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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Zunftrolle; Zunftwappen; Zunftzwang; Zunge

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Zunftrolle – Zunge

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Zünfte'

überall die gewerblichen Vorrechte der Z. bestehen, wenngleich die veränderte Gestalt des technischen Betriebes, die Entstehung ganz neuer Gewerbe, welche demnach unzünftig blieben, die Ausbildung des Fabrikprincips und die Berührung der Handwerker mit Handel und Fabriken in der Praxis mannigfache Milderungen der alten Strenge erzeugten. In England hatte das Zunftwesen schon im vorigen Jahrhundert alle praktische Bedeutung verloren, wenn auch in den ältern Städten die Z. als bürgerliche Korporationen ohne gewerblichen Charakter noch beute bestehen. In den rasch aufgeblühten neuern Fabrik- und Handelsstädten dagegen gab es von Anfang an keine Z., sie sind zu nennenswerter Bedeutung da auch später nicht gelangt.

In Frankreich machte Turgot 1776 einen ersten, jedoch unglücklichen Versuch zur Aufhebung der Z., die erst mit einem Schlage 1791 erfolgte. An ihre Stelle trat die volle Gewerbefreiheit, und Gleiches geschah später auch in den von der Französischen Revolution unmittelbar berührten Ländern. In den deutschen Staaten verlief der Auflösungsprozeß der Z. langsamer und in gleichem Schritt mit Entfaltung der wirtschaftlichen Interessen. (S. Gewerbegesetzgebung.) Das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 8. Juli 1868 löste die Frage für sämtliche Bundesstaaten durchgreifend, indem hiermit die Z. und kaufmännischen Korporationen einfach das Recht verloren, andere vom Betriebe eines Gewerbes auszuschließen. Über die Bemühungen, die freien Innungen wieder in eine neue Form der Z. umzuwandeln und den Beitritt zu denselben zu erzwingen, s. Innungen.

Das für die Z. geltende Recht ist niedergelegt in den Zunftrollen, auch Zunftbriefe, Amtsrollen, in Norddeutschland Schragen genannt.Es sind die auf Pergament niedergeschriebenen, in der Zunftlade zusammengerollt aufbewahrten Statuten der Handwerker. Von ihnen zu unterscheiden sind die Ordnungen oder Ordinanzien, d. h. Anordnungen des Rats, und die Beleihungen,d. h. Beschlüsse der Zunftmitglieder unter sich. Die Zunftrollen wurden oft von den Handwerkern selbst aufgesetzt, mußten aber jedenfalls vom Rat der Stadt bestätigt werden.

Die wirtschaftliche Bedeutung des Zunftwesens war in seiner Blütezeit sehr groß. Die Zunft vertrat mit Nachdruck die Interessen der Produzenten und ließ sich angelegen sein, dem Einzelnen ein standesgemäßes Einkommen zu gewährleisten, aber sie erkannte auch die Bedürfnisse der Konsumenten an und hielt sich für verpflichtet, für tadellose, gute Waren und Leistungen Sorge zu tragen. Auch erfüllte sie polit. Funktionen und pflegte gesellige Beziehungen der Zunftgenossen. (S. Association, Freizügigkeit, Gewerbe, Gewerbegesetzgebung, Handwerk.)

Die auch jetzt noch von den Innungen geführten Zunft- und Gildenwappen sind keineswegs,wie zuweilen angenommen wird, einheitliche und überall in derselben Gestalt gültige Embleme, sondern zeigen wechselnde Formen an den verschiedenen Orten. Die auf den beifolgenden Tafeln: Zunftwappen I und II zusammengestellten Wappen bilden gewissermaßen die Quintessenz aus der ungeheuren Menge des vorhandenen Materials.

Vgl. Hüllmann, Über das Städtewesen im Mittelalter (4 Bde., Bonn 1825–29); Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland (4 Bde., Erlangen 1869–71); Wehrmann, Die ältern ↔ Lübeckischen Zunftrollen (Lübeck 1864); Rüdiger, Die ältesten Hamburgischen Zunftrollen (Hamb. 1895); Bodemann, Die ältern Zunfturkunden der Stadt Lüneburg (Hannov. 1883); Schönberg, Zur wirtschaftlichen Bedeutung des deutschen Zunftwesens im Mittelalter (Berl. 1868); Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht, Bd. 1 (ebd. 1868); Brentano, Die Arbeitergilden der Gegenwart, Bd. 1 (Lpz. 1871); Stahl, Das deutsche Handwerk (Bd. 1, Gieß. 1874); Stieda, Die Entstehung des deutschen Zunftwesens (Jena 1876); Schanz, Zur Geschichte der deutschen Gesellenverbände (Lpz. 1877); Schmoller, Die Straßburger Tucher- und Weberzunft (Straßb. 1879); Neuburg, Zunftgerichtsbarkeit und Zunftverfassung u. s. w. (Jena 1880); Artikel «Zunftwesen» von Stieda im «Handwörterbuch der Staatswissenschaften», Bd. 6 (ebd. 1894); Brügel, Die Ansbacher Schneiderzunft. Ein Beitrag zur Geschichte des Zunftwesens (Ansbach 1897).

Zunftrolle, Zunftwappen, Zunftzwang, s. Zünfte.

Zunge (Lingua, Glossa), das flache, vorn spitze, hinten breite Muskelorgan, das frei beweglich auf dem Boden der Mundhöhle liegt (s. Tafel: Mund- und Nasenhöhle des Menschen, beim Artikel Mund),wird von drei Muskelpaaren (Fig. 2) gebildet, die an benachbarten Knochen befestigt sind. Das eine Paar, der Kinnzungenmuskel (musculi genioglossis), entspringt von der Innenseite des Kinns, erstreckt sich ein Stück nach hinten und schlägt sich nach oben und vorn; dasselbe bewirkt das Hervorstrecken der Z. Das andere Paar, der Zungenbein-Zungenmuskel (musculi hyoglossis), entspringt vom Zungenbein und vermag die Z. nach hinten zu ziehen. Das dritte Paar, das seitlich von der Mundhöhle, vom Griffelfortsatz des Schläfenbeins seinen Ursprung nimmt, sind die Griffelzungenmuskeln (musculi styloglossis); es hebt die Z. in die Höhe. Außerdem enthält die Z. noch eigene, nicht an Knochen sitzende Muskeln, die sich vielfach mit den genannten durchkreuzen und die Gestalt der Z. verändern, sie wölben, rinnenförmig ausbuchten, zuspitzen u. s. w. Die gesamte Muskelmasse der Z. steckt in einem von Schleimhaut gebildeten Überzug, welcher unten durch ein schmales Bändchen, das Zungenbändchen (frenulum linguae), an dem Boden der Mundhöhle befestigt ist und ihre Beweglichkeit bis zu einem gewissen Grade beschränkt. Ist das Zungenbändchen zu kurz oder reicht es zu weit nach vorn, so ist es nötig,um der Z. die erforderliche Beweglichkeit zu erteilen,dasselbe einzuschneiden (Lösen der Z.). Das hintere Ende der Z. heißt die Zungenwurzel (radix linguae), das vordere Ende die Spitze (apex),die nach oben gekehrte Fläche der Rücken (dorsum). Auf letzterm hat die Schleimhaut der Z. zahlreiche,teils kurze kegelförmige, teils längere zugespitzte oder fadenförmige Wärzchen, die sog. Zungen- oder Geschmackswärzchen (papillae linguae s. gustus),neben zahlreichen Schleimdrüsen. Die Zungenspitze vermittelt zugleich mit dem Gaumen die Geschmacksempfindungen; doch nehmen nur die Seitenränder der Z. solche wahr. (s. Geschmack.)

Vermöge ihrer großen Beweglichkeit befördert die Z. die Speisen beim Kauen unter die Zähne, hilft den Bissen formen und ihn in den Schlund befördern. Je nach ihrer Gestaltung erteilt sie der Mundhöhle eine sehr wechselnde Form und beteiligt sich auf diese Weise bei der Lautbildung. Bei blödsinnigen Kindern ist die Z. gewöhnlich dick, träge und unbeholfen; bei halbseitiger Lähmung (infolge von

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 1038.