Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Lehrform; Lehrfreiheit

638

Lehrform - Lehrfreiheit.

wesen, gegründet zu Meißen 1845, tagte seitdem jährlich in den Herbstferien. Im Sommer 1848 erging von Dresden aus die Aufforderung an alle deutschen Lehrer und Jugenderzieher (gleichviel, ob sie "dem Knaben das ABC aufschlössen oder den Jüngling in die heiligen Hallen der Wissenschaft einführten, ob sie an den erschienenen oder an einen künftigen Messias glaubten" etc.) zur Bildung eines Allgemeinen Deutschen Lehrervereins. Derselbe kam im Herbst 1848 zu Eisenach zu stande und gewann durch seine Verbreitung und seine feste Gliederung in Landes- und Bezirksvereine anfangs großen Einfluß, beschränkte sich aber von vornherein fast ausschließlich auf die Kreise der Volksschule und verfiel, je mehr mit dem Umsichgreifen der Reaktion ihm die Ungunst der Regierungen entgegentrat. Doch sind die Versammlungen des Vereins, deren Besuchsziffer einigemal bis gegen 5000 stieg, ziemlich regelmäßig abgehalten worden, seit 1876 abwechselnd mit einem Delegiertentag des deutschen und des preußischen Landeslehrervereins. Im J. 1887 tagte die 27. Lehrerversammlung in Gotha. Daneben hat sich inzwischen eine Anzahl ähnlicher Versammlungen von besonderer Richtung aufgethan, wie z. B. der deutsche evangelische Schulkongreß, dessen 4. Versammlung 1886 in Hannover stattfand. Der Verein für das höhere Mädchenschulwesen hielt seine 10. Hauptversammlung 1886 in Berlin, der 9. deutsche Seminarlehrertag tagte 1887 in Nürnberg, die 39. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Zürich 1887. Vgl. Weinlein, Geschichte der allgemeinen deutschen Lehrerversammlung (Leipz. 1887).

Lehrform, die äußere Art und Weise, in welcher der Lehrer dem Schüler Kenntnisse und Geschicklichkeiten beizubringen sucht. Es kann dies durch Vorzeigen von Gegenständen oder Abbildungen, durch Vormachen von Thätigkeiten, namentlich aber durch Vortrag oder durch Unterredung geschehen. Man unterscheidet demgemäß wohl deiktische (zeigende), akroamatische (vortragende) und dialogische oder erotematische (fragende) L. Während die deiktische L. auf der untersten Stufe des Unterrichts (Stufe der Anschauung) vorherrscht, ist die erotematische vorzugsweise für das weitere Schulleben geeignet, indem sie den Schüler zur eignen geistigen Thätigkeit anregt und, richtig gehandhabt, anleitet, neue Erkenntnisse aus gewonnenen Anschauungen zu finden (heuristische L.); die akroamatische L. tritt auf der höchsten Stufe des Unterrichts bereits erwachsener Zöglinge in den Vordergrund. Doch wird auf keiner Stufe eine der genannten Lehrformen ausschließlich zur Geltung kommen oder eine derselben ganz übersehen werden dürfen. Schon dem Kind muß erzählt, also vorgetragen, und durch Fragen Anleitung zum Nachdenken gegeben werden, und selbst auf der akademischen Stufe macht sich das Bedürfnis der Demonstrationen einer- und der Konversatorien, Disputatorien, Repetitorien etc. anderseits, wenn auch in den einzelnen Wissenschaften verschieden nach Art und Grad, immer wieder geltend. Auf der richtigen Verwendung und Verbindung dieser Lehrformen je nach der Beschaffenheit des Lehrgegenstandes und des Zöglings beruht zum großen Teil der Erfolg des Unterrichts; sie ist ein wesentlicher Teil der guten Unterrichtsmethode (s. Methode).

Lehrfreiheit, im weitern Sinn überhaupt die unbeschränkte geistige Mitteilung, also auch die Preßfreiheit (s. d.) umfassend, im engern Sinn das Recht öffentlicher Lehrer, einschließlich der Geistlichen, ihre Überzeugungen nach eignem Ermessen vorzutragen. Die Idee der L. ist eine durchaus moderne und hat sich mit einiger Klarheit erst herausbilden können, seit durch die Reformation der Staat als ein sittlich gleichberechtigtes Gemeinwesen neben der Kirche anerkannt ward. Weder die heidnischen und theokratischen Staaten des Altertums noch der christliche Staat des Mittelalters vermochten ihrem Wesen nach eigentliche L. zu gewähren, wenn auch thatsächlich namentlich im Altertum oft weitgehende Duldung geübt worden ist. Das spätere römische Recht unterschied zwischen Religiones licitae und illicitae; als Religio illicita wurde das Christentum verfolgt. Aus dem Kreis der Verfolgten wurden öfters Stimmen laut, welche Glaubens- und Bekenntnisfreiheit forderten. Doch war dies bald vergessen, als die Kirche zur Herrschaft gelangte und im Morgenland sich der Staatsgewalt in die Arme warf (Byzantinismus, Cäsareopapismus), im Abendland diese sich dienstbar zu machen wußte (Romanismus, Hierarchie). Die vielfachen Lehrstreitigkeiten des beginnenden Mittelalters endeten meist mit staatlicher Unterdrückung der einen Ansicht; die Staatsgewalt schloß auch die letzten heidnischen Philosophenschulen. Am folgenreichsten wurden in dieser Richtung die Gesetze Theodosius' I. und Valentinians II. zu gunsten der nicäischen Trinitätslehre. Auch ein so groß angelegter Geist wie Augustinus rechtfertigte die Anwendung des Zwanges mit dem mißdeuteten Befehl des Evangeliums: "Compelle (coge) intrare" (Luk. 14, 23: "Nötige sie, einzutreten!"). Das spätere Mittelalter hatte in der korporativen Selbständigkeit der Universitäten einen gewissen Ersatz der L. Allein die scholastische Weltansicht galt auch diesen wie der gesamten Kirche als unverbrüchliches Gesetz, dessen Verletzung oft durch die härtesten Maßregeln geahndet wurde. Gegen Ende des Mittelalters lockerte der Humanismus thatsächlich diese engen Bande. Unter den Reformatoren hat Luther am entschiedensten die L. grundsätzlich gefordert, aber, wo die Folgen bedenklich schienen, nicht immer gewährt. Melanchthon, Calvin und mit ihnen die Mehrzahl der protestantischen Theologen billigten unter anderm die Hinrichtung des Antitrinitariers M. Servet auf Grund des Edikts der Kaiser Gratianus, Valentinianus und Theodosius über die heilige Dreieinigkeit vom Jahr 380. Seit der Reformation ist nicht nur zwischen der katholischen und protestantischen, sondern auch zwischen der staatlichen und kirchlichen Ansicht von der L. zu unterscheiden. Die römische Kirche schreibt sich, d. h. dem Papste, das alleinige Recht zu, die Grenzen der L. zu ziehen. Wie sie dies seit dem Konzil von Trient und dem Aufkommen des Jesuitenordens geübt hat, davon zeugen neben der greuelvollen Geschichte der Inquisition in Spanien, Italien etc. die Hinrichtung des Giordano Bruno, der doppelte Prozeß des Galilei, die Verdammung des Kopernikanischen Systems (1616, aufgehoben 1821), das Verfahren gegen die Hugenotten, Quietisten, Jansenisten, Hermesianer u. a. sowie die Einrichtung des Index librorum prohibitorum. Wie wenig noch heute dort die L. selbst in rein weltlichen Wissenschaften anerkannt wird, lehren die bekannte Encyklika und der Syllabus Pius' IX., vor allem aber die vatikanischen Beschlüsse von 1870. Das neuere Staatsrecht seit Hugo Grotius und Samuel v. Pufendorf stellt sich, selbst in den meisten katholischen Staaten, wesentlich anders in Hinsicht der L. Zwar kann kein Staat eine unbedingte L. gewähren, unter deren Schutz die sittliche und rechtliche Grundlage seines eignen Bestandes in Frage gestellt oder gehässiger Zwiespalt in seinem Innern