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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Gehirn (Reizungsversuche)

Dimensionsgebilde geprüft werden dürften, alsdann, daß diejenige elementare Form die wohlgefälligste sei, welche von der Mehrzahl urteilsfähiger Personen als solche begutachtet werde. Fechner bediente sich dabei dreier Methoden: a) Methode der Wahl. Eine große Anzahl von Variationen derselben Grundform, z. B. des Kreuzes, wird zur Beurteilung vorgelegt und die angenehmste Variation herausgesucht, b) Methode der Herstellung. Die Versuchspersonen werden gebeten, die wohlgefälligste Modifikation der Grundform selbständig aufzuzeichnen, c) Methode der Verwendung. Es werden Gebrauchsgegenstände, die ohne Rücksicht auf künstlerische Wirkung angefertigt worden sind, wie Pfefferkuchen, Toilettenkästen etc., nach dem Verhältnis ihrer Längen- und Breitenmaße gemessen. Mit Hilfe dieser drei Verfahrungsweisen hat sich nun ein Doppeltes ergeben: Von allen rechteckigen Formen scheint das nach dem goldenen Schnitt geformte Rechteck am ehesten ästhetische Lust zu erwecken, ein Rechteck also, dessen kleinere Seite sich zur größern genau so verhält, wie die größere Seite zur Summe beider Seiten. Von der tiefgreifendsten Bedeutung aber für alle Figuren ist strengste Innehaltung der Symmetrie.

Die dritte Gruppe der Gefühle knüpft an Willensregungen an. Wenn einem Verlangen Hindernisse in den Weg treten, so verkoppelt es sich mit dem Unlustgefühl der Unbefriedigtheit; wird das Begehren erfüllt, so klingt es in das Lustgefühl der Befriedigung aus. Beispiele der ersten Art sind: Ungeduld, Langeweile, welche übrigens nur bei gesunden und an Thätigkeit gewöhnten Menschen eintritt, Enttäuschung; Beispiele der zweiten Art: Erleichterung bei Eintritt eines erwarteten Vorganges, Freude über einen erzielten Erfolg. Der Sprachgebrauch hat noch eine große Anzahl von Unterabteilungen geschaffen, indem er Gefühle nach den Gegenständen benennt, auf die das (befriedigte oder unbefriedigte) Verlangen gerichtet ist. Eine praktisch wichtige Abart bilden endlich die Gefühle, welche auf der Befriedigung oder Nichtbefriedigung des moralischen Sinnes im Menschen beruhen. Doch ist das systematische und psychologische Interesse mit der gegebenen Aufzählung erschöpft. Vgl. Nahlowsky, Das Gefühlsleben (2. Aufl., Leipz. 1884); Bain, The emotions and the will (3. Aufl., Lond. 1886); Fechner, Vorschule der Ästhetik (Leipz. 1876); Derselbe, Zur experimentellen Ästhetik (»Abhandlungen der mathematisch-physikalischen Klasse der Königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften«, Bd. 11, Leipz. 1871).

Gehirn. Um die weitere Ausbildung der Reizungsversuche an der Großhirnrinde hat sich in neuerer Zeit besonders Horsley verdient gemacht. Bisher war es nur gelungen, durch Reizung bestimmter Partien der Rinde, der motorischen Region, Bewegungen in bestimmten Muskelgruppen der gegenüberliegenden Körperseite hervorzurufen, die nicht immer rein auftraten, vielmehr öfters gleich anfangs oder im spätern Verlauf durch Bewegungen in andern Muskeln kompliziert waren. Horsley hat gezeigt, daß, je höher man in der Tierreihe geht, desto schärfer sich die den einzelnen Bewegungsgebieten entsprechenden Bezirke voneinander abgrenzen lassen, desto genauer also die Lokalisation wird. Infolgedessen gelingt es beim Affen (er benutzte vornehmlich Macacus sinicus), von umschriebenen Stellen der Großhirnrinde aus ganz isolierte Bewegungen sogar in einzelnen Muskeln, z. B. eines Fingers, hervorzurufen. Freilich liegen auch in der Nachbarschaft eines solchen Zentralherdes (Focus) Stellen, von denen aus die betreffende Bewegung erzeugt werden kann. Man bedarf dazu aber stärkerer Reize. Daraus ist zu schließen, daß allerdings die den einzelnen Muskeln oder Muskelgruppen entsprechenden Rindenpartien nicht scharf umschrieben sind, sondern, wie dies übrigens auch schon aus frühern Beobachtungen geschlossen werden mußte, vielfach ineinander übergreifen; daß aber voneinander wohl gesonderte Rindenpunkte bestehen, die zu den einzelnen Muskelmechanismen ein besonders nahes Verhältnis haben. Durch Untersuchungen an einem der am höchsten stehenden Tiere, am Orang-Utan, fand Horsley seine Anschauungen durchaus bestätigt. Was hier über die Topographie des motorischen Rindengebietes ermittelt werden konnte, steht in vollem Einklang einerseits mit den Erfahrungen beim Macacus, anderseits auch mit dem, was gelegentliche Beobachtungen am menschlichen Gehirn gezeigt hatten. Die reizbaren Gebiete liegen auch hier zumeist in der Umgebung der Rolandoschen Furche (Zentralfurche) und zwar hauptsächlich auf der Präzentralwindung.

Auch an den sensorischen Rindenbezirken, in welchen man die zentrale Projektion des Sehorgans, Hörorgans etc. zu sehen hat, sind neuerdings wichtige Beobachtungen gemacht worden. Wir wissen, daß Nerven und Muskeln in dem Augenblick, in welchem sie aus dem Ruhezustand in den Zustand der Thätigkeit übergehen, galvanische Ströme entwickeln, die man als Aktionsströme zu bezeichnen pflegt. Analoge Erscheinungen treten nun auch, wie v. Fleischl und Beck nachweisen konnten, an gewissen Stellen der Hirnrinde auf, wenn sie von der Körperperipherie her, also z.B. von einem Sinnesorgan aus, zur Thätigkeit angeregt werden. Leitet man zwei symmetrisch gelegene Punkte der beiden Großhirnhalbkugeln, welche den Sehregionen entsprechen, zu einem empfindlichen Galvanometer ab, so bleibt die Nadel desselben vorerst in Ruhe, weil die beiden Rindenpunkte sich im Gleichgewicht befinden, zur Erzeugung eines elektrischen Stromes also kein Anlaß ist. Erregt man aber jetzt eins der entsprechenden Sinnesorgane, läßt man also z. B. Licht in das eine Auge einfallen, so zeigt das Galvanometer einen Ausschlag in einer bestimmten Richtung, indem die Thätigkeit des entsprechenden Rindenbezirks sich durch eine galvanische Veränderung bemerklich macht. Fällt das Licht in das andre Auge, so erfolgt der Ausschlag der Nadel in entgegengesetztem Sinne. Jede Wirkung der sensorischen Erregung bleibt dagegen aus, wenn man das zur Untersuchung dienende Tier zuvor tief chloroformiert, denn die betäubte Hirnrinde ist unfähig, durch Sinnesreize in Thätigkeit gesetzt zu werden.

Auch über Reizungsversuche an den Sinnessphären der Großhirnrinde liegen Berichte vor. Schäfer fand, daß bei elektrischer Reizung der im Hinterhauptslappen des Großhirns gelegenen Sehsphäre associierte Bewegungen der beiden Augen eintreten, deren Richtung von der Reizungsstelle abhängt. Sie machen den Eindruck, als seien sie hervorgerufen durch Gesichtsempfindungen, welche die Reizung der Hirnrinde angeregt hat. Das Tier bringt, dieser Auffassung zufolge, die Erregung seines Sehapparates in Beziehung zu bestimmten, einander entsprechenden Stellen der beiden Netzhäute und macht Augenbewegungen nach derjenigen Richtung hin, von welcher ein äußerer Lichtreiz kommen müßte, um diese Netzhautstellen zu treffen. So wendet das Tier die beiden Augen nach rechts, wenn ein bestimmter Punkt des linken Hinterhauptslappens gereizt wird. Dem gereizten Rindenpunkt entsprechen nämlich in