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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Zürich

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Zürich (Geschichte).

28,225 Seelen hat, 91,227 Einw. Wie die Stadt, der Sammelpunkt der industriellen und merkantilen Thätigkeit des Kantons, eine vielseitige eigne Industrie besitzt und das Zentrum des gesamten ostschweizerischen Handels bildet, so ist sie auch Sitz zahlreicher Schulanstalten. Die Universität zählte im Sommersemester 1888: 97 Dozenten und 579 Studierende. Das Polytechnikum umfaßt, abgesehen vom Vorkurs, sieben Fachschulen: die Bau-, die Ingenieur-, die mechanisch-technische, die chemisch-technische, die Forst-, die landwirtschaftliche, die Fachlehrerabteilung, dazu eine (philosophische) Freifächerabteilung; im Sommersemester 1888 betrug die Zahl der Dozenten 106, die der Schüler 580 (darunter viele Ausländer, namentlich Russen und Österreicher) nebst 390 Zuhörern. (Über die andern Schulanstalten s. oben.) Z. ist Sitz der Kantonalbehörden, einer eidgenössischen Kreispostdirektion, verschiedener gelehrter und gemeinnütziger Institute, wie einer Naturforscher-, einer Antiquarischen, einer Medizinischen, einer Landwirtschaftlichen etc. Gesellschaft, eines Gewerbevereins, einer Reihe größerer Bankinstitute etc. sowie mehrerer fremder Konsuln (darunter auch eines deutschen). Schöne Standpunkte und Spaziergänge bieten die Promenade im Platzspitz beim Bahnhof mit dem Monument des Idyllendichters Geßner, die Hohe Promenade über der Vorstadt Stadelhofen mit dem Denkmal des Sängervaters Nägeli, der botanische Garten mit der Plattform »Katze« und den Büsten Konrad Gesners und De Candolles, der Lindenhof, die Bauschanze (einer der drei Landungsplätze der Dampfboote), der Stadthausgarten mit Pavillon und der neuen Seebadeanstalt, das Sihlhölzli mit Sommerwirtschaft. Den Verkehr vermittelt ein Tramway. Neu eröffnet ist die Drahtseilbahn von der Limmat zur Terrasse des Polytechnikums. Eine sehr umfassende Aussicht bieten der Zürichberg und der Ütliberg, auf welchen seit 1875 eine Eisenbahn (70 pro Mille Steigung, ohne Zahnradsystem) führt. Als Vorstädte Zürichs sind zu betrachten die industriösen Ortschaften Unterstraß (4178 Einw.), Oberstraß (4278 Einw.), Fluntern (3580 Einw.), Hirslanden (3650 Einw.), Hottingen (6986 Einw.), Riesbach (10,620 Einw., mit prächtiger, im altgriechischen Stil erbauter Kirche), Enge (5123 Einw.), Wiedikon (4671 Einw.) u. Außersihl (19,916 Einw.). Vgl. »Z. und Umgebung« (hrsg. vom Lehrerverein Z., Zürich 1883); »Z. und seine Umgebung« (in den »Europäischen Wanderbildern«, das. 1888); Wettstein, Geologie von Z. (das. 1885).

Geschichte des Kantons und der Stadt Zürich.

Z., zur Römerzeit Turicum genannt, erscheint im frühern Mittelalter als eine königliche Burg (Castrum Turicense), die von den fränkischen Königen öfters bewohnt wurde. Der Lokalsage nach war Z. ein Lieblingsaufenthalt Karls d. Gr., dem die Gründung des Chorherrenstifts zum Großmünster zugeschrieben wird. Sein Enkel Ludwig der Deutsche stiftete 853 die Fraumünsterabtei für seine Tochter Hildegard und stattete dieselbe mit dem königlichen Hof Z. und zahlreichen sonstigen Besitzungen aus. Frau- und Großmünster genossen das Recht der Immunität. Nach dem Aussterben der Zähringer (1218), welche die Reichsvogtei über Z. als erbliches Lehen besaßen, wurde die Stadt reichsunmittelbar und die Äbtissin gefürstet. Nach und nach gingen die meisten Herrschaftsrechte der letztern auf die Stadt selbst über, so namentlich die Wahl des städtischen Rats. Während des Interregnums brach Z. mit Hilfe Rudolfs von Habsburg die Burgen der seine Unabhängigkeit bedrohenden Adligen in der Umgebung; ebenso konnte es eine Verpfändung an Österreich durch König Ludwig 1331 glücklich rückgängig machen. 1336 führte das Bestreben der politisch rechtlosen »Handwerker«, neben den »Rittern« und »Burgern«, d. h. den alt eingesessenen, Ackerbau und Handel treibenden Geschlechtern, Anteil am Regiment zu bekommen, zu einer Revolution, indem sie unter der Führung des mit seinen Standesgenossen zerfallenen Ritters Rudolf Brun eine Verfassung durchsetzten, welche die gesamte Bürgerschaft in die die alten Geschlechter umfassende Konstaffel und in die 13 Zünfte der Handwerker teilte. Die städtische Behörde bestand fortan aus den 13 Räten der Konstaffel und den 13 Zunftmeistern; die höchste Gewalt aber erhielt Brun als Bürgermeister. Eine Verschwörung des Adels in Verbindung mit dem Grafen von Rapperswyl wurde von Brun vereitelt (Züricher Mordnacht, 23. Febr. 1350) und durch Hinrichtungen sowie die Zerstörung der Stadt Rapperswyl gerächt. Da deshalb ein Krieg mit Österreich drohte, trat Z. 1. Mai 1351 in den Ewigen Bund mit Luzern und den Waldstätten, mit denen es schon 1291 ein dreijähriges Bündnis geschlossen hatte, und bestand mit ihrer Hilfe in den nächsten Jahren wiederholte Angriffe Österreichs mit Glück. Bald nachher erwarb sich Z. ein ansehnliches Gebiet, indem es kauf- und pfandweise die Vogteien am See, die Herrschaften Greifensee (1402), Grüningen (1408), Regensberg (1409), die Grafschaft Kyburg (1424), die Stadt Winterthur (1467) und durch Eroberung ein Stück des österreichischen Aargaues, das »Amt«, an sich brachte (1415). Wegen seiner Ansprüche auf die Erbschaft der 1436 ausgestorbenen Grafen von Toggenburg wurde es 1439 mit Schwyz und Glarus und, da es den Schiedsspruch der übrigen Eidgenossen nicht annehmen wollte, auch mit diesen in Krieg verwickelt (der alte Zürichkrieg) und mußte, nach einer schmählichen Flucht seines Heers am Etzel, nicht nur auf seine Ansprüche verzichten, sondern auch den obern Teil des linken Zürichseeufers an Schwyz abtreten (1440). Aus Groll darüber verband es sich 1442 mit Kaiser Friedrich III. von Österreich gegen die Eidgenossen, die den Zürichern bei der Kapelle St. Jakob an der Sihl eine vernichtende Niederlage beibrachten (22. Juli 1443), wobei der Bürgermeister Stüßi, der Hauptanstifter des Kriegs, fiel. Im Sommer 1444 wurde Z. selbst von 20,000 Eidgenossen belagert, die erst abzogen, nachdem 1200 der ihrigen den vom Kaiser herbeigerufenen Armagnaken bei St. Jakob an der Birs erlegen waren (26. Aug. 1444). Erst 13. Juni 1450 kam ein Vergleich zu stande, vermöge dessen Z. seinem Bund mit Österreich entsagte, dafür aber sein Gebiet zurückerhielt. Nach den Burgunderkriegen erlangte Z. durch seinen Bürgermeister Hans Waldmann, den Helden von Murten, eine vorörtliche Stellung in der Eidgenossenschaft. Das Streben der Regierung, die wirtschaftlichen Privilegien der Stadt und die obrigkeitlichen Befugnisse auf Kosten der verbrieften Rechte der unterthänigen Landschaft zu erweitern, dem auch Waldmann huldigte, bewirkten einen Aufruhr des Landvolkes, welchen seine Feinde in der Stadt benutzten, um ihn aufs Schafott zu bringen (6. April 1489). Die neue Regierung mußte die Rechte des Landvolkes in den »Waldmannschen Spruchbriefen« aufs neue bestätigen. 1519 begann Zwingli in Z. seine welthistorische Wirksamkeit. Der unglückliche Ausgang, welchen die kriegerische Politik der von ihm beeinflußten Regierung in der Schlacht von Kappel nahm (11. Okt. 1531), zwang diese, in dem »Kappeler Brief« zu versprechen,