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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Etrurien

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Etrurien'

Arnothal, vom cispadanischen Gallien durch den Kamm der Apenninen, durch den Tiber von Umbrien, den Sabinern, Latinern und dem Gebiet von Rom geschieden war. Der Name Tuscia war für das Land erst in späterer Zeit, dagegen der Name Tusci neben Etrusci schon früh für das Volk üblich. Das Land wird von zahlreichen Hügelketten, teils Ausläufern des Apennin, teils selbständigen Höhenrücken, durchzogen, von denen besonders das Ciminische Waldgebirge im Südosten zu nennen ist. Zwischen den Hügeln öffnen sich fruchtbare Thäler, teils von Flüssen durchzogen (unter denen der Arnus, jetzt Amo, und Clanis [Chiana] die bedeutendsten waren), teils mit Landseen vulkanischen Ursprungs bedeckt, wie der Lacus Trasimenus westlich von Perusia (Perugia), der Lacus Volsiniensis bei Volsinii (Bolsena), der Lacus Ciminius (Lago di Ronciglione oder di Vigo) und der Lacus Sabatinus bei Sabate (jetzt Lago di Bracciano).

Die älteste Bevölkerung gehörte teils dem ligurischen, teils dem umbrischen Stamme an. Nach den von den Alten überlieferten Nachrichten drangen gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. sog. pelasgisch-griechische, als kühne Seefahrer und Seeräuber verrufene Kolonisten aus der Umgebung der Stadt Tyrrha (in Lydien) ein, die sich an der Küste festsetzten und allmählich jene Ureinwohner unterwarfen. Während nun die Griechen für das durch Verschmelzung der Eindringlinge mit der Urbevölkerung entstandene Mischvolk den alten Namen jener (Tyrrhener, Tyrsēnoi, Tyrrēnoi) allezeit beibehielten, nannten die Herren des Landes sich selbst fortan Rasenae (raśneś), d. h. wahrscheinlich "die Edlen", im Gegensatz zu der von ihnen vorgefundenen Bevölkerung, die sie zu einer Art von Leibeigenen, nach Weise der thessalischen Penesten, machten. Nach einer andern zuerst von Niebuhr vertretenen Ansicht wären die Etrusker stammverwandt mit dem Alpenvolke der Rhäter und höchst wahrscheinlich zu Lande in Mittelitalien, von den Alpen aus vordringend, eingewandert. Thatsächlich findet man nämlich die hauptsächlichsten Sitze der Etrusker, soweit unsere Kenntnis zurückreicht, im Centrum, meist sogar im Osten Tyrrheniens; mit Ausnahme von Populonia trifft man keine einzige größere unmittelbar am Meere gegründete Stadt an. Eine 1885 in Lenmos aufgefundene pelagische Inschrift setzt allerdings die sprachliche Verwandtschaft der tyrrhenischen Pelasger des Ägäischen Meers mit den Tyrrhenern Italiens außer Zweifel; sie ist daher als Hauptstütze der erstern Ansicht aufgeführt worden. Doch wäre auch eine Einwanderung der lemnischen Pelasger von Westen her denkbar. Von den die Tyrrhener umgebenden italischen Völkerschaften wurde mit einem italischen Ableitungssuffix der Name Tursco- gebildet, woher der Plural umbrisch Turscor, lat. Tusci; daneben gebrauchten die Römer auch die ihrem Ursprung nach unklaren Namen Etrusci (Volk) und Etruria, (Land).

Zu welcher Völkerfamilie dies Volk gehörte, ist noch nicht festgestellt, da seine Sprache, von der sich zahlreiche Reste in Inschriften, besonders Grabschriften erhalten haben, noch keinen Anschluß an andere bekannte Sprachen gefunden hat. Doch erscheint die Zugehörigkeit der Etrusker zu der indogerman. Völkerfamilie immer wahrscheinlicher, wenn sich auch ihre Sprache von den Sprachen des übrigen Italiens beträchtlich unterschied und weder mit ihnen noch mit dem Griechischen oder mit dem Keltischen ↔ oder Germanischen bis jetzt ein Zusammenhang nachgewiesen worden ist; auch die neuerdings von Sophus Bugge verfochtene Ansicht, das Etruskische sei mit dem Armenischen besonders nahe verwandt ("Etruskisch und Armenisch. Sprachvergleichende Forschungen. Erste Reihe", Krist. 1890), ist abzuweisen. Verfehlt waren die Versuche, die etrusk. Sprache den semit. Sprachen zuzuteilen, und auch die Annahme der Verwandtschaft mit den turanischen hat sich als ein Irrtum herausgestellt. Die Schrift ist im wesentlichen die altgriechische, aber es ist unsicher, ob sie direkt von Griechenland oder von den hellen. Kolonien Unteritaliens her eingeführt ist.

Unter den etrusk. Städten sind namentlich Veji, Falerii, Volsinii (jetzt Bolsena), Clusium (Chilis), Perusia, Cortona, Arretium (Arezzo), Fäsulä (Fiesole), Volaterrä, Populonia, Rusellä, Vetulonium, Saturnia, Cosa, Volci, Tarquinii und Cäre zu erwähnen. Von diesen Städten bildeten zwölf unabhängige, selbständige Staaten, die zu einem Bunde vereinigt waren. Das Bundesverhältnis scheint ziemlich lose gewesen zu sein; doch wurden zu religiösen und polit. Zwecken mindestens einmal jährlich Bundesversammlungen beim Tempel der Göttin Voltumna gehalten. In den einzelnen Staaten bestand eine strenge Geschlechterherrschaft und priesterliche Aristokratie. Nur aus den Adelsfamilien, die, wie es scheint, mit dem Namen Lucumonen bezeichnet wurden, konnten der König und die Senatsmitglieder gewählt werden; an die Stelle der Könige scheinen freilich später überall jährlich wechselnde Magistrate getreten zu sein. Unter dem Herrenstande befand sich ein großer Teil der Bevölkerung in einer Klientel, die hier einen härtern und strengern Charakter als bei den andern mittelital. Völkern gehabt zu haben scheint. Der Stand der Gemeinfreien in den Städten gelangte zu keiner Bedeutung. Die Kämpfe des Volks hatten hauptsächlich nur die Wirkung, die Staaten zu zerrütten und ihre Widerstandstraft gegen Rom zu schwächen. Der Einfluß der etrusk. Staatsverfassung auf die römische wird im ganzen wohl nur auf einzelne Äußerlichkeiten, wie die Magistratsinsignien, die Einrichtung der Liktoren, die Triumphzüge u. dgl., zu beschränken sein. Dagegen kann die Einwirkung des etrusk. Religionswesens auf die Gestaltung des römischen kaum geleugnet werden.

Die Religion der Etrusker, tiefsinnig, aber düster und phantasiearm, war in ihrer Anwendung auf das Staats- und Privatleben sorgfältig bis in das einzelnste ausgebildet. Unter den vielen heiligen Büchern genossen die des Götterknaben Tages (s. d.) besonderes Ansehen; daneben enthielten die Achexontischen Bücher die Lehre von der Versöhnung der Götter, der Aufschiebung des Schicksals, der Vergötterung der Seelen. Außerdem gab es weitläufigere Werke, in welchen die "etrusk. Disciplin" ausführlich entwickelt war. Die Götter selbst, Asar genannt, deren Sitz im Norden gedacht ward, zerfielen in zwei Ordnungen, die der obern und verhüllten Götter, und die der zwölf Götter, welche von den lat. Autoren als Consentes oder Complices bezeichnet werden. - Über die Kunst der Etrusker, s. Etruskische Kunst.

Im 8. bis 6. Jahrh. v. Chr. erreichte die Macht der Etrusker ihren Höhepunkt. Ganz Oberitalien von Nizza bis Venedig, und Ariminum war außer dem eigentlichen E. in ihrem Besitz; selbst der größte

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 394.