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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Pseudosphäre - Psychologie
Pseudosphiire, s. Geometrie.
Psorospermicn, s. Protozoen.
Psychologie. Münsterberg unterscheidet zwischen einer engern und weitern Aufgabe der P. Erstere besteht darin, daß die psychischen Phänomene des individuellen Bewußtseins ohne Rücksicht auf ihre Übereinstimmung mit den Bewußtseinsinhalten andrer Individuen untersucht werden. Für die erweiterte Aufgabe gilt es, die Gesamtheit der Bewußtseinsinhalte in ihre Elemente zu zerlegen, die Verbindungsgesetze dieser Elemente festzustellen und für jeden elementaren psychischen Inhalt empirisch die begleitende physiologische Erregung aufzusuchen, um aus dem als ursachlich verständlichen Nebeneinandersein und Aufeinanderfolgen jener physiologischen Erregungen die rein psychologisch nicht erklärbaren Verbindungsgesetze der einzelnen seelischen Inhalte mittelbar zu erklären. Für die Erfüllung beider Aufgaben kann nun der Psycholog sich einer größern Anzahl von Methoden bedienen. Während ein spekulatives Verfahren heutzutage überwunden ist, behauptet die mathematische Forschungsweise innerhalb gewisser Grenzen und bei einzelnen Gelehrtenschulen (besonders bei der Herbartischen) noch jetzt eine gewisse Lebensfähigkeit. Zwei Parteien stehen sich im allgemeinen gegenüber. Die eine sieht alles Messen und Zählen in'der P. mit größtem Mißtrauen an: numerische Feststellungen seien in der Welt der innern Erfahrung nicht möglich. Die andre Partei behauptet dagegen, Messungen und Zählungen seelischer Erscheinungen seien schon häufig mit wissenschaftlicher Genauigkeit, gleichviel ob unmittelbar oder mittelbar, ausgeführt; es sei also bewiesen, daß Mathematik auf die H. angewandt werden kann.
Beide Parteien scheinen nun im Unrecht zu sein; Münsterberg wenigstens meint, daß numerische Feststellungen bei der Beobachtung psychischer Phänomene in der That möglich, ja geradezu unentbehrlich sind, daß aber aus diesen zahlenmäßigen Feststellungen keinerlei die Beobachtung überschreitende neue Thatsachen zahlenmäßig berechnet werden können und eben deshalb von einer Anwendung der Mathematik auf die P. keine Rede sein kann. Als mathematisch darf denn auch nicht die Methode statistischer Erhebungen über irgend welche innere Vorgänge, z. B. über Halluzinationen (s. d.), bezeichnet werden.
Sie ist im großen und ganzen zulässig, aber im einzelnen nach zwei Richtungen hin begrenzt. Die Resultate der Selbstbeobachtungsstatistik werden hinfällig, sobald die Einzelergebmsse keinen glaubwürdigen Quellen entstammen; diese Glaubwürdigkeit wird um so weniger wahrscheinlich sein, je mehr die Antworten auf die gestellten Fragen durch Erinnerungstäuschungen oder durch vorgefaßte falsche Associationen oder vor allem durch Gefühlsmomente beeinflußt werden können. Eine zweite Grenze liegt in dem Umstände, daß die individuellen Unterschiede der seelischen Ereignisse sich ja im wesentlichen auf quantitative Verschiedenheiten beziehen oder, wo sie qualitativ doch so gering sind, daß erst bei Zuhilfenahme äußerer Hilfsmittel eine genauere Feststellung möglich wird.
Von unbestrittenem Werte ist dem Psychologen das Experiment. Er wendet es mit Erfolg für die Erforschung des kindlichen Seelenlebens an. Schon mit dem ersten Atemzug des Säuglings beginnt die Zeit, in der psychologische Experimente möglich sind.
Kußmaul brachte dem Neugebornen sofort mittels eines Pinsels schwefelsaures Chinin, resp. Zuckerlösung in den Mund, um die Ausdrucksbewegung bei der bittern, bez. süßen Geschmacksempfindung zu
prüfen; Preyer untersuchte 3 Minuten nach der Geburt seines Kindes die Lichtempfindlichkeit desselben, und Kroner prüfte den Geruchssinn, indem er ein Kind an: ersten Tage an eine Brust legte, die mit schlecht riechenden Stoffen behandelt war. In sehr ausgedehntem Maße verwenden französische Gelehrte das Experiment bei Nervenkranken. Hier stellen Hysterische mit ihren »eingebildeten« Lähmungen, ihrer Unempfindlichkeit an gewissen Hautpartien und ihrer Hypnotisierbarkeit das Material. Überhaupt erfreut sich jetzt das Experiment in der Hypnose einer größern Anerkennung als früher. Der Experimentator vermag bekanntlich einen künstlichen Eingriff in den psychischen Mechanismus des Hypnotisierten derart vorzunehmen, daß er, ohne nach der positiven Richtung des Vorstellens, Urteilens, Fühlens und Wollens etwas hinzuzufügen, negativ beliebige Komplexe des Bewußtseinsinhaltes ausschalten kann.
Der Hypnotisierte, den: man sagt, daß er im Garten ist, thut nichts andres, als was er im wachen Zustande auch thäte, wenn die gegenwirkende Vorstellung, daß er im Zimmer sitzt, für ihn nicht vorhanden wäre.
Es ist also eine Anzahl von Vorstellungen bei ihm außer Thätigkeit gesetzt worden; nur daß dies möglich ist, sichert der Methode des hypnotischen Experimentes eine große Vielseitigkeit in der Verwendbarkeit. Auch für die Tierpsychologie und zwar namentlich für die Erforschung des Seelenlebens niederer Tiere ist im vergangenen Jahre die Experimentalmethode nutzbar gemacht worden. Verworn untersuchte, wie die Rhizopoden, Flagellaten, Diatomeen :c. auf mechanische, thermische, optische, akustische, chemische und galvanische Reize reagierten; Grubers neueste Studien bezogen sichaufden Wärmesinn. Überall kann hier das Experiment zu feinster Prüfung der Sinne führen; wenn etwa 100 Käfer in einem Kasten sind, dessen zwei getrennte Teile von verschieden hellem Lichte erleuchtet oder auf verschiedene Temperatur erwärmt sind, so kann die Prozentzahl der Tiere, welche in der Hellern oder in der wärmern Abteilung sich nach gewisser Zeit angesammelt haben, zu einem Maß der Bevorzugung bestimmter Wärme oder Helligkeit werden, und die Licht- oder Temperaturdifferenz, bei welcher die Verteilung eine gleiche, also vom Neizunterschied nicht beeinflußte ist, wird die Grenze der eben nicht mehr merklichen Unterschiedsempfindung darstellen. Als letztes Beispiel zur Methodologie der P. fei der Gang bei der Untersuchung der seelischen Fähigkeiten gesunder wie kranker Personen skizziert. Nachdem schon früher von Rieger ein Prüfungsschema aufgestellt worden war, ist kürzlich von Münsterberg ein verbessertes angegeben worden. Die Untersuchung soll beginnen mit der Feststellung, ob überhaupt Wahrnehmungen stattfinden, und zwar solche des Sehens, Hörens, Niechens, Schmeckens2c., aktiver und passiver Bewegungen; dann wird ebenso für alle Su'm^'d Q?> Gedächtnis geprüft und zwar für frische Eindrücke sowohl als für ältere Erfahrungen. Es schließt sich die unmittelbare Nachahmung, wie Nachsprechen, Nachsingen, Nachschreiben, Nachzeichnen2c.,an. Dann folgt eine Gruppe, die Rieger als Äußerungen der durch rein innere Associationen ablaufenden intellektuellen Vorgänge bezeichnet; er rechnet dahin sprachliche Äußerungen, wie Hersagen geläufiger Wortreihen, Antworten auf Fragen, spontanes Sprechen, Niederschreiben innerer Associationen, Singen früher bekannter Tonfolgen, Zeichnen und ähnliches. Endlich folgt als höchste Leistung dieser Art die Umsetzung, von Sinneseindrückcn in sprachliche Begriffe. Vgl.