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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Konstituierende Versammlung - Konstitutionelles System
auch jemand zur Verantwortung ziehen, belangen'
sich konstituieren lvon Versammlungen), sich
als ein zu einem bestimmten Zweck zusammen-
getretener Verein proklamieren und damit als
solchen begründen.
Konstituierende Versammlung (frz. ^on8ti
W3.ut6), im modernen Staatsrecht Bezeichnung sür
eine Versammlung von gewählten Volksvertretern,
welche die Aufgabe hat, eine neue Verfassung auszu-
arbeiten. Beispiele sind: die ^L86indi66 nationais
und der Nationalkonvent der ersten Französischen
Revolution: die belgische K. V. von 1830; die fran-
zösische, das Vürgerkönigtum Ludwig Philipps ein- ^
setzende Deputiertenkammer desselben Jahres; die
franz. Nationalversammlung von 1848; die deutsche
Konstituierende Nationalversammlung zu Frank-
furt 1848/49; die Versammlung Zur Vereinbarung
der preuß. Staatsverfassung zu Berlin 1848; der
Konstituierende Reichstag zur Gründung des Nord-
deutschen Bundes im Febr. 1867; die 12. Febr.
1871 (in Bordeaux) eröffnete und 31. Dez. 1875
aufgelöste franz. Nationalversammlung zu Ver-
sailles. - Vgl. Lamartine, Hiätoire ä63 (^ouLti-
want63 (4 Bde., Par. 1854-55).
Konftitut, soviel wie ^onätituwm (s. d.).
Konstitution (lat.), Zusammensetzung, Fest-
setzung, Begründung, Einrichtung; in der ältern
Rechts spräche soviel wie Verordnung. Für das
röm. Recht sind die (^0ii3tiwti0ii63 piincipuni
oder kaiserl. Erlasse nächst den Komitialgesetzen
und den Erlassen (Edikten) der altrepublikanischen
Magistrate die Zauptquelle. In gleicher Weise
hießen zu den Zeiten des Deutschen Re-ichs die vom
Kaiser ausgehenden oder bestätigten Anordnungen
^0Q8tituti0u63 im^LliÄikZ. Die auf die Kirche be-
züglichen Erlasse sowohl der geistlichen als der welt-
lichen Gewalt sind OoiiZtiwtioiieä 6ccl68iH3tica,6.
Über die OonLtitutioneZ apostolieaL s. Apostolische
Konstitutionen und Kanones. In den frühern deut-
schen Landesgesetzen hat K. eine vielfach wechselnde
Bedeutung, z. V. die einer Entscheidung von zweifel-
haften Rechtsfragen oder auch wieder eines Ge-
setzes, das eine abgeschlossene Nechtsdisciplin er-
schöpft. In neuerer Zeit gebraucht man staats-
rechtlich das Wort im Sinne von Verfassungs-
urkunde zur Bezeichnung einer Kodifikation des
Staatsrechts und zwar regelmäßig, obwohl dies
nicht im Worte liegt, in dem engern Sinne: auf
freiheitlicher Grundlage mit Volksvertretung. (S.
Grundgesetz.) Auch die Verfassung einer Privat-
gesellschaft wird K. genannt.
In der Medizin ist K. der Inbegriff der ge-
samten Organisationsverhältnisse des Körpers,
d. h. die besondere und eigentümliche Körperbe-
schaffenheit eines einzelnen Menschen (individuelle
K.) oder eines ganzen Volkskörpers (endemische und
epidemische K.), namentlich insofern dadurch eine
Anlage zu Krankheiten bedingt oder gesteigert, oder
deren Verlauf abgeändert wird.
Die individuelle K., deren äußerer Ausdruck
den Habitus darstellt, unterscheidet man teils nach
dem Kräfte- und Reizbarkeitsverhältnis: in die kräf-
tige (robuste) und schwächliche (debile), reizbare
(floride) und träge (torpide), teils nach dem Vor-
wiegen eines der Hauptsysteme des Körpers: der
Arterien (arterielle), der Venen (venöse), der Lymph-
gefäße (lymphatische oder skrofulöse), oder des Nerven-
systems (nervöse K.). Die verschiedenen Konstitu-
und Kombinationen stattfinden, fallen entweder in
die Breite der Gesundheit oder gehen allmählich ohne
Grenzen in wirklich krankhaftes Verhalten über, und
zwar teils in Allgemeinkrankheiten (sog. Konstitu-
tionskrankheiten), teils in ein mehr und mehr
hervortretendes Leiden eines einzelnen Organs.
Die endemische und epidemische K., d. h. die
gemeinsame Eigentümlichkeit und Krankheitsanlage
einer größern beisammenwohnenden Menschenmenge
(z. B. einer Dorf- oder Stadtgemeinde, einer Kreis-
oder Landesbevölkerung), ist meist die Hauptgrund-
lage für das Entstehen von Volkskrankheiten. (S.
Endemie und Epidemie.)
Die endemische K. umsaht die Eigenschaften,
welche einer Gemeinde oder Bevölkerung dauernd
eigentümlich, gleichsam unter ihr einheimisch sind
sz. B. die Neigung der Engländer zum Spleen, die
Anlage der Bewohner gewisser Schweizerthäler zu
Kröpf und Kretinismus). Sie bedingt den sog. ein-
heimischen (endemischen) Krankheitsgenius oder
Krantheitscharakter. Ihre Ursachen sind: die örtliche
Beschaffenheit des Erdbodens, der häuslichen und
kommunlichen Einrichtungen (Häuserbau, Strahen-
pflaster, Strahenreinigung u. s. w.), die Eigentüm-
lichkeit des physischen und geographischen, auch Orts-
klimas, der Luftbeschaffenheit (z. B. durch sumpfige
Aushauchungen des Bodens), der Nahrungs- und
Erwerbsweise der Einwohner u. dgl. m.
Die epidemische K. bezeichnet jenen Wechsel in
der Krankheitsanlage der Völker, welcher im Laufe
der Zeit auftritt und wieder verschwindet und da-
mit den Wechsel des epidemischen Genius bewirkt,
nämlich neue Krankheiten bringt, alte vergehen
macht. So herrschen heutzutage Cholera, Typhus,
Scharlach, ehedem herrschten Schwarzer Tod, Aus-
satz, Schweißfieber. Die Ursachen sind auch hier
teils in solchen Veränderungen zu suchen, welche die
Erde und ihr Luftkreis erleidet; teils in manchen
ausgebreitetern Prozessen der Tier- und Pflanzen-
welt, wie z. B. die Kartoffel- und die Weintrauben-
krankheit auf periodisch weitverbreiteten Schimmel-
bildungen beruhen; teils endlich in den mit dem
Laufe der Zeiten und Jahrhunderte sich ändernden
Sitten und Gebräuchen der Menschen selbst.
Vgl. Liebermeister, Über die Ursachen der Volks-
krantheiten (Bas. 1865); Osterlen, Die Seuchen, ihre
Ursachen, Gesetze und Bekämpfung (Tüb. 1873);
Beneke, Die anatom. Grundlagen der Konstitutions-
anomalien des Menschen (Marburg 1878).
Konstitution, chemische, s. Chemische Formeln.
Konstitutionalismus (neulat.), s. Konstitutio-
nelles System. ^lich, verfassungsmäßig.
Konstitutionell (frz.), auf die Verfassung bezüg-
Konftitutionelle Rechte oder rechtes Cen-
trum, von den Gegnern als die Ralliierten oder
päpstl. Republikaner bezeichnet, nennt sich die aus
frühern Monarchisten bestehende Parteigruppe in der
franz. Dcputiertenkammer, die Febr. 1892 unter Füh-
rung von Piou, Fürst von Arenberg und General de
Frescheville der Aufforderung der päpstl. Encyklika
(s. Frankreick, Bd. 7, S. 126 N) folgte und sich auf
den Boden der republikanischen Verfassung stellte.
Außer für Anerkennung der Republik traten sie be-
sonders ein für die Herstellung des socialen und
religiösen Friedens und gegenseitige Wahrung aller
Rechte. Sie zählten anfangs 38 Mitglieder, erran-
gen aber bei den Wahlen 20. Aug. 1893 nur 35 Sitze.
Konstitutionelles System, Konstitutio-
tionsarten, zwischen denen mannigfache Übergänge nalismus, diejenige Verfassungsform, welche, in
Artikel, die man unter K vermißt, sind unter C aufzusuchen.