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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 1848-52)

neuen Präfekten, auf die er zählen konnte, ließen Ludwig Napoleons Absicht deutlich erkennen. Als die Nationalversammlung nach einer sechswöchigen Vertagung 1. Okt. 1849 wieder zusammentrat, wurden die Kredite für die röm. Expedition mit sehr großer Mehrheit bewilligt. Trotzdem erklärte eine Botschaft des Präsidenten (31. Okt.) der Versammlung, er habe es ohne Erfolg mit einem Vermittelungsministerium aus allen Gruppen versucht, nun sei er entschlossen, das System zu wechseln, und ein Kabinett seiner eigenen Politik zu berufen. Das neue Ministerium ward aus lauter dem Präsidenten persönlich ergebenen Personen zusammengesetzt: General d'Hautpoul übernahm als Kriegsminister das Präsidium. Diese Kriegserklärung des Bonapartismus gegen das parlamentarische System erregte die erste offene Spannung zwischen dem Präsidenten und der Legislative.

Ziel der auswärtigen Politik blieb das Einvernehmen mit England, während die Sendung Persignys, des engsten Vertrauten von Ludwig Bonaparte, nach Berlin den Zweck des Abschlusses einer Allianz gegen Österreich hatte, das aus Italien hinausgedrängt werden sollte. Inzwischen nahm die antirevolutionäre Politik ihren Fortgang. Schon Anfang 1850 erfolgte die Einteilung F.s in vier große Militärdivisionen, welche die Gewalt in den Händen weniger ergebener Generale konzentrierte, und die Auflösung der Mobilgarde. Als dann (10. März) die Ergänzungswahlen zur Nationalversammlung, namentlich in Paris, eine Mehrzahl von socialistischen Kandidaten aus der Urne hervorgehen ließen, schritt man zu durchgreifendern Maßregeln. Der Minister des Innern legte der Nationalversammlung zwei neue Gesetze gegen das Vereinswesen und gegen die Presse vor. Als eine abermalige Neuwahl in Paris dem socialistischen Kandidaten Sue die Mehrheit verschaffte, erfolgte der Antrag auf Beschränkung des allgemeinen Stimmrechts, der auch (31. Mai) mit 433 gegen 211 Stimmen angenommen ward. Ein beschränkendes Preßgesetz wurde 16. Juli beschlossen. Napoleon benutzte die Zeit der Vertagung der Nationalversammlung zu neuen Rundreisen, Anreden u. s. w., und besonders zur Bearbeitung des Militärs. Die Versammlung trat 12. Nov. wieder zusammen, und der Präsident erließ eine Botschaft, die eine Revision der Verfassung und die Wiederwählbarkeit des Präsidenten forderte; den Gedanken einer illegalen Überschreitung wies er zurück. Das Ministerium gab (4. Jan. 1851) seine Entlassung und ward 9. Jan. reorganisiert, erhielt jedoch schon 18. Jan. 1851 ein Mißtrauensvotum. Der Präsident lenkte ein, erließ (24. Jan.) eine versöhnliche Botschaft, die den Übelstand zweier unabhängiger Gewalten im Staate konstatierte und zu gegenseitigem Vertrauen aufforderte, und ersetzte das Ministerium durch eine Übergangsverwaltung. Dieser folgte endlich 12. April 1851 ein definitives, vorwiegend bonapartistisches Kabinett, mit Léon Faucher, dem Minister des Innern, an der Spitze. Das Hauptstreben Ludwig Napoleons war die Aufhebung des Verfassungsartikels, der die Dauer der Präsidentschaft auf vier Jahre beschränkte, und die Abschaffung des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1850, um durch Herstellung des allgemeinen Stimmrechts seine Wiederwahl zu sichern. Sein fester Entschluß, das Wahlgesetz zu ändern, hatte schon 14. Okt. das Ministerium veranlaßt, seine Entlassung zu geben. Dasselbe wurde 28. Okt. in ausschließlich bonapartistischem Sinne erneuert. Am 6. Nov. brachten die Quästoren der Nationalversammlung einen Antrag ein, wonach das Recht der Verfügung über die bewaffnete Macht nicht dem Kriegsminister, sondern der Versammlung überlassen werden sollte; am 13. ward die von der Regierung beantragte Aufhebung des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1850, d. i. die Wiederherstellung des allgemeinen Stimmrechts, mit 355 gegen 348 Stimmen (Bonapartisten und Linke) verworfen. Jener Antrag der Quästoren fiel ebenfalls aber seitdem er gestellt worden war, war der Staatsstreich bei Ludwig Napoleon beschlossene Sache, zu deren Ausführung als Vertraute besonders Persigny, Morny, Saint-Arnaud, Maupas, Magnan beigezogen wurden. In der Frühe des 2. Dez. 1851 wurden die Generale Changarnier, Cavaignac, Lamoricière, Bedeau, Leflô, Oberst Charras, auch Thiers u. a. Führer in ihren Wohnungen überfallen und verhaftet, durch ein Dekret die Nationalversammlung aufgelöst, das Wahlgesetz vom 31. Mai aufgehoben, der Staatsrat entlassen und über Paris und 10 Departements der Belagerungszustand verhängt. Eine Proklamation Ludwig Napoleons verkündigte eine Berufung an das Volk, das in Urversammlungen vom 14. bis 21. Dez. sich über die von dem Präsidenten vorgeschlagenen Grundzüge einer Verfassung aussprechen sollte, die in ihren wesentlichen Bestimmungen die des Konsulats erneuerte und ein verantwortliches Staatsoberhaupt auf 10 Jahre forderte, sowie Minister, die nur von ihm abhängen, einen Staatsrat, der die Gesetze vorbereiten, einen Gesetzgebenden Körper, welcher sie erörtern und beschließen, einen Senat, der aus allen berühmten Männern des Landes gebildet werden sollte. Vergebens suchte eine Fraktion der Gesetzgebenden Versammlung auf der Mairie des 10. Arrondissements den gesetzlichen Widerstand der Behörden zu organisieren: sie wurde gesprengt und ihre bedeutendsten Mitglieder nach Vincennes und Mazas gebracht. Die Truppen, deren gegen 80000 Mannen Paris konzentriert waren, blieben dem Präsidenten treu. Doch begann 3. Dez. der bewaffnete Widerstand im Faubourg St. Antoine und an den Boulevards sich zu organisieren, wurde aber, da die untern Massen sich wenig beteiligten, schon am Abend des 4. mit blutiger Strenge unterdrückt. Eine Verordnung vom 8. Dez. verhängte über alle, die Mitglieder einer geheimen Gesellschaft gewesen, die Deportation nach Cayenne oder Algerien, während gleichzeitige Maßregeln teils die Helfer des Staatsstreichs belohnten, teils durch Konzessionen an den Klerus die Legitimisten zu gewinnen suchten. An die Stelle des repräsentativen Körpers trat provisorisch eine Commission consultative. Unter dem Druck der Ausnahmegesetze und der schrankenlosesten Polizeigewalt fand die Volksabstimmung über die vorgelegten Entwürfe statt und ergab 7419000 stimmen für dieselben, ungefähr 640000 dagegen.

Die neue Gewalt umgab sich nun stufenweise mit den Einrichtungen und Personen, die man als Stützen eines streng Napoleonischen, d. i. persönlichen Systems betrachten durfte. Alle öffentlichen Freiheiten waren unterdrückt; eine öffentliche Meinung außer der offiziellen, die in feilen Federn ihre Organe fand, ward nicht geduldet; sogar über die Salons dehnte sich der polizeiliche Druck aus. Nachdem ein Dekret vom 10. Jan. 1852 alle parlamentarischen und militär. Berühmtheiten, Männer wie