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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Frankreich (Geschichte 1889)
bedeuten, damit in der Zwischenzeit das Budget für 18W ordnungsmäßig erledigt, das Militärgesetz zu stände gebracht und die Weltausstellung, von der man sich so viel versprach, in Nuhe und Flieden abgehalten werden könnten. Der Ministerdes Innern, Constans, betrachtete es aber als seine Hauptaufgabe, den boulanaistischen Umtrieben ein Sndezu machen. Ernahm einen Protest der Patriotenliga gegen die Beschießung derAschinowschenExpedition<s.Äschinow,Bd.17)zum
Anlaß, um diesen unter Derouledes u.Laguerres Leitung zu einem Werkzeug des Boulangismus gewordenen Verein Anfang März aufzulösen. Gegen die Häupter der Liga beantragte die Regierung die Erlaubnis zur Einleitung der gerichtliche'n Uittersuchung.
Um Vonlanger zu bekämpfen, berief sie ferner den Metzer Tierarzt Antoine, einen entschiedenen Gegner der deutschen .Herrschaft in Elsaß-Lothringen, nach F. und ließ ihn umherreisen, um zur patriotischen Eintracht zu mahnen; auch hob sie das Verbannungsdekret gegen den Herzog von Aumale auf, weil dieser sich gegen die Unterstützung Noulangers durch die Orleans ausgesprochen hatte. Die gerichtliche Untersuchung gegen die Führer der Patriotenliga wurde von den Kammern genehmigt; um Boulanger verfolgen zu können, mußte die Regierung aber erst einen andern Generalstaatsanwalt ernennen, da der bisherige, Bouchez, eine Anklage für gesetzlich unmöglich erklärte; am 4. April wurde die Anklage gegen Boulanger wegen Verschwörungen und Attentaten gegen die Sicherheit des Staats beim Senat als Staatsgerichtshof eingereicht; die Kammer gab in einer überaus stürmischen Sitzung ihre Zustimmung.
Boulanger aber entzog sich derdrohenden Verhaftung durch seine Flucht nach Brüssel (8. April), womit er der Regierung einen um so grö Nern Gefallen that, als die vom Senatsausschuß 12. April eingeleitete Untersuchung gegen den General sich lange Zeit resultatlos hinzog. Das Ministerium hütete sich auch wohl, die Auslieferung Boulangers von Belgien zu verlangen, und veranlaßte nur, da derselbe durch den Fernsprecher einen nicht zu kontrollierenden Verkehr mit Paris pflog, daß die belgische Regierung Boulanger ersuchte, sich nach London zu begeben.
So konnte der Präsident Carnot 5. Mai 1889 ungestört die Jahrhundertfeier der französischen Revolution im Spiegelsaal des Versailler Schlosses veranstalten; am folgenden Tag, 6. Mai, eröffnete er die glänzend gelungene Weltausstellung auf dem Marsfeld in Paris. Beiden Festen blieben alle Botschafter und die meisten Gesandten der monarchischen Staaten fern. Die Kammern berieten inzwischen das Budget zu Ende; die Verhandlungen wurden allerdings oft unterbrochen durch gehässige Anklagen und Angriffe gegen die Minister von feiten der Boulangisten, welche skandalöse Auftritte hervorriefen. In aller Eile wurde noch ein Gesetz beschlossen, welches die mehrfachen Kandidaturen bei den Deputiertenwahlen verbot; hierdurch sollte jeder Plebiszitveisuch der Boulangisten unmöglich gemacht werden. Auch das Militärgesetz wurde erledigt (s. oben) und darauf 15. Juli die Sitzung der Kammern geschlossen.
Im August folgten der Prozeß und die Verurteilung Boulangers (s.d., Bd. 17) und seiner Genossen Röcke fort und Tillon durch den Senat. Hatten schon die Flucht Boulangers und seine hartnäckige Weigerung trotz aller Mahnungen seiner Anhänger', vor dein Gerichtshof zu erscheinen, seinem Ansehen geschadet, so trugen die Enthüllungen des Prozesses nicht dazu bei, dasselbe zu heben: die Verbindung Boulangers mit anrüchigen Personen, die Verschleuderung öffent licher Gelder für Privatzwecke, die Feigheit, die er bei den wiederholten Versuchen seiner Freunde, ihn an die Spitze des Staats zu bringen, zeigte, bewiesen seine Unfähigkeit, F. aus dem Sumpf der Republik zu retten, überdies schwand die allgemeine Unzufriedenheit mehr und mehr gegenüber dem überaus glänzenden Erfolg der Weltausstellung, die eine immer stärkere Anziehungskraft bewies und alle Länder und Völker herbeilockte, F. und Paris ihren Tribut an Lob und Geld darzubringen. Unter diesen Umständen nahten die Neuwahlen für die Deputiertenkammer (22. Sept.) heran. Die Regierung bot allen Einfluß auf, um ihren günstigen Ausfall zu sichern. Den Geistlichen wurde bei Androhung sofortiger Absetzung oder Gehaltssperre jede Wahlagitation gegen die Regierung untersagt, dagegen der ganze Regieruna.sapparat fürdierevublikanischen Kandidaten aufgeboten, ganz wie in der Zeit der offiziellen Kandidaturen des Kaiserreichs. Denn man hatte in Regierungskrisen nicht geringe Besorgnis vor einer Niederlage. Man sah es daher als er'mn Sieg an, daß die Republikaner ihrs bisherige Melr heit behaupteten, nämlich 366 Sitze von 573, und das war allerdings ein Gewinn zu nennen, daß die Zahl der Radikalen zu gunsten der gemäßigten Republikaner etwas verringert war. Die Monarchisten behaupteten nur 158 Sitze, die Boulangisten erlangten 49, von denen eine ganze Anzahl später von der Kan^ mer für ungültig erklärt wurde. Im ganzen hatten die Republikaners Mill., die Konservativen 2M0,000, die Boulangisten etwas über 1 Mill. Stimmen erlangt. Das siegreiche Ministerium blieb im Amt und brachte unter allerlei Festen die Ausstellung zu Ende.
Die Kammern traten Mitte November 1889 wieder zusammen. Die Deputiertenkammer wählte den radikalen Floquet zum Präsidenten. Er sowohl als der Ministerpräsident Tirard priesen den Triumph der französischen Demokratie und legten den Ausfall der Wahlen dahin aus, daß die Nation den Entschluß ausgesprochen habe, in einer Zeit dei' Beruhigung in die Arbeit einzutreten: »Wir können^, lautete die ministerielle Erklärung, »unbeschadet der Arbeit an der Ergänzung unsrer militärischen Organisation offen erklären, daß die französische Republik den Frieden will, einen stolzen und würdigen Frieden, so wie er einer großen Nation, die ihrer Kraft und ihres Rechts sich bewußt ist, gebührt .. Da die Monarchisten gespalten und entmutigt waren (ein Teil war mit der Unterstützung der Boülangisten bei den Wahlen, die der Graf von Paris befohlen hatte, unzufrieden), die Republikaner aber unter dem Eindruck der glücklich vermiedenen Gefahr einig blieben, so verliefen die Kammerdebatten zunächst ohne die sonst üblichen Zwischenfälle und wendeten sich mit Erfolg der Erledigung praktischer Fragen zu.
Erst als die republikanische Mehrheit bei den Wahl' Prüfungen allzu rücksichtslos ihren Vorteil wahrnah;u und mehrere boulan^istische Wahlen in rechtlich an fechtbarer Weise für ungültig erklärte, in einem Pa^ riser Wn hlkreis sogar den Kandidaten der Minderheit als gewählten Deputierten proklamierte, erhoben die Boulangisten im Januar 1890 so heftige Proteste und erregten so stürmische Debatten, daß mehrere von ihnen zeitweilig von der Kammer ausgeschlossen wurden.
Um in künftigen Fällen noch wirksamer gegen solche Ausschreitungen vorgehen zu können, nahm die Kammer im März 1890 ein Gejetz an, welches die hierauf gesetzten Strafen erheblich verschärfte. Dies verstimmte die Pariser Wähler, und daher errangen di>.' Boulangisten bei den Nachwahlen in Paris wieder