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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Peking
von 11 m; über den neun Thoren der Stadt und
den vier Ecken erheben sich über 30 m hohe Turme;
die Thore sind durch äußere Enceinten verteidigt;
die Mauern durch nur wenig vorspringende Bastio-
nen, die etwa 100 in voneinander entfernt liegen.
Die Chinesenstadt stößt an die Südseite der Tataren-
stadt, ist etwas breiter als die letztere, aber weniger
lang; ihr Umfang beträgt 16,30 1cm; die von siebeil
Thoren durchbrochenen Mauern sowie die Türme
derselben sind viel niedriger als die der Tataren-
stadt. Den Mittelpunkt der letztern bildet die kaiserl.
Stadt, die mit ihren Palästen, Tempeln, Häusern
und Läden ungefähr den fünften Teil einnimmt;
in ihrer Mitte befindet sich die eigentliche Residenz
des Kaisers, die rote oder verbotene Stadt, die ihrer-
seits wieder mit Graben und Wall umgeben ist; die
meisten der in derselben befindlichen Paläste und Gär-
ten stammen noch aus der Zeit der Mongolendynastie.
Die Hauptstraßen laufen von N. nach S. und von
W. nach O. und schneiden sich rechtwinklig; an den
Kreuzungspunkten der hauptsächlichsten befinden
sich hölzerne Triumphbogen, einer bis vier an der
Zahl. Die Häuser sind einstöckig, die Audienzhallen
deZ kaiserl. Palastes stehen zum Teil auf hohen Unter-
bauten. Die Dächer der Paläste und Tempel sind
mit gelb, grün und blau glasierten Ziegeln belegt.
P. besaß früher ein vollständiges System unter-
irdischer Kanalisation, das aber heute, wie alle Bau-
ten u. s. w., Spuren größten Verfalls trägt. P. ist
Sitz aller Ministerien und höchsten Amter des Reichs.
<S. China, Verfassung und Verwaltung.)
Hervorragende Gebäude sind in der Tatarenstadt:
der Aussichts- oder Kohlenhügel (Tsching-shan oder
Mei-shan) mit fünf Pavillons, die Marmorbrücke
< jetzt nicht mehr zugänglich), der Trommelturm,
der Glockenturm, das Observatorium mit Bronze-
instrumenten aus dem 13. und 17. Jahrh., die
Prüfungshalle mit Zellen für 12000 Personen, der
protze Lamatempel (Iung-ho-kung), der Tempel des
Confucius (Wen-miao) mit den Steintrommeln,
10 säulenschaftartigen Granitblöcken mit Inschrif-
ten, angeblich aus etwa 1200 v. Chr., die Halle der
Klassiker mit dem auf über 200 Steintafeln einge-
grabenen Text der neun klassischen Bücher, der Tem-
pel der guten Herrscher (Ti-wang-miao), der Tempel
der weißen Pagode (Pe-ta-sse), derTempelLung-fu-sse,
wo an sechs Tagen monatlich stark besuchte Markte für
Kuriositäten u. s. w. stattfinden. In der Chinesen-
stadt befinden sich die Tempel des Himmels und des
Ackerbaues (Thien-tan und Sche-tschi-tan), der er-
stere 1896 im Neubau begriffen; die Theater, viele
Kaufläden, teilweise in einem bedeckten Vazar am
Tschien-Thor und die Liu-li-tschang-Strahe mit Buch-
lüden; in einem hier gelegenenTempelsindenebenfalls
Wochenmärkte statt, die namentlich in der Neujahrs-
zeit viel besucht sind. Sonst befinden sich in der
Tatarenstadt: die Gesandtschaften des Deutschen
Reichs, Englands, Rußlands, der Vereinigten Staa-
ten, Japans, Frankreichs, Italiens, Spaniens und
Belgiens, mit Ausnahme der letztern südöstlich von
der Kaiserstadt; die kath. Kirchen Nan-tang, die alte
Kathedrale mit einem Hospital der Soeurs de la
Charite' de St. Vincent de Paul unter chines. Ärzten;
der Tung-tang, vor wenigen Jahren neu an Stelle
einer kleinen Kirche errichtet; der Pai-tang, die neue
Kathedrale innerhalb der kaiserl. Stadt, 10. Dez.
1888 eingeweiht, statt der alten, aus der Zeit des
Kaisers Kang-Hi stammenden Kirche, welche der chines.
Regierung auf ihren Wunsch zurückgegeben wurde;
der Pai-tang ist der Sitz des apostolischen Vikars von
P. und Nord-Pe-tschi-li (Lazaristen), eines Semi-
nars, einer Schule und Vuchdruckerei; in Verbindung
mit demselben steht die Ste. Enfance der Soeurs de
la Charitt; der Si-tang, eine kleine Kirche mit
einem alten Vegräbnisplatze. Von den russ. geist-
lichen Etablissements ist der Pei-kwang der Sitz der
griech.-kath. geistlichen Mission, der Nan-kwang seit
1860 der der russ. Gesandtschaft. Die prot. Kirchen
und Bethänser in P. besitzen kein architektonisches
oder histor. Interesse; von den drei prot. Hospitälern
gehört eins der Londoner Missionsgesellschaft, ein
anderes der (Ann-ck ol ^n^ianä N6äic^1 Ni83iou,
mit einem weiblichen Arzte, während das dritte von
einem amerik. Arzte geleitet wird. Von den drei
oder vier Mohammed. Moscheen ist die bemerkens-
werteste die jetzt fast ganz zerfallene, von Kien-lung
erbaute in der Nähe des Kaiserpalastes. Außer
einer Anzahl römisch- und griech.-kath. und prot.
Missionsschulen verdienen Erwähnung die sog. Pe-
ting-Universität, das vom Generalzoll-Inspektorat
der fremden Seezölle ressortierende Tung-wen-
lwang, wo sremde Lehrer chines. Schüler in fremden
Sprachen und Wissenschaften unterrichten. P. ist
nicht für den auswärtigen Handel geöffnet; die sich
dort aufhaltenden Fremden sind Mitglieder der Ge-
sandtschaften und des Generalzoll-Inspektorats oder
der verschiedenen Missionsgesellschaften; ihre Zahl
wird 200 nicht übersteigen.
In der Umgegend von P. liegt der große Iag>
park (Nan-hai-tse), in dem sich Herden von Anti-
lopen und Sse-pu-hsiang, dem sonst ausgestorbenen
lÜ6i'vu8 I)aviäianu8, befinden; die Überreste der
Wälle der alten Kin-Stadt, die Brücke von Lu-kou-
tschiao über den Hun-Ho, die 13stöckige Pagode des
Tempels Tien-ling-sse, der Tempel des Mondes
lIüe-tan), der portug. Kirchhof bei dem kath. Mis-
sionsetablissement Sha-la-eul, auf dem viele Iesuiten-
missionare beerdigt sind; Pa-li-tfchwan mit einer
fehr alten und schönen, teilweise zerstörten Pagode;
Wu-ta-sse aus dem 15. Jahrh, mit einem sünftür-
migen tibetanischen Tempel; die Überreste des alten
Mongolenwalles, der große Glockentempel (Ta-
tschung-sse); die königl. Sommerpaläste Wan-tschou-
shan (der Hügel der 10 000 Generationen), der einstige
Eommeraufenthalt der frühern Kaiserin-Regentin;
Iü-tschüan-shan, der Edelstcinquellenhügelmit einer
großen Pagode; Iuen-ming-juen, der runde und
glänzende Garten, der Iagdpark <Hsiang-shan), alle
diese sind von den Engländern 1860 ganz oder teil-
weise zerstört worden, doch sind noch einzelne Ge-
bäude mit schönen Verzierungen und glasierten Zie-
geln vorhanden; ferner der öamatempel Hwang-sse
mit dem großen Marmordenkmal, das der Kaiser
Kien-lung zum Andenken an den in P. verstorbenen
Teshu-Lama errichtet hat, der Tempel der Erde
(Ti-tan) und der Tempel der Sonne (Schih-tan).
Schon 1121 v. Chr. soll auf der Stelle des jetzi-
gen P. die Stadt Ki gestanden haben, die von 723
bis 221 v. Chr. die Hauptstadt des Fürstentums
Jen war; nach der Aufhebung der Lehnsstaaten
wurde Ki der Hauptort einer Provinz. Im 6. Jahrh,
n. Chr. war es die Hauptstadt des kleinen tatar.
Königreichs Mujong. Von 618 bis 907 war die
Stadt die Residenz eines militär. Generalgouver-
neurs; 986 wurde sie von den Kitan-Tataren er-
obert, die dort ihre Residenz aufschlugen; 1153
wurde sie die mittlere, später nördl. Hauptstadt der
Kindynastie und 1215 von Dschinghis-Chan erobert.