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Merck's Warenlexikon

Autorenkollektiv, Verlag von G. A. Gloeckner, Leipzig, Dritte Auflage, 1884

Beschreibung der im Handel vorkommenden Natur- und Kunsterzeugnisse unter besonderer Berücksichtigung der chemisch-technischen und anderer Fabrikate, der Droguen- und Farbewaren, der Kolonialwaren, der Landesprodukte, der Material- und Mineralwaren.

Schlagworte auf dieser Seite: Hadern; Hadernsurrogate

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Hadern - Hadernsurrogate

futter, zu Mützen, Beuteltuch etc. - S. Zolltarif im Anh. Nr. 11 a u. b.

Hadern ist die gebräuchlichste, passendste und auch älteste Benennung abgenutzter und für den menschlichen Gebrauch nicht mehr dienlicher, formloser Gewebestücke. Ursprünglich nannte man H. jedes Leinentuch (den Fetzhadern das Schnupftuch, den Handhadern das Handtuch, die Pranghadern den Halskragen und die Manchette) bis späterhin das nicht mehr brauchbare Zeug, gleichviel ob Leinen, Baumwollen, Wollen oder Seiden darunter verstanden wurde. Die Namen Lumpen, Lappen, Fetzen, Strazzen sind weniger zutreffend, weil darunter eigentlich nur Gewebeabfälle, unter H. aber auch die Abfälle andrer faserhaltiger Produkte, wie Gurten, Netze, selbst Taue, Stricke, Seile etc. verstanden werden. Mit Lump benannte man einst nur den Sammler weggeworfener Dinge, daher Haderlump für Hadernsammler, übertrug aber später den Namen auf die weggeworfenen Lappen der Gewebe selbst und alles Nichtsnutzige (Lumpenpack). -

Bis gegen Mitte dieses Jahrhunderts waren die H. das fast ausschließliche Rohmaterial der Papierfabrikation, da keine Rohfaserpflanze auch nicht annähernd so billige und für den Zweck der Papierbereitung so geeignete Fasern lieferte, als jene; seitdem hat jedoch die Technik verschiedenartige Ersatzmittel (s. Hadernsurrogate) aufgefunden, so daß die Alleinherrschaft der Hadern verloren gegangen ist. -

Weil aus allen möglichen unbrauchbar gewordenen Gewebeabfällen die H. gesammelt werden, so ist das Quantum derselben ein durch die Bevölkerung bedingtes und vom Süden nach dem Norden zu pro Kopf der Bevölkerung zunehmendes, so daß auf den Kopf der Bevölkerung im Süden 2 kg, auf den Kopf im Norden bis 8 kg zu rechnen sind. In runder Zahl produziert Europa jährlich 5 kg pro Kopf im Durchschnitt, was bei 320 Mill. Einwohnern 1600 Mill. kg beträgt, wovon 1000 Mill. auf vegetabilische, 600 Mill. auf animalische Gewebe zu verteilen sind, welche die Bevölkerung mit 8 Milliarden Mk. bezahlt hat, wofür sie aber nur 160 Mill. Mk. als H. wiedererhält. -

Die H. bestehen, infolge der Sammlungsweise, aus sehr verschiedenartig gemischten Stoffen vom feinsten Batistleinen und Baumwollspitzen bis zum geringsten Packleinen und allerlei groben Wollzeugen. Darum scheidet der Hadernhändler für den Großverkauf die Leinen-, Baumwollen-, Halbwollen-, Seiden- und Wollen-H. von einander und erhält von vegetabilischer Faser mindestens 8 Hauptsorten, die aus weißen Leinen, halbweißen, grauen, braunen, bunten Leinen, aus weißen, grauen und bunten Kattunen bestehen. Stricke, Netze, Säcke, Gurten, Watte etc. fallen besonders aus. Die wollenen H. wurden ehedem für Löschpapier und Pappen, zumeist aber zu Dünger verbraucht und hatten daher einen sehr geringen Preis, etwa 5 Mk. pro 100 kg. Seit 1860 aber, wo die Shoddy- (Kunstwoll-) Fabrikation ins Leben trat und aus den wollenen H. neue Gespinste und daraus die sog. Doppelstoffe und andre gemacht werden, sind die Preise der alten Tuche, umgewalkten Gewebe, der gewirkten und gestrickten Wollartikel auf 25-100 Mk. pro 100 kg gestiegen. -

Die Leinen-, Baumwollen- und andern vegetabilischen H. haben einen Preis von 12-50 Mk., deren Wert aus der Sortierung der Gewebe nach Weiße, Reinheit und Feinheit der Faden sich ergibt. Der Papierfabrikant teilt diese 8 Sorten des Hadernhändlers wieder in mindestens 30 Sorten, um die für die Fabrikation erforderlichen Qualitäten getrennt verwenden zu können. Auf den Hauptstapelplätzen Europas haben die H. des Großhandels gewisse Bezeichnungen oder Nummern oder Buchstaben. Wir haben oben bereits die Bezeichnungen angeführt; die Nummern nach Qualitäten sind I-VIII oder S.P.F.E.F., S.P.F.F., S.P.F., F.E., C.S.P.E.F., C.S.P.F., C.B.F., C.F.X. u. a. Die in den Papierfabriken sortierten Arten steigen dann noch höher im Preise, sodaß die gereinigten H. 20-60 Mk. wert sind. -

Schon in älteren Zeiten reichten die gesammelten H. für die Darstellung des in den Kulturstaaten benötigten Papiers nicht aus und es wurden darum den größeren Papiermachern von den Fürsten Sammlungs-Privilegien erteilt, wonach in einem gewissen (3-5meiligen) Umkreise „von der Mühle an gerechnet“ die gesammelten H. nur dem Privilegien-Inhaber (bei hoher Strafe der Übertretung) abgeliefert werden durften. Aus diesem Grunde war zugleich in allen Kulturstaaten das H.-Ausfuhrverbot von selbst gegeben. Noch bis zum Beginn des Zollvereins (1818) waren die deutschen Länderteile gänzlich gegen einander abgeschlossen, sodaß ein sächsischer Papiermacher von Preußen, Österreich, Bayern, Reuß oder Altenburg keine H. beziehen konnte, ja sogar 3-5 Meilen von der nächsten Papier- oder richtiger Hadernmühle entfernt keine H. einkaufen durfte. Während Rußland, Skandinavien, Finnland, die Türkei, Griechenland und teilweise die Küstenländer Italiens damals keinen eigentlichen Ausgangszoll, die andern Länder dagegen H.-Ausfuhrverbot hatten, wurde zuerst im Deutschen Zollverein ein Ausgangszoll von 9 Mk. pro Zollztr. (50 kg) erhoben und dieser Zoll 1854 auf 5 Mk. herabgesetzt, während Österreich, Frankreich, England noch Ausfuhrverbote behielten und die andern Länder den Zoll auf 3-6 Mk. für 50 kg stellten. Jetzt ist in Deutschland, Frankreich, England, Belgien die Ausfuhr ganz frei gegeben und in den andern Ländern beträgt der Zoll dafür noch 3-10 Mk. für 100 kg. - Außer Gewebeabfällen gehören altes Tauwerk, Stricke, Seile, Bindfaden, Fischernetze, Gurten, Jutesäcke, Bast, Watte und Flachs- und Baumwoll-Spinnerei-Abfall unter die H. - Einfuhr zollfrei.

Hadernsurrogate werden diejenigen Substanzen aus dem Pflanzen- und Steinreiche genannt, welche teils als Ersatzmittel der Hadernfaser, teils zur Beschwerung des Papiers (mithin das Fasergewicht zu vermehren) in der Papierfabrikation verwendet werden. Vor Ende des 16. Jahrhunderts machte man in Italien und dann auch in Österreich (Lombardei) Versuche, die fehlenden Hadern durch die Fasern in den Halmen der Getreidegräser zum Teil zu ersetzen, doch zeigte sich diese Fabrikation nicht als lohnend, weshalb man sie wieder aufgab. In Mitte des