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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Eis (die Eisdecke Grönlands)

mutet wurde, zu dem angeblich eisfreien Innern Zugang gewährt. An den Stellen, wo offenes niedriges Land an das E. herantritt, hat letzteres das Aussehen eines plötzlich erstarrten Lavastroms. Hat man die Eismauer erklommen, so befindet man sich auf einer Eisfläche, die nach innen ganz allmählich ansteigt. Diese Eisbildung bietet ganz das Bild einer vom Innern ausgehenden Überschwemmung durch die zähflüssige Eismasse, welche vom unbekannten Binnenland aus gegen die Küste vordringt. Auffallend ist, daß dabei der Rand im allgemeinen doch stationär bleibt, indem die Schmelzung am äußern Saume dem Nachschub aus dem Binnenlande das Gleichgewicht hält.

^[Abbildung "Reiserouten in Grönland von Peary, Nordenskjöld und Nansen."]

^[Abbildung "Querschnitt durch Grönland aus dem Polarkreise."]

Dafür konzentriert sich auf gewisse Punkte der Andrang aus dem Innern um so mächtiger. Dies sind die sogen. Eisfjorde. Obgleich der Eisrand an mehr als hundert Punkten das Meer berührt, so entstehen doch nur an etwa 25-30 Stellen daraus Eisfjorde, von denen wiederum 7-8 als solche ersten Ranges angesehen werden können. Aus fünf der bedeutendsten Eisfjorde liegen nun Messungen der Geschwindigkeit vor, mit der das E. ins Meer hinaustritt. Die Dicke dieser Gletscher kann zu 250-300 m angenommen werden. Die Geschwindigkeit, berechnet nach der in 24 Stunden durchlaufenen Strecke, beträgt beim Gletscher von

Jakobshavn 16-19 m

Torsukatak 5-10

Karajak 7-12

Jtivdliarsuk 14 im April. 7-9 m im Mai

Augpadlartok 10 31 m im August.

Für den Vorgang des Kalbens oder Losbrechens der Gletscher kommt in erster Linie die Beschaffenheit des Meeresbodens in Betracht. Bei

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schwacher Neigung des Grundes setzt die Eisplatte ihre Bewegung bis zu einer Tiefe fort, in der sie vom Wasser gehoben und getragen wird. Fällt der Meeresboden, ehe er eine solche Tiefe erreicht, schroff bis zu einer ähnlichen Tiefe ab, so muß der Gletscher hier abbrechen. Nach den Ergebnissen der Polarexpeditionen scheint die nördliche und nordöstliche Küste Grönlands wenig Eisberge abzugeben; der Abfluß von der ganzen Küste nach O. ist geringer als nach W., doch mit dein Unterschiede, daß es auf der Ostseite hauptsächlich der südlichste, auf der Westseite der nördlichste Abschnitt ist, auf den sich die Eisbergproduktion konzentriert.

Über die Beschaffenheit des Innern Grönlands war man bisher völlig im unklaren. An Vermutungen fehlte es nicht; nach den einen sollte alles Land unter Schnee und E. begraben sein, andre behaupteten ein eisfreies Innere. Zu den letztern gehörte vor allem Nordenskjöld, der zweimal (1870 und 1883) den Versuch machte, in das Innere einzudringen. Derselbe hielt es für eine physikalische Unmöglichkeit, daß ein großer Kontinent im Innern bei den klimatischen Zuständen, wie sie auf der Erde südlich vom 80.° nördl. Br. herrschen, ganz mit E. bedeckt sein sollte. Etwas weiter als Nordenskjöld gelangten 1886 der Amerikaner Peary und der Däne Maigaard, die ungefähr 100 Meilen weit bis zu einer Hohe von etwa 2500 m vordrangen. Alle diese Versuche waren von der Westküste unternommen; der erste, dem die Durchquerung Grönlands von der Ostküste gelang, war Fridtjof Nansen, der am 10. Aug. 1888 von Umivik aus die Reise über das E. antrat und 27. Aug., 40 Meilen von der Küste entfernt, fast den 65.° nördl.

Br. erreichte. Von dort schlug er einen westsüdwestlichen Weg ein und traf 26. Sept. am innern Ende des Ameralik-Fjords in 64° 12' nördl. Br. an der Westküste ein, von wo er 3. Okt. in Godthaab anlangte (s. das Kärtchen). Wir wissen jetzt nicht nur, daß Grönland in seinem Innern wirklich unter Schnee und E. begraben ist, sondern kennen auch die eigentümliche Beschaffenheit dieser Eisdecke. Dieselbe hat die Gestalt eines Schildes, hebt sich von den Rändern gleichmäßig, wenn auch sehr schnell ansteigend, zu der bedeutenden Höhe von über 3000 m und ist in der Mitte flach und eben. Die Ursache dieser schildförmigen Gestalt der Eisdecke ist nicht in der Konfiguration des unter dem E. liegenden Landes zu suchen, sondern in den im Innern herrschenden besondern meteorologischen Verhältnissen. Schon an und für sich muß man annehmen, daß anden Küstenrändern die größten Schneemassen fallen, nach dem Innern zu aber abnehmen; daraus folgt allein schon, daß das E. nicht gerade in der Mitte des Kontinents seine größte Dicke erreichen kann, also eine schildförmige Oberfläche darbieten muß. Die Schneeflächen im Innern sind eben und wie poliert. Der Hauptfaktor bei der Einebnung der unregelmäßigen Landfläche ist der Wind, durch den die Vertiefungen mit Schnee ausgefüllt werden. Schnee fällt fast jeden Tag; er liegt lose, ist weich und trocken und wird vom Winde leicht hin und her getrieben. Ein Schmelzen des Schnees tritt selbst im Hochsommer nur in ganz geringem Maße ein; bis zur Tiefe von 2 m wechseln Schichten von losem Schnee mit ganz dünnen Eiskrusten ab. Letztere sind unzweifelhaft das Produkt der sommerlichen Schneeschmelze. Wenn trotz dieser geringen Schneeschmelze die Masse vou Schnee im Innern nicht zunimmt, so rührt es neben dem fortwährenden Schneetreiben, das nach den Küsten hin gerichtet ist, von dem Drucke her, durch