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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Oper

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Oper (Allgemeines, Gattungen und Bestandteile der O.).

ein Kunstwerk, zu dessen Vollendung fast alle schönen Künste sich vereinigen. Die dominierende Kunst bleibt hierbei natürlich die Tonkunst: erstens, weil bei einer Vereinigung von Musik und Poesie erstere selbst bei aufopfernder Hingabe an das Gedicht hinsichtlich der ersten unmittelbaren, sinnlichen Einwirkung stets das Vorwiegende sein wird, indem durch die Musik nicht allein das Wort, sondern weit mehr noch der grammatikalische und logische Gedankenzusammenhang an Präzision und Klarheit der äußern Darstellung verliert, je mehr die Tonkunst ihr eigenstes Wesen zu gunsten des Gefühlsausdrucks geltend macht; zweitens, weil auch der poetische Rhythmus als solcher im musikalischen unterzugehen hat, um in letzterm potenziert wieder zu erstehen, wofern er nicht bloß ein äußerliches konventionelles, metrisches Schema war; endlich drittens, weil der Künstler, welcher die Künste verbinden will (hier also der Tonsetzer), aus kunsttechnischen Gründen sich den Endzweck einer einzigen Kunst zum Hauptziel setzen und diesem sodann die übrigen Künste dergestalt dienstbar machen muß, daß letztere mehr oder weniger nur Mittel zur Erreichung jenes Ziels werden. Folgerichtig wird daher die Dichtkunst, um sich mit der Tonkunst zu gemeinsamer Wirkung vollständig verbinden zu können, vorzüglich jene Eigenschaften entfalten müssen, welche sie mit der Musik gemein hat. In der äußern Erscheinung ist dies die vokalische Volltönigkeit und der aus dem jedesmaligen Stimmungscharakter sich natürlich ergebende rhythmische Fluß der Sprache, aus dem innern Wesen der Poesie hingegen vornehmlich das Gefühl, wodurch die Dichtkunst das Gebiet der Musik als des unmittelbarsten Ausdrucks der Empfindung zunächst berührt. Das für musikalische Behandlung zumeist geeignete Gedicht wird demnach vorwiegend lyrisch sein müssen. Damit sich aber das lyrische Element in der dramatischen Poesie geltend machen könne, hat der Dichter des Opernbuchs (des Librettos) vor allem auf eine mehr skizzenhafte, in allgemeinen kräftigen Umrissen gehaltene Bearbeitung zu sehen und - im Gegensatz zum recitierenden Drama mit vorwaltender Gedankendialektik, für welche der Tonkunst die Ausdrucksmittel fehlen - hier (im Musikdrama) vorzugsweise die Gefühlsdialektik Platz greifen zu lassen. Daß bei Abfassung eines Operntextes auch die allgemeinen Regeln der Dramaturgik zu beobachten sind, versteht sich von selbst. Das Gedicht entwickele sich nach wohlüberlegtem Plan auf Grund der drei Hauptteile: Situation, Kollision, Katastrophe in klarer, proportionierter Disposition und in strenger Einheit. Ist schon dem recitierenden Drama gegenüber der Zuhörer schließlich nicht mehr im stande, dem Werk seine vollkommene Aufmerksamkeit zu widmen, wenn es sich in allzu breite Dimensionen verliert, um wieviel mehr muß dies erst beim Musikdrama der Fall sein, welches ohnedies den Text schon in ungewöhnliche Breite zieht und außerdem die Sinne noch zu ungleich größerer Spannung anregt. Eine je tiefere, reichere Menschlichkeit uns aus den Charakteren eines Bühnenkunstwerks entgegenklingt, eine desto längere Dauer wird ein solches in den Gemütern der Zuhörer haben, desto länger wird es sich auf den Repertoires erhalten. Eine weitere Rücksicht hat der Dichter auf die mitwirkenden Nebenkünste (den Tanz, die Kostüm-, Maschinen- und Dekorationskünste) zu nehmen; er darf sie alle für seine Zwecke in Bewegung setzen, muß jedoch jeder einzelnen die ihr gebührende Rolle zuerteilen und ihre Inanspruchnahme gehörig geistig motivieren, soll deren Hinzutritt nicht zum leeren Schaugepränge führen, das veraltet, sobald es aufhört, den Sinnen etwas Neues, etwas Überraschendes zu sein. Die O. liebt es, ihre Stoffe, anstatt aus dem realen Leben, aus den Gebieten des Wunderbaren (Mythus, Märchen, Sage) zu entnehmen, und dies ist wohl ihre eigentliche Domäne, denn kein andres Kunstgenre vermag uns auf so anmutende und zugleich vollständige Weise in das bunte Reich der Phantasie einzuführen wie die O. Jenen aber, die das Wunderbare überhaupt aus der Kunst verbannt wissen wollen, weil sie entweder trostlosem Realismus huldigen, oder auf einem nüchternen Aufklärungsstandpunkt stehen, mögen folgende Worte H. Chr. Örsteds genügen: "Es ist nicht der Glaube an das Dasein der übernatürlichen Wesen in der Wirklichkeit des Alltagslebens, welcher sie poetisch macht, sondern, soweit sie es sind, haben sie ihren dichterischen Wert und ihre Bedeutung dadurch, daß eine von der Vernunft durchdrungene Einbildungskraft sie gebraucht hat, um schöne Bilder des höhern Daseins vor unsere innere Anschauung zu stellen. Es ist dem Dichter genug, daß diese Wesen Wirklichkeit für unsere Einbildung haben, während wir sein Werk auffassen oder in unserm Innern wiederholen. Die Forderung einer andern Wirklichkeit ist lächerlich."

Nach altem, von den Italienern überkommenem Brauch teilt man die O. in die große oder ernsthafte O. (opera seria) und in die komische oder scherzhafte O. (opera buffa); die erstere ist dem Epos und der Tragödie verwandt, letztere nähert sich dem komischen Epos und dem Lustspiel. Eine strenge Scheidung übrigens in die Extreme des Tragischen und Komischen ist, gleichwie im modernen Drama überhaupt, so auch hier nicht durchzuführen. Man nahm deshalb schon im vorigen Jahrhundert den mezzo stilo auf. Ihm sind vor allem die Opera semiseria der Italiener und zum großen Teil die Opéra comique der Franzosen beizuzählen, da dieser Name, ganz abgesehen von dem Inhalt des Gedichts, in Frankreich überhaupt jeder O. mit gesprochenem Dialog beigelegt wird. Bezeichnungen endlich, wie heroische, romantische, Konversations-, Spieloper sowie deren Unterart, die Zauberoper, können eine wesentliche Berechtigung als Gattungsbegriffe nicht beanspruchen, da sie im besten Fall nur die Sphäre genauer bestimmen, innerhalb welcher sich der Inhalt einer O. bewegt. Unter der gleichfalls noch hierher gehörigen Operette (Singspiel) ist das Lustspiel zu verstehen, welches teilweise Gesang aufnimmt und zwar meist da, wo der Dichter lyrische Ruhepunkte herbeiführt. Natürlich kann hier die gegenseitig Durchdringung von Poesie und Musik keine innige sein, da ihr Verein teils ein mehr zufälliger sein wird, hauptsächlich aber von den Launen des Dichters abhängt. Erscheint hierbei das Niedrigkomische im Gewand des Alltagslebens, so verwandelt sich die Operette in die Posse mit Gesang, und gesellt sich dieser das Wunderbare in einer Weise zu, daß es bei Ausführung eines solchen relativen Kunstwerkes hauptsächlich auf den Scharfsinn des Maschinisten ankommt, so entsteht hieraus die Zauberposse. Ein gleichfalls mit der Operette verwandtes Genre ist das Vaudeville (s. d.) der Franzosen und das Liederspiel, das mit letzterm und mit der englischen Balladen oper (ballad opera) in nächster Verwandtschaft steht.

Die musikalischen Bestandteile einer O. sind außer den reinen Instrumentalsätzen (dahin gehören Ouvertüre oder Introduktion und die sonstigen durch die Handlung bedingten Orchesternummern, wie