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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Rechtswissenschaft - Recipient

Rechtswissenschaft oder Rechtsgelehrsamkeit (lat. jurisprudentia), die aus ihren letzten Gründen entwickelte Kenntnis des Rechts, und zwar nicht bloß nach den positiven Gesetzen eines Staates, sondern an und für sich und überhaupt. Denn nicht bloß über das, was in einem gegebenen Staate jetzt als Recht gilt, sondern auch darüber, wie es Recht geworden ist, und über das, was Recht sein sollte, muß die R. Auskunft geben. Sie ist demnach eine empirisch-rationale Wissenschaft, indem einerseits die Kenntnis der menschlichen Verhältnisse, welche nur durch Erfahrung möglich ist (Geschichte), vorausgehen muß, wenn Regeln für jene Verhältnisse aufgestellt werden sollen, andererseits aber die Erfahrung niemals hinreicht, eine moralische Notwendigkeit, wie sie dem Begriff des Rechts zu Grunde liegt, darzuthun. Daher ist die geschichtliche Behandlung der R. ebenso unentbehrlich als eine rationale und jede für sich allein unzureichend. Die Trennung beider Richtungen der R. darf nur eine formale sein und es ergeben sich daraus als Zweige derselben: 1) die rationale oder philos. Rechtslehre; 2) die historische und 3) die dogmatische Behandlung des Rechts. Die philos. Rechtslehre (s. Rechtsphilosophie) entwickelt das oberste Gesetz des Rechts aus der menschlichen Vernunft (reine Rechtslehre) und wendet solches auf die unter den Menschen möglichen Verhältnisse an (angewandte Rechtslehre). Die histor. Behandlung des Rechts stellt sich dar in der umfassendsten Lösung ihrer Aufgabe als allgemeine Rechtsgeschichte, d. h. Geschichte der Gesamtentwicklung des Rechts in der Menschheit, wie sie von Montesquieu, Warnkönig, Bastian und Post, insbesondere für einzelne Materien von Gans, J. D. Meyer, Laveleye, Maine, Kohler, Westermarck versucht wurde. Mehr ist für die Specialrechtsgeschichte einzelner Völker und Zeiten und für den Nachweis ihres Zusammenhangs mit der gesamten Staats- und Kulturgeschichte geleistet. Man pflegt hier zu unterscheiden zwischen äußerer Rechtsgeschichte oder Geschichte der Rechtsurkunden und Quellen und innere Rechtsgeschichte oder Geschichte der Rechtsdogmen. Am fleißigsten ist die Geschichte des Römischen Rechts (s. d.) bearbeitet worden; für die des Deutschen Rechts (s. d.) brach Eichhorns «Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte» (5. Aufl., 4 Bde., Gött. 1843‒45) die Bahn zur tiefern wissenschaftlichen Behandlung, in der sodann Zöpfl, Walter, Schulte, Brunner, Gierke, Schröder, Heusler u. a. fortschritten. Auch die Rechtsgeschichte der übrigen europ. Völker ist neuerdings vielfach von Deutschen bearbeitet worden, wie die französische und flandrische von Stein und Warnkönig, die englische von Phillips und Gneist, die nordische von Maurer und von Amira, die italische von Ficker u. s. w. Die philos. und histor. Darstellung bahnt den Weg zu einer richtigen dogmatischen Darstellung des Rechts, welche die Aufgabe hat, die allgemeinen leitenden Grundsätze und die besondern positiven Bestimmungen in der Anwendung auf die vorkommenden Verhältnisse zu entwickeln. Die Dogmatik des Rechts läßt die R. in zwei Haupteile ^[richtig: Hauptteile], die theoretische und die praktische R., zerfallen, von denen die letztere der Inbegriff von Regeln ist, wonach die rechtlichen Bestimmungen, welche die erstere kennen lehrt, in Anwendung gebracht werden. Hauptgegenstand der praktischen R. ist das Prozeßrecht, sowohl der Civil- als der Kriminalprozeß; als Nebenwissenschaft gehört ihr unter anderm die Referierkunst an. Viel umfassender ist die theoretische R. Sie wird gewöhnlich eingeteilt in: 1) Privatrecht, auch als Civilrecht aufgefaßt. Dasselbe zerfällt a. nach seiner geschichtlichen Entwicklung in röm. (Civil-) Recht, deutsches Privatrecht und das Partikularrecht der einzelnen jetzigen Staaten, wobei noch das kanonische für die Rechtsentwicklung in Deutschland in Betracht kommt; b. nach der systematischen Seite in Sachen-, Obligationen-, Familien- und Erbrecht, wozu als besondere Lehren noch das Lehn-, Wechsel-, Handels-, Konkurs-, Seerecht treten. 2) Öffentliches Recht, umfassend Staats- oder Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht mit Rechts-, Wohlfahrts- oder Kulturpflege. 3) Völkerrecht, internationales Privatrecht und Kirchenrecht. Eine in Verbindung mit Ethnologie gepflegte junge Wissenschaft ist die vergleichende R., in Deutschland gefördert durch Kohler, Bernhöft, Cohn, Leist, Post, sowie die «Zeitschrift für vergleichende R.» (seit 1878) und die «Internationale Vereinigung für vergleichende R. und Volkswirtschaftslehre zu Berlin» (seit 1894). Encyklopäd. Darstellungen der gesamten R. schrieben in Deutschland Warnkönig, Ahrens, Bluhme, Walter, Goldschmidt, Gareis, Merkel. Rechtslexika gaben Weiske (15 Bde., Lpz. 1839‒61) und von Holtzendorff («Encyklopädie», 5. Aufl., ebd. 1890; «Rechtslexikon», 3. Aufl., ebd. 1880‒81) heraus. – Vgl. Meili, Die neuen Aufgaben der modernen Jurisprudenz (Wien 1892); ders., Die Gesetzgebung und das Rechtsstudium der Neuzeit (Dresd. 1894).

Rechtswohlthat, s. Beneficium.

Rechtszuständigkeit, s. Zuständigkeit.

Recht zur Sache (Jus ad rem). Nach Preuß. Allg. Landrecht reicht das Forderungsrecht des Gläubigers gegen den Schuldner auf Lieferung einer Sache weiter als nach andern Rechten. Nach diesen bindet die Schuld nur den Schuldner, nicht den Dritten, welcher von dem Schuldner dieselbe Sache, wenn schon mit sicherer Kenntnis davon, daß sie derselbe jenem Gläubiger schuldet, erwirbt. Das Preuß. Allg. Landrecht giebt auch einen Anspruch gegen den Dritten auf Herausgabe der Sache. Dasselbe ist vom Reichsgericht angewendet bei Ansprüchen auf Übertragung eines Erfindungspatents. Dieses R. z. S. gilt aber bei Forderungsrechten auf Auflassung (s. d.) eines Grundstückes nach dem preuß. Gesetze vom 5. Mai 1872 insoweit nicht, als die Kenntnis des Erwerbers eines Grundstückes von einem ältern Rechtsgeschäft, welches für einen andern ein Recht auf Auflassung dieses Grundstückes begründet, dem Eigentumserwerb nicht entgegensteht. Ebenso soll der Erwerb eines eingetragenen dinglichen Rechts dadurch nicht gehindert werden, daß der Erwerber das ältere Recht eines andern auf Eintragung eines widerstreitenden dinglichen Rechts gekannt hat. Will sich in dieser Beziehung der Gläubiger sichern, so muß er seinen Anspruch auf Auflassung oder Erwerb des dinglichen Rechts im Wege einer Vormerkung im Grundbuch (s. d.) eintragen lassen.

Recidīv (lat.), s. Rückfall.

Recief, s. Empfangschein.

Recīfe (spr. reß-), brasil. Hafen, s. Pernambuco.

Recĭpe (lat.), nimm! (auf Rezepten).

Recipiént (lat.), bei der Destillation das zur Aufnahme des Destillats bestimmte Gefäß; bei der Luftpumpe die Glocke, in der Gegenstände der Wirkung der Luftleere ausgesetzt werden sollen; in der