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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Spanien (Geschichte 1833-68)

28. Aug. nach Portugal gebracht, ihre Güter mit Beschlag belegt. Am 8. Nov. 1854 traten die konstituierenden Cortes zusammen, in denen die Progressisten die Mehrheit hatten. Von allen Beschlüssen der Cortes hatten nur die volkswirtschaftlichen Maßregeln (Eisenbahnen, Telegraphen und Banken) und die Gesetze über den Verkauf der Kirchen-, Kloster-, Stiftungs-, Gemeinde- und Staatsgüter eine weitgreifende Bedeutung. Von diesen sog. Nationalgütern wurden bis Ende 1861 für 6519 Mill. Realen (1434 Mill. M.) verkauft, großenteils in kleinern Parzellen. Dies trug nicht wenig zur Hebung und Verstärkung eines selbständigen Bauernstandes bei, der bis dahin in S. nur in sehr beschränktem Maße vorhanden war. Zugleich wurden damit die Mittel für große öffentliche Bauten u. s. w. und zur Ordnung der zerrütteten Finanzen gewonnen. Dagegen zogen sich die Beratungen der Cortes über die Neuordnung der Verfassungszustände unter heftigen Parteikämpfen fast zwei Jahre lang hin. Die Abdankung des Ministers des Innern, Escosura, zog auch den Rücktritt Esparteros 14. Juli 1856 nach sich, worauf O'Donnell das Kabinett reorganisierte. Die durch diesen Ministerwechsel veranlaßten ultraprogressistischen Schilderhebungen in Madrid und Barcelona wurden nach blutigen Straßenkämpfen unterdrückt. Schon 12. Okt. 1856 mußte aber O'Donnell einem Ministerium Narvaez weichen, in welchem der Minister des Innern, Nocedal, eine hervorragende Rolle spielte. Das Konkordat mit dem Papst wurde 16. Okt. wiederhergestellt, die Jesuiten zurückgerufen, strenge Preßverordnungen erlassen, die Errungenschaften der Revolution von 1854 wieder aufgehoben. Doch auch damit war die absolutistische Hofpartei noch nicht zufrieden. Narvaez wurde gestürzt. Es folgten rasch nacheinander das Ministerium Armero im Okt. 1857, das Ministerium Isturiz im Jan. 1858 und das Ministerium O'Donnell 30. Juni 1858. Die Geburt eines Prinzen von Asturien (des spätern Königs Alfons XII.) 28. Nov. 1857 änderte nichts an dem Mißverhältnis zwischen Volk und Königin, die sich durch Sittenlosigkeit um alle Achtung gebracht hatte.

Das Ministerium O'Donnell, aus der Liberalen Union hervorgegangen, behauptete sich beinahe fünf Jahre lang. Gestützt auf eine ansehnliche Armee und Flotte, trat die span. Politik nach außen kräftig auf. Schon 1858 beteiligte sich S. bei der franz. Expedition gegen Annam (Cochinchina), wo die Mißhandlung kath. Missionare gerächt werden sollte. Nach langwierigen Händeln mit Marokko (s. d.) erklärte es 22. Okt. 1859 den Krieg. Im Friedensvertrage vom 26. April mußte sich Marokko zu einer Kriegskontribution von 20 Mill. Piaster und zu einer Gebietsabtretung bei Ceuta verstehen. Während dieses Feldzugs hatte in S. die karlistische Partei sich wieder erhoben. Der Generalkapitän der Balearischen Inseln, General Ortega, landete 3. April 1860 mit einer Truppenabteilung bei Tortosa an der Ebromündung und erhob die Fahne des Aufstandes. Auch der Graf Montemolin (Don Carlos), begleitet von seinem Bruder Fernando, von Cabrera u. a., erschien daselbst und wurde als König Karl VI. proklamiert. Aber Ortega ward gefangen und kriegsrechtlich erschossen; die beiden Söhne des Don Carlos wurden gleichfalls ergriffen und erst, nachdem sie 23. April 1860 förmlich ihren Thronansprüchen entsagt hatten, wieder in Freiheit gesetzt und über die span. Grenze gebracht. 1861 unterwarf die Dominicanische Republik, auf der vormals span. Osthälfte der Insel Haiti, freiwillig sich wieder der span. Herrschaft. Die Vereinigten Staaten von Amerika konnten wegen des Bürgerkrieges im eigenen Lande dagegen ebensowenig einschreiten wie gegen die Expedition nach Mexiko, an der neben Frankreich und England sich auch S. durch Konvention vom 31. Okt. 1861 beteiligte. Bereits 8. Dez. erschien ein von Habana abgeschicktes span. Geschwader vor Veracruz und nahm diese Stadt nebst den Hafenforts 18. Dez. 1861 ohne Schwertstreich in Besitz. Dann folgte eine größere span. Streitmacht unter dem Oberbefehl des Generals Prim. Die Spanier und Engländer wollten jedoch den franz. Eroberungsplänen nicht dienen und verständigten sich mit der mexik. Regierung. Prim schiffte seine Truppen 25. April 1862 in Veracruz wieder ein. Eine Spannung innerhalb der Liberalen Union hatte die Auflösung des Ministeriums O'Donnell zur Folge, das 15. Jan. 1863 abdanken mußte, unter O'Donnell sich neu bildete, aber schon 26. Febr. wieder zurücktrat.

Seitdem begann in S. eine Periode voll polit. Schwankungen und zügelloser Parteikämpfe. Die reaktionären Ministerien Miraflores (März 1863), Arrazola (Jan. 1864) und Mon (März 1864) lösten sich rasch ab. Am 16. Sept. 1864 bildete Narvaez wieder ein Moderadokabinett. Sofort wurde Maria Christina nach zehnjähriger Verbannung wieder nach Madrid berufen. Das neu erworbene Santo Domingo hatte sich bereits 20. Aug. 1863 wieder gegen die span. Herrschaft erhoben. Alle Versuche S.s, die Insel wiederzuerobern, scheiterten. Mit Zustimmung der Cortes wurde 5. Mai 1865 die span. Oberhoheit über Santo Domingo aufgegeben. Ein Zwiespalt mit Peru, infolgedessen ein span. Geschwader die Chincha-Inseln occupierte, wurde durch den Frieden vom 27. Jan. 1865 beigelegt. Am 19. Juni 1865 mußte Narvaez vor der allgemeinen Unzufriedenheit zurücktreten. Marschall O'Donnell wurde Ministerpräsident und Marschall Serrano Generalkapitän von Madrid. Damit begann ein Umschwung in liberaler Richtung. Die Presse erhielt größere Freiheit, ein neues Wahlgesetz ermäßigte den Census bis auf die Hälfte, der Verkauf der Kirchengüter ward wieder energisch aufgenommen. Gleichzeitig gab es neue Händel mit den südamerik. Republiken. Wegen angeblicher Verletzung der Neutralität während des span.-peruan. Zwiespaltes hatte S. von Chile (s. d.) Genugthuung gefordert. Peru, Ecuador und Bolivia schlossen mit Chile ein Bündnis gegen S. Eine brit.-franz. Vermittelung wurde von den verbündeten vier Republiken abgelehnt.

Die Neuwahlen vom 1. Dez. 1865 verschafften der Regierung eine große Mehrheit. Der Aufstand des Generals Prim 3. Jan. 1866 scheiterte an der geringen Beteiligung des Volks, und der Militäraufstand vom 22. Juni 1866 in Madrid wurde von O'Donnell niedergeschlagen. Die Cortes bewilligten auf Antrag des Ministeriums die Suspendierung der konstitutionellen Garantien. Am 11. Juli verabschiedete die Königin Isabella das Ministerium O'Donnell, und Narvaez bildete ein Moderadokabinett, in dem Gonzalez-Brabo das Innere übernahm. Die neue Regierung war bemüht, durch die strengsten militär. und polizeilichen Maßregeln die Anarchie zu bändigen. Aber als im Dezember die Cortes zusammentraten, erhob sich eine heftige