Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

777

Menschenverluste im Kriege

Siebenjährigen Kriege und den Napoleonischen Feldzügen sind beglaubigte Verlustziffern bekannt. So wurden von den Preußen bei Kolin 40 Proz., bei Kunersdorf 38 Proz. getötet oder verwundet, von den Engländern bei Belle-Alliance 25 Proz. Hingegen betrug bei Königgrätz der Verlust der Österreicher an Toten und Verwundeten 11 Proz., derjenige der Preußen nur 4 Proz. In den beiden relativ blutigsten Schlachten des Krieges 1870/71, bei Spicheren und Mars-la-Tour, hatten die Deutschen 18 und 22 Proz. Gefallene und Verwundete, in den Entscheidungsschlachten bei Gravelotte und bei Sedan nur 10 und 4½ Proz., später noch weniger.

Die relative Zahl der Verwundeten ist vor allem abhängig von der Dauer der Feldzüge und der Art der Kriegführung (Bewegungskrieg oder Belagerungskrieg, Häufigkeit der Zusammenstöße, Fernkämpfe und Nahekämpfe), sodann von der Bewaffnung und Ausbildung der Truppen. Die einzelnen Schlachten, wie auch die ganzen Kriege früherer Zeiten führten schon wegen ihrer meist längern Dauer größere Menschenverluste herbei als die neuern. Im Krimkriege betrug die Gesamtzahl der Getöteten und Verwundeten bei den Franzosen 50108 (50,6 Proz. der Durchschnittskopfstärke), bei den Engländern 14849 (33,0 Proz.); in dem ital. Feldzuge (1859) bei den Franzosen 19590 (15,0 Proz.); im amerik. Secessionskriege (1861‒65) bei den Unionstruppen 328293 (60,3 Proz.); im schlesw.-holstein. Feldzuge (1864) bei den Preußen 2443 (4,9 Proz.); in dem Deutschen Kriege (1866) bei der preuß. Armee in Böhmen 16284 (5,8 Proz.); im Deutsch-Französischen Kriege bei den Deutschen 116821 (14,8 Proz.); im Russisch-Türkischen Kriege (1877/78) bei beiden russ. Armeen (Donauarmee und Kaukasusarmee) 117000 (etwa 12 Proz.).

Die an Wunden Gestorbenen setzen sich zusammen aus den Gefallenen und aus den in den Sanitätsanstalten Verstorbenen. Nicht nur absolut, sondern auch relativ pflegt die Zahl der Gefallenen bei Belagerungen größer zu sein als in Feldschlachten, überhaupt bei Nahekämpfen größer als bei Fernkämpfen; desgleichen wächst sie mit der bessern Bewaffnung und Ausbildung des Gegners. Der Unterschied zwischen vorwiegend Belagerungskriegen und vorwiegend Bewegungskriegen prägt sich in nachstehenden Ziffern aus. Von der Gesamtzahl der Verwundeten blieben tot auf dem Schlachtfelde: im Krimkriege (Belagerung) bei den Franzosen 20,4, bei den Engländern 18,6 Proz.; im ital. Feldzuge bei den Franzosen 12,7 Proz.; im amerik. Secessionskriege bei den Unionstruppen 13,5 Proz.; 1864 (Belagerung) bei den Preußen 17,3 Proz.; im Deutschen Kriege bei der preuß. Armee in Böhmen 15,7 Proz.; 1870/71 bei den Deutschen 14,8 Proz.; im Russisch-Türkischen Kriege (Belagerung) bei den Russen etwa 25 Proz.

Durch die gleichen Umstände wird die Zahl der nachträglich an Wunden Gestorbenen erhöht oder vermindert. Außerdem aber machen sich dabei geltend: 1) Schnelligkeit, Umfang und Art des Sanitätsbeistandes überhaupt; 2) Umfang der ersten Hilfe auf dem Schlachtfelde selbst und in den ersten Tagen der Verwundung: 3) hygieinische Verhältnisse bei den Truppen und in den Sanitätsanstalten; 4) absolute Größe der Verluste. Für ein und denselben Krieg gilt der Satz: Je größer der absolute Gesamtverlust, desto größer die Sterblichkeit unter den Verwundeten. Den Gefahren, welche die Anhäufung von Verwundeten mit sich führt, sucht die Krankenzerstreuung (s. d.) zu begegnen; die Aufgabe aber wird mit der steigenden Zahl der Verletzten schwieriger.

In den neuern Kriegen betrug die nachträgliche Sterblichkeit: im Krimkriege bei den Franzosen 19,9 Proz. aller Verwundeten (einschließlich der Gefallenen) und 25 Proz. der in ärztliche Behandlung Gelangten (ausschließlich der Gefallenen), bei den Engländern 12,4 und 15,2 Proz.; 1859 bei den Franzosen 15,1 und 17,4 Proz.; im Secessionskriege bei den Unionstruppen 10,0 und 12,3 Proz.; 1864 bei den Preußen 12,9 und 15,6 Proz.; im Deutschen Kriege bei der preuß. Armee in Böhmen 8,9 und 10,6 Proz.; 1870/71 bei den Deutschen 9,4 und 11,1 Proz. Als nachträgliche Sterblichkeit bei den Russen im Russisch-Türkischen Kriege würden sich nach den amtlichen Veröffentlichungen nur rund 4,5 und 6,0 Proz. ergeben. Dabei ist jedoch die überaus große Zahl der als «gefallen» Bezeichneten (25 Proz.) zu berücksichtigen. Doch können die Zahlen aus dem Russisch-Türkischen Kriege nicht als Beweis für erfolgreiche Wundbehandlung in den Sanitätsanstalten gelten, sondern lediglich als Beleg für die Mangelhaftigkeit des gesamten Sanitätsbeistandes, wie aus den unten folgenden Angaben über die Gesamtsterblichkeit unter den Verwundeten erhellt.

Durch die Erfolge der neuern Wundbehandlung ist auch für die Kriegschirurgie eine neue Zeit angebrochen. Andererseits aber muß künftig mit sehr großen Armeen und einer gewaltigen Zahl von Verwundungen in kürzester Zeit gerechnet werden. Schon 1870/71 erwuchs für die deutschen Sanitätsanstalten eine schwierige Aufgabe daraus, daß sich nicht weniger als 57000 Verwundungen, d. h. rund die Hälfte aller in den sieben Kriegsmonaten überhaupt vorgekommenen Verwundungen, auf den Monat August zusammendrängte.

Als Gesamtsterblichkeit ergiebt sich für den Krimkrieg bei den Franzosen 40,4 Proz. aller Verwundeten, bei den Engländern 30,9 Proz.; im ital. Feldzuge bei den Franzosen 28,1 Proz.; im Secessionskriege bei den Unionstruppen 24,1 Proz.; 1864 bei den Preußen 30,2, 1866: 24,0 Proz.; 1870/71 bei den Deutschen 24,2 Proz.; 1877/78 bei den Russen rund 30 Proz.

Bedeutender waren fast in allen bisherigen großen Kriegen die Einbußen durch Todesfälle infolge von Krankheiten. Nach Schätzungen sind 1792‒1815 von den rund 4½ Millionen in Frankreich ausgehobenen Soldaten etwa 300000 an Wunden, mehr als 2 Millionen an Krankheiten gestorben. Während des Krimkrieges betrug der Verlust bei den Franzosen infolge von Wunden über 20000, infolge von Krankheiten über 75000 Mann, bei den Engländern 4600 und 16000; im amerik. Secessionskriege bei den Unionstruppen 79000 und 225000; im Deutschen Kriege bei den Preußen in Böhmen 4000 und 6500; im Russisch-Türkischen Kriege bei der russ. Armee gegen 35000 und über 80000. Daß jedoch ein derartiges Verhältnis nicht unabänderlich ist, hat schon die ägypt. Expedition unter Bonaparte und Kleber (1798‒1800) gezeigt, bei der trotz des ungünstigen Klimas und der Pest, die allein 1689 Mann hinraffte, das 30000 Mann starke Heer in 2½ Jahren 4758 Mann durch feindliche Waffen, aber nur 4157 durch Krankheiten verlor. In kurzen Feldzügen, so 1859 und 1864, sind wiederholt die Todesfälle durch Krankheiten hinter