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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ostindien (Vorderindien)

Belutschistan (s. d.) und Mesopotamien. Dagegen erreicht der Pflanzenwuchs in Bengalen und den fruchtbaren Niederungen und Küstengegenden der Halbinsel fast die Großartigkeit des in Brasilien. Hier ist das Vaterland der Aurantiaceen, der Citrone und Orange (s. Citrus), die Heimat des Gummibaumes (Ficus elastica L.), wie überhaupt die tropischen Feigen eine große Mannigfaltigkeit erreichen und Ficus religiosa L. zu den Charaktertypen des Landes gehört. Neben dem Zuckerrohr haben hier ferner die Zimmetbäume (Cinnamomum ceylanicum Nees und Cassia), die Banane, der Pfefferstrauch, die Zingiberaceengewürze Ingwer und Kardamom, endlich auch der Reis ihre Heimat; wenige dieser wichtigen Kulturarten lassen sich im gemäßigten Europa noch im Gartenbau fortpflanzen, unter ihnen Melone und Gurke. Eine Fülle von Palmen wächst hier zwischen den vortrefflichen Nutzhölzern der Teak- (Tectona grandis L.), Sandel- (Santalum album L.) und Ebenholzbäume: die riesigen Corypha- und Caryotapalmen, die Gomuti (Arenga) und mehrere Sago liefernde Arten. Im Gegensatz zu den niedern Landen verlieren die Vegetation und mit ihr auch das Tierreich ihr vorherrschendes tropisches Gepräge, je höher man in die Gebirge hinaufsteigt. Die Kokospalme hört schon bei 3-500 m, die Banane bei 1000 m auf. Dagegen finden sich hier Waldungen von hochstämmigen, meist immergrünen Bäumen. Aber auch für Kulturpflanzen haben die höhern Gegenden, namentlich im Dekan, trefflichen Boden. Neben Kaffee und Baumwolle gedeihen hier die europ. Getreidearten und neben specifisch tropischen und Südfrüchten alle feinern Obstarten.

Die Tierwelt von O. ist merkwürdig zusammengesetzt, indem afrik., europ.-mandschurische und echt ind. Elemente in ihr vorkommen. Im W., im Wüstenterrain, das südlich bis an den Wendekreis des Krebses, südöstlich bis an das Arawaligebirge, östlich ungefähr bis zum 77.° östl. L. und im N. bis zum Himalaja reicht, herrscht eine ausgesprochene Wüstenfauna, es treten auf: Gazellen, Wildpferde, Schakale, Hyänen und vielleicht der Löwe. An dieses Gebiet grenzt östlich ein zweites, an Wald und Dschungeln reiches, von ansehnlichen Strömen, allen voran vom Ganges durchströmtes. Es beherbergt Affen, den Tiger, Wildschweine, Hirsche, Zwergmoschustiere, Rinder, Elefanten, Nashörner, Schuppentiere u. s. w. Vögel sind zahlreich, desgleichen Reptilien, besonders Schlangen. Die Ströme beherbergen außer zahlreichen Fischen Krokodile, der Ganges auch Haifische und einen merkwürdigen Delphin (Platanista gangetica Cuv.). Ein drittes Gebiet umfaßt die Spitze von Vorderindien vom 15.° nördl. Br. nach S. reichend mit Ceylon. Es ist, besonders durch das Hereinspielen malaiischer Elemente, reicher an Formen als die beiden andern Gebiete; so finden sich hier Halbaffen, Spitzhörnchen oder Tupajas, viele Vögel, verschiedene bloß hier vorkommende Schlangen und Eidechsen. Das Nilgirigebirge hat in bedeutendern Höhen eine Fauna, die teilweise, besonders unter den Insekten, nordasiat. Elemente aufweist. Die Südabhänge des Himalaja schließen sich tiergeographisch dem hinterindischen, die Hochlande jenes Gebirges dem mandschurisch-chines. Faunengebiete an. Auf ganz O. entfallen Vertreter von etwa 28 Familien von Säugetieren, 64 Familien von Vögeln, 19 von Schlangen, 7 von Eidechsen, 2 von Krokodilen, 2 von Schildkröten, 6 von Amphibien und 12 von Süßwasserfischen.

Die Bevölkerung von Britisch-Indien, das mit den neuen Erwerbungen über Vorderindien hinausgeht und auch Britisch-Ostindien oder Angloindisches Reich genannt wird, mit allen Lehnstaaten beträgt (1891) 287223431 E., d. i. eine Zunahme von 33 Mill. gegen 1881, und etwa 19 Proz. der Bevölkerung der Erde. Über die Verteilung auf die Landesteile s. die Tabelle auf Karte Ostindien I. Nach dem Geschlecht überwiegen die Männer mit 112 gegen 108 Mill. Frauen in den brit. Provinzen, mit 34 gegen 31 Mill. Frauen in den Staaten der Eingeborenen. Im eigentlichen Hindustan bilden den Hauptteil die arischen Inder oder eigentlichen Hindu (s. Inder), deren Sprachen und Dialekte vom Sanskrit abstammen. Im Dekan wohnen hauptsächlich Drâviḍa (s. d.), sowie Tamulen, Kanaresen, Telugu, Malabaren u. s. w. Neben beiden Gruppen besteht daselbst noch eine Anzahl von Volksstämmen, die in Sitte, Religion, Sprache und Körpergestalt von ihnen abweichen und wahrscheinlich als Überreste der frühern Ureinwohner anzusehen sind. Dieselben sind wilder und roher, leben auch meistens in unzugänglichern Berg- und Waldgegenden. Zu den merkwürdigsten gehören die Bhil (s. d.), die Gond (s. d.), die Pahari, die Kol, die Wedda auf Ceylon (s. d.). Hieran schließen sich die Stämme im Himalaja (s. Himalajavölker, Newar, Bhot), die Dom im Gebirgslande Kumaon, die Bewohner von Baschahr, die Kanawari am obern Satladsch, die Leptscha, Murmi, Limbu u. s. w. (S. auch Indische Sprachen.) Nächst diesen, der allerältesten Bevölkerung angehörenden Stämmen giebt es noch mehrere in histor. Zeit eingewanderte. Obenan stehen unter ihnen die Nachkommen der mohammed. Eroberer, teils mongol., teils pers.-türk. Ursprungs, die noch jetzt das Persische als Muttersprache reden. Auf sie folgen die eingedrungenen mohammedanischen, in O. Rohilla genannten Afghanen, sowie die Araber in den Städten Malabars, in Calicut, Goa sowie in Gudschrat und Multan, deren mit Hindu erzeugte Nachkommen in Südindien Mappila (s. d.) genannt werden. Außerdem sind die Parßi zu nennen, sowie der Sage nach schon zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft eingewanderte Juden. Diese leben in verschiedenen Gegenden Malabars und heißen, zum Unterschied von den schwarzen Juden, die, wahrscheinlich von bekehrten Eingeborenen abstammend, über die ganze Halbinsel verbreitet sind, weiße Juden. Die einheimischen Christen in Vorderindien sind teils sog. Thomaschristen auf der Malabarküste, teils kath. Proselyten in den franz. und portug. Kolonialgebieten, teils durch Engländer und Deutsche bekehrte Protestanten.

Der Religion nach unterscheidet man 207 Mill. Hindu, 57 Mill. Mohammedaner, 9 Mill. unkultivierte Anhänger von Naturreligionen, 7 Mill. Buddhisten (in Birma), 2 Mill. Christen, 2 Mill. Sikh (im Pandschab), 1,4 Mill. Dschain, 89000 Parsen, 17000 Juden und 42000 andere. (S. die Tabelle auf Karte Ostindien I.) Der natürlichen Vermehrung steht eine Auswanderung der viel gesuchten ind. Arbeiter (s. Kuli) gegenüber, die 1885-86: 7979, 1890-91: 20085 und 1891-92: 16567 betrug. 75 Städte haben über 50000 E., darunter 6 über 200000, 28 über 100000 E. 40 zählen 35-50000, 109 zwischen 20 und 35000 E.

Die schon im grauesten Altertum hoch stehende specifisch ind. Kultur ist doch niemals zu voller harmo-^[folgende Seite]