmt und geregelt. Der Unterricht in den Hebammenschulen, welcher gewöhnlich in besondern halbjährlichen Kursen erteilt wird, umfaßt das Wissenswerteste über den Bau und die Verrichtungen des menschlichen Körpers, insbesondere der bei der Empfängnis, der Schwangerschaft und Entbindung in Betracht kommenden Körperteile, ferner die Lehre von der Schwangerschaft, der regelmäßigen Geburt und dem regelmäßigen Wochenbett, die wichtigsten Abweichungen und Regelwidrigkeiten der genannten Zustände und die praktische Einübung aller jener Handreichungen und Dienstleistungen, deren die H. bei der Ausübung ihrer Kunst (der sog. Hebammenkunst) bedarf. Die Zahl der Lehrbücher, welche dem Hebammenunterricht zu Grunde gelegt werden (Hebammenbücher), ist beträchtlich; unter den neuern sind die von B. Schultze (8. Aufl., Lpz. 1887), Martin (4. Aufl., Stuttg. 1880), J. H. Schmidt (2. Aufl., Berl. 1850), Credé und Leopold (5. Aufl., Lpz. 1892) hervorzuheben. Nach vollendetem Unterricht wird jede H. einer besondern Prüfung unterzogen und dann obrigkeitlich verpflichtet, ehe sie zur Praxis zugelassen wird. Die Pflichten, welche jeder H. obliegen, sind folgende: sie soll zu allen Stunden des Tags und der Nacht bereit sein, den Schwangern, Kreißenden, Wöchnerinnen und neugeborenen Kindern, die ihrer Dienste bedürfen, ohne Zeitverlust zu Hilfe zu eilen; soll die Schwangern, welche sie um Rat fragen, eingehend über ihren Zustand, über ihr Verhalten und über den mutmaßlichen Termin der Entbindung unterrichten; späterhin den Gang der Geburt genau überwachen und die Gebärende nicht eher verlassen, als bis diese entbunden und außer jedweder Gefahr ist; bei regelwidrigen Geburtsfällen hat sie rechtzeitig und unbedingt die Hinzuziehung eines Geburtshelfers anzuordnen und bis zu dessen Eintreffen die ihr vorgeschriebenen Hilfen anzuwenden. Zur Verhütung des Kindbettfiebers hat sich die H. vor und bei der Entbindung sowie während des ganzen Wochenbetts der peinlichsten Reinlichkeit und Sauberkeit zu befleißigen und alle mit der Gebärenden oder Wöchnerin in Berührung kommenden Gerätschaften und Gegenstände vermittelst Carbolsäure oder anderer ihr vorgeschriebenen antiseptischen Mittel auf das gründlichste zu desinfizieren. (S. Kindbettfieber.) Bei ihren Besuchen der Wöchnerinnen soll die H. auch die erste Pflege der Neugeborenen übernehmen und den Müttern oder Wärterinnen über die weitere Pflege der Kinder die erforderliche Unterweisung erteilen, bei eintretender Erkrankung aber auf sofortige Einholung ärztlichen Rats dringen. Die H. ist ferner verpflichtet, jede von ihr vorgenommene Entbindung in ein tabellarisches Verzeichnis einzutragen und das letztere zu bestimmten Fristen dem Bezirksarzt oder Physikus zur Durchsicht und Prüfung vorzulegen, auf Verlangen auch vor Gericht über den körperlichen Zustand einer bestimmten Person Zeugnis abzulegen. Nach §. 300 des Deutschen Strafgesetzbuchs werden H. mit Geldstrafe bis zu 1500 M. oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten – jedoch nur auf Antrag (s. Antragsdelikt) – bestraft, wenn sie unbefugt Privatgeheimnisse (s. d.) offenbaren, die ihnen kraft ihres Gewerbes anvertraut sind. Das Österr. Strafgesetz (§. 498) straft in diesem Falle mit Untersagung der Praxis auf längere oder kürzere Dauer.
Bei der Wahl einer H. ziehe man sorgfältige Erkundigungen über ihre Geschicklichkeit und Tüchtigkeit ein, sehe auf angenehme Persönlichkeit, Reinlichkeit und auf ein gewisses Maß von physischer Kraft und verabsäume dabei nicht, den Rat seines Hausarztes einzuholen.
Vgl. Lion, Handbuch der Medizinal- und Sanitätspolizei (Iserl. 1862‒75); Wachs, Die Organisation des preuß. Hebammenunterrichts nach den Anforderungen der Gegenwart (Lpz. 1874). Eine «Allgemeine deutsche Hebammenzeitung» erscheint seit 1886 in Berlin.
Hebammenschulen, s. Geburtshilfe und Hebamme.
Hebbel, Friedr., Dichter, geb. 18. März 1813 zu Wesselburen in Dithmarschen als Sohn eines Landmanns, wuchs bei dürftiger Bildung und fast gänzlichem Mangel an geistiger Anregung heran; im Alter von 15 J. wurde er Schreiber bei dem Kirchspielvogt seiner Heimat; doch genügte diese Lage dem sich immer mächtiger regenden Talent nicht lange. Er trat brieflich mit Uhland in Verbindung und sandte einige seiner Gedichte an Amalie Schoppe in Hamburg, die dem jungen Dichter die lebhafteste Teilnahme zuwandte. So kam H., bereits 22 J. alt, nach Hamburg, bereitete sich hier für den Besuch der Universität vor und studierte dann zu Heidelberg und München Philosophie, Geschichte und Litteratur. Nachdem er 1841 zu München promoviert hatte, kehrte er nach Hamburg zurück und trat hier mit seinem Trauerspiel «Judith» (Hamb. 1841; 2. Aufl. 1873) hervor. 1842 wandte er sich nach Kopenhagen, wo er in nähere Beziehungen zu Thorwaldsen und Öhlenschläger trat und vom König von Dänemark ein Reisestipendium erhielt; 1843 begab er sich nach Paris, lebte dann eine Zeit lang in Italien, besonders zu Rom, Pisa und Palermo, und kam auf der Rückreise im Frühjahr 1846 nach Wien. Hier heiratete er die Schauspielerin Christine Enghaus (geb. 9. Febr. 1817 zu Braunschweig) und nahm nun seinen bleibenden Wohnsitz in Wien. Nach langwierigem Leiden starb er daselbst 13. Dez. 1863. In Wesselburen wurde ihm 1887 ein Denkmal errichtet.
H. war ein nach dem Höchsten strebender Geist von echt künstlerischer Begeisterung, von gewaltiger Kraft der Phantasie und von großem Ernst des Denkens. Unter seinen dichterischen Werken nehmen seine Dramen weitaus den ersten Rang ein. An seine Tragödie «Judith» schlossen sich zunächst an «Genoveva» (Hamb. 1843) und «Maria Magdalena» (ebd. 1844), ein bürgerliches Trauerspiel mit theoretisch-kritischem Vorwort. Eine zweite Reihe bilden «Herodes und Mariamne» (Wien 1850), «Julia» (Lpz. 1851), «Michel Angelo» (Wien 1855), «Agnes Bernauer» (ebd. 1855) und «Gyges und sein Ring» (ebd. 1856). H.s letztes Stück waren die mit einem Preise von 1000 Thlrn. gekrönten «Nibelungen» (2 Bde., Hamb. 1862; 3. Aufl. 1874), eine Tragödie in drei Abteilungen, von denen die zweite, «Siegfrieds Tod», in ihrer Komposition die gelungenste und bühnengerechteste ist. Sein bis auf einige Scenen vollendeter «Demetrius» (Hamb. 1864) ward erst nach seinem Tode veröffentlicht. Ein für Rubinstein 1858 gedichteter Operntext blieb ungedruckt. Als Dichter knüpfte H. an die Richtung Grabbes an. Er teilt mit diesem die große Vorliebe für das Außergewöhnliche, Seltsame und Bizarre, bewegt sich ebenfalls in Extremen und verfehlt deshalb oft das rechte Maß der Schönheit und künst- ^[folgende Seite]