Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Heinrich VIII. (König von England)'
1521 ausbrechenden ersten Krieg zwischen Franz I. und Karl V. England neutral zu halten. Aber die eitle Kriegslust des Königs, geschürt von einer dem Kardinal
feindlichen Hofpartei, zwang ihn zum Anschluß an Karl V. und zum Beginn eines Krieges gegen Frankreich (1522–25), der nur dem Kaiser nützen konnte. Die
Geldanforderungen dieses Krieges zwangen Wolsey zur Berufung des einzigen Parlaments unter seiner Leitung (1523). Endlich gelang es ihm, H. von dem unnützen
Kriegsbündnis abzubringen, er schloß 6. Sept. 1525 den Separatfrieden von Moor mit Frankreich, der England große Geldzahlungen zusicherte.
Während er so die engl. Politik wieder in neutralen Bahnen hielt, bereitete sich schon das folgenschwerste Ereignis von H.s Regierung vor, sein berüchtigter
Ehescheidungshandel. Es sind vergebliche Versuche gemacht worden, des Königs Beweggründe bei dieser Angelegenheit in günstigerm Lichte erscheinen zu lassen; der
wirkliche Anlaß war lediglich Überdruß an der früh verblühten, fast sechs Jahre ältern Gattin Katharina und die blinde Leidenschaft für
Anna Boleyn (s. d.). Diese verband sich mit der Wolsey feindlichen Hofpartei, deren Häupter Annas Verwandte waren, vor allem
ihr Oheim Thomas Howard, Herzog von Norfolk. Sie trieben den König geschickt tiefer und tiefer in seine Leidenschaft zu Anna, bis zum Entschluß, sie zu seiner
Gattin zu erheben. 1523 hatten die ersten Beziehungen H.s zu Anna begonnen, 1527 leitete man die Scheidung von Katharina ein; aber Wolseys Versuche, dazu einen
päpstl. Ehedispens von Clemens VII. zu erzwingen, scheiterten an der damaligen polit. Lage. Dieser Mißerfolg gab seinen höfischen Feinden die Waffen gegen ihn in
die Hand, der launische Monarch ließ ihn fallen (1529) und ging nun Schritt um Schritt vor, um zu ertrotzen, wozu ihm der Papst den Beistand weigerte. So erwuchs
aus dem Scheidungshandel die kirchliche Losreißung Englands von Rom. Hierfür gab ein günstiges Geschick dem König einen neuen staatsmännischen Helfer zur Seite in
Thomas Cromwell (s. d.), der den Schritt blinder Leidenschaft zum Zwecke einer wirklichen kirchlichen Reformation
auszunützen suchte. In Thomas Cranmer (s. d.), dem Erzbischof von Canterbury, erhielt Cromwell den kirchlichen Berater, H.
ein gefügiges Werkzeug seines Willens, indem dieser im Mai 1533 die alte Ehe des Königs löste und die neue, bereits im Januar heimlich vollzogene mit Anna Boleyn
für rechtsgültig erklärte. H.s Gefallen an der endlich errungenen Gemahlin dauerte nur kurze Zeit. Sie täuschte seine Hoffnung auf einen Sohn, 7. Sept. 1533 gebar
sie ihm eine Tochter, die spätere Königin Elisabeth. Als eine neue Rivalin, Johanna Seymour, des Königs Herz gewonnen hatte, wurde sie gestürzt, unter dem
erlogenen Vorwande ehelicher Untreue ließ H. sie 19. Mai 1536 hinrichten und heiratete bald darauf seine neue Geliebte.
In diesen Jahren waren Cromwell und Cranmer in ihren reformatorischen Plänen ein gutes Stück vorwärts gekommen, als H. ihnen Einhalt gebot, denn er wollte keinen
Schritt weiter gehen, als zur Erreichung seiner persönlichen Zwecke notwendig gewesen, und dazu genügte die Trennung von Rom. Englands Kirche sollte in Dogma und
Kultus katholisch bleiben, nur er wollte an des Papstes Stelle an die Spitze treten. Dem entsprach die Suprematsakte, die ihn zum obersten Haupt in Kirche
↔ und Staat erhob, der dogmatische Abschluß in den ganz auf kath. Boden stehenden «Sechs Artikeln» (1539), und nicht zuletzt die Säkularisation
des gesamten Kirchengutes. (S. Anglikanische Kirche.) Wohl hatten diese beginnenden Maßnahmen schon 1536 eine mächtige reaktionäre Volkserhebung
in der «Pilgerfahrt der Gnade» entflammt, sie wurde aber niedergeschlagen, und des Papstes Bannbulle (1538) blieb ohne Wirkung. Mit dieser Kirchenreform gelangte
der königl. Absolutismus, den Heinrich VII. begründet hatte, auf seine Höhe; willenlos gab das Parlament seine Zustimmung zu allen Geboten des Königs. Nach
Johannas Tod, die den ersehnten Thronerben, Eduard, 1537 geboren hatte, setzte Cromwell 1540 des Königs Ehe mit einer prot. Fürstin, Anna von Cleve, durch. Aber
H.s Abneigung gegen die geistig und körperlich wenig bevorzugte Gattin gab Cromwells Gegnern die erwünschte Gelegenheit, ihn zu stürzen. Wieder war der Führer
dieser Hofintrigue der Herzog von Norfolk, wieder sein Werkzeug eine Nichte, Katharina Howard, deren Reize den König gefangen nahmen. Cromwell wurde gestürzt und
unter dem Vorwand des Hochverrats hingerichtet (28. Juli 1540). Aber auch Katharina Howard, die kurz darauf, nachdem H. sich von Anna hatte scheiden lassen, seine
Gattin wurde, verfiel dem Schicksal Anna Boleyns und Cromwells. Die Beschuldigung der Untreue war bei ihr obendrein besser begründet, schon 6. Febr. 1542 starb sie
auf dem Schafott. Katharina Parr wurde 1543 die sechste Gemahlin H.s und überlebte ihn.
In der äußern Politik hatte die Scheidung von der ersten Gattin und die ihr folgende Gegnerschaft gegen Spanien H. zum engsten Anschluß an Frankreich getrieben,
der erste Beginn reformatorischer Thätigkeit führte zu einem mißglückten Annäherungsversuch an die deutschen Protestanten. In einem Kriege mit Jakob V. von
Schottland siegten die Engländer glänzend bei Solway Moß (1542), H. trug sich sogar mit der Idee einer Union der beiden Reiche. 1543 trat er nochmals als
Bundesgenosse Karls V. in dessen Krieg gegen Franz I. von Frankreich ein, der für England erst 1546 beendet wurde und ihm zwar Boulogne brachte, aber Unsummen
kostete. Noch einmal schien in H.s letzter Zeit dem Protestantismus einige Hoffnung zu leuchten, das Haupt der Katholiken, der alte Herzog von Norfolk, mußte in
den Tower, sein Sohn Graf Surrey wurde enthauptet, dem Vater drohte ein ähnliches Schicksal, als H., der mächtigste Despot Englands in der neuern Zeit, nach
38jähriger Regierung 27. Jan. 1547 starb.
H. besaß weder die Arbeitslust noch das Pflichtgefühl seines Vaters, der ihm an polit. Verstande weit überlegen war. Wohl hatte er mancherlei Kenntnisse in
Wissenschaft und Kunst, aber in keiner Weise tiefere Anlagen des Geistes oder gar des Gemüts, er war vor allem außerordentlich eitel und egoistisch. Dafür besaß er
ein großes Selbstbewußtsein und einen ungeheuern Selbstwillen, der möglich machte, was seine eigensinnige Laune forderte, sei es zu des Landes Schaden oder zu
dessen Bestem. Damit hat er aber zugleich auch seine Diener zu stützen gewußt, vor allem die beiden hervorragenden Staatsmänner, auf denen die Größe seiner Epoche
beruht, Wolsey und Cromwell.
Vgl. Froude, History of England, Bd. 1–4 (Lond. 1856–58; neue Aufl. 1881–82); Maurenbrecher, England im Reformationszeitalter
(Düsseld. 1866); Pauli, Aufsätze zur engl. Geschichte (Lpz.
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 991.