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Unfallverhütung – Unfallverhütungsvorschriften
pflichtigen Gewerbe erfolgten Unfälle bezieht. Eine wertvolle Ausbeute liefern schon jetzt die «Rechnungsergebnisse der Berufsgenossenschaften», die in den «Amtlichen Nachrichten des Reichsversicherungsamtes» veröffentlicht werden. Das bis jetzt vorliegende Material bezieht sich auf die Rechnungsjahre 1886 bis einschließlich 1895. In letzterm Jahre betrug die Zahl der auf Grund der Unfallversicherungsgesetze versicherten Personen 18357000. Von ihnen trugen 310139 Verletzungen davon, und zwar hatten 75527 Verletzungen eine Erwerbsunfähigkeit von mehr, und 234612 eine solche von weniger als 13 Wochen zur Folge. Letztere Zahl ist übrigens in Wirklichkeit etwas größer, da diese nicht auf Grund des Unfall-, sondern des Krankenversicherungsgesetzes zu entschädigenden Verletzten bisher noch nicht völlig zutreffend ermittelt werden konnten. Unter Aussonderung der Verletzten mit Erwerbsunfähigkeit von mehr als 13 Wochen (es sind dies die schwerern, auf Grund des Unfallversicherungsgesetzes zu entschädigenden Unfälle) liefert die bisherige Statistik folgendes Bild:
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Jahre Versicherte Verletzte Auf 1000 Versicherte kommen
überhaupt darunter Schwerverletzte Verletzte überhaupt darunter Schwerverletzte
1886 3725313 100159 10540 27,6 2,9
1887 4121537 115579 17102 28,0 4,1
1888 10343678 138057 21236 13,3 2,5
1889 13374566 174874 31449 13,1 2,3
1890 13619750 200001 42038 14,7 3,1
1891 18015286 225337 51209 12,5 2,8
1892 18014280 236263 55654 13,1 3,1
1893 18118850 264130 62729 14,6 3,5
1894 18191747 282982 69619 15,5 3,8
1895 18389468 310139 75527 16,8 4,1
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Die in diesen Verhältniszahlen zum Ausdruck kommende Unfallgefahr hat sich im Laufe der Jahre sehr verschieden gestaltet, und zwar, wie auch die Zahl der Versicherten erkennen läßt, in allererster Linie deshalb, weil der Kreis der in die Unfallversicherung aufgenommenen Betriebe während der J. 1886‒91 ganz erheblich erweitert worden ist. (S. Unfallversicherung.) So hat allein der Umstand, daß 1888 zum erstenmal die bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften versicherten Personen mit in Rechnung gezogen worden sind, die durchschnittliche allgemeine Unfallgefahr um die Hälfte vermindert. Die Gefährlichkeit der einzelnen Betriebsarten ist denn auch eine sehr verschiedene. Während 1895 bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften auf 1000 Versicherte nur 6,56 Verletzte entfielen, betrug der Promillesatz bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften 37,9. Zu den hervorragend gefährlichen Betriebszweigen gehören die Hütten- und Eisen- und Walzwerke, Bergbaubetriebe, Gas- und Wasserwerke, Brauerei- und Mälzereibetriebe und die Speditions-, Speicherei- und Keltereigewerbe, alle mit mehr als 50 Verletzten überhaupt auf 1000 Versicherte im J. 1895; zu den wenig gefährlichen zählen Tabak-, Seiden-, Textil-, Bekleidungsindustrie und das Buchdruckergewerbe mit weniger oder wenig mehr als 10 Promille Verletzten im J. 1895. Unter sämtlichen Schwerverletzten dieses Jahres befanden sich 1351 Personen mit dauernder völliger Erwerbsunfähigkeit und 5857 Getötete. Ausführlicheres Material zur U. als die jährlichen Nachweise der Berufsgenossenschaften ist den besondern Bearbeitungen zu entnehmen, welche seitens des Reichsversicherungsamtes bezüglich der Ergebnisse der U. der gewerblichen Berufsgenossenschaften für 1887 und der landwirtschaftlichen für 1891 vorgenommen worden sind. Es handelt sich bei beiden Sondererhebungen hauptsächlich um Feststellungen über die Art der Verletzungen sowie über Hergang und Ursachen der Unfälle, um daraufhin geeignete Maßnahmen für die Zwecke der Unfallverhütungen treffen zu können.
In gleicher Ausführlichkeit wie diese deutsche U. ist, wenn auch mit Beschränkung auf einen erheblich kleinern Beobachtungskreis, die österreichische U. der dortigen staatlichen Unfallversicherungsanstalten ausgebildet. Alle übrigen Länder besitzen eine allgemeine U. noch nicht, sondern nur mehr oder minder eingehende Specialstatistiken über gewisse Betriebszweige (Bergwerke, Eisenbahnen u. s. w.).
Litteratur. E. Gruner, Mélanges statistiques relatifs aux assurances sociales (Par. 1893); Artikel Unfallstatistik im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften»; Heimann, Die Ergebnisse der berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung (Berl. 1897).
Unfallverhütung, die Gesamtheit der Bestrebungen, die die in industriellen Betrieben beschäftigten Arbeiter möglichst vor Unfällen (s. d.) zu schützen sucht. Dieser Zweck wird durch zweierlei Maßnahmen erreicht; erstens durch technische Sicherheitsvorrichtungen (s. d.), zweitens durch zweckentsprechende Vorschriften für die Arbeiter. Die U. ist im Deutschen Reiche gesetzlich geregelt (s. Unfallverhütungsvorschriften). – Im weitern Sinne gehören hierher auch jene Vorkehrungen, die bei einmal entstandenen Unfällen die schlimmen Folgen durch rechtzeitige Hilfe, die den Verunglückten gebracht wird, zu verhüten suchen, z. B. die Sanitätswachen und neuerdings die Unfallstationen (s. d.) in großen Städten. – Vgl. «Zeitschrift für Gewerbehygieine, U. und Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen» (Wien 1894 fg.).
Unfallverhütungsvorschriften, durch Reichsgesetz vom 6. Juli 1881 angeordnet, sind zur Durchführung der Unfallversicherung von den Berufsgenossenschaften zu erlassen (§. 16). Sie bezwecken nicht nur, das Leben und die Gesundheit des Arbeiters durch Schutzvorkehrungen vor Unfällen zu bewahren, sondern es soll auch dadurch eine finanzielle Entlastung der Genossenschaften herbeigeführt werden durch Verhütung entschädigungspflichtiger Unfälle. Die U. sind von der Genossenschaftsversammlung, also im Wege der Selbstverwaltung, festzusetzen, sind zur Begutachtung und Beratung 3 Vertretern der Arbeiter vorzulegen, unterliegen aber der Genehmigung des Landes- oder des Reichsversicherungsamtes. Die Durchführung wird durch besondere Beamte, die Beauftragten (s. d.) der Berufsgenossenschaften, kontrolliert (§. 82). Von der Befugnis zum Erlaß von U. haben bisher 55, d. i. 93 Proz. aller industriellen, dagegen erst wenige landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften Gebrauch gemacht. Mittels Rundschreibens vom 30. Juni 1895 hat das Reichsversicherungsamt daher einen Entwurf von Normalunfallverhütungsvorschriften für land- und forstwirtschaftliche Betriebe veröffentlicht, und den Erlaß solcher U. dringend empfohlen. Auch der Verband der deutschen Berufsgenossenschaften hat Normalunfallverhütungsvorschriften für industrielle Betriebe ausgearbeitet, die auf dem zehnten Berufsgenossenschaftstage 1896 angenommen wurden. Für Nichtbefolgung der U. seitens der Unternehmer sind Zuschläge zu den von ihnen zu