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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Pilze

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Pilze'

sondern müssen einen Teil ihrer Nährstoffe aus bereits gebildeten organischen Verbindungen entnehmen; sie können deshalb nur entweder als Parasiten oder Saprophyten leben.

Die sehr zahlreichen Arten der P. zeigen sowohl in ihren äußern Formen wie in ihrer Lebensweise bedeutende Unterschiede, so daß die ganze Abteilung naturgemäß in fünf Gruppen zerfällt: die Schizomyceten (Spaltpilze) oder Bakterien (s. d.), die Myxomyceten (s. d.) oder Schleimpilze, die Phycomyceten (s. d.) oder Algenpilze, die Ascomyceten (s. d.) oder Schlauchpilze und die Basidiomyceten (s. d.) oder Basidienpilze.

Bezüglich der Anzahl der überhaupt bekannten P. läßt sich kaum eine bestimmte Angabe machen, da sehr viele Arten hinsichtlich ihres Entwicklungsganges und der dabei vorkommenden Erscheinungen des Generationswechsels noch zu ungenau bekannt sind. Immerhin wird man annehmen dürfen, daß gegen 10000 Formen existieren. Ihre Verbreitung ist eine außerordentlich weite, da überall, wo noch Pflanzen und Tiere leben können, auch P. die nötigen Bedingungen für ihre Entwicklung finden. Einige Formen, besonders gewisse Schimmelpilze und Hefepilze, sind Kosmopoliten. Besonders häufig treten P. an solchen Orten auf, wo durch reichlich gebotene organische Nahrung und viel Feuchtigkeit die günstigsten Bedingungen für Wachstum und Fortpflanzung gegeben sind. Wie schnell unter solchen Verhältnissen oft die Verbreitung gewisser Pilzformen stattfinden kann, zeigt z. B. die Einwanderung der die Kartoffelkrankheit hervorrufenden Phytophthora infestans De By. (s. Phytophthora) und ebenso auch das rapide Umsichgreifen mancher Epidemien, die durch Bakterien verursacht werden (s. unten). Da die meisten P. vollkommen ohne Beleuchtung vegetieren können, so trägt auch dieser Umstand dazu bei, die räumliche Ausbreitung derselben zu erleichtern. Jedenfalls haben auch schon in den frühern Perioden der Erde die P. eine ausgedehnte Verbreitung gehabt, doch sind nur wenige davon im fossilen Zustande erhalten. Man hat in mehrern Hölzern, aus der Steinkohle und auch aus andern Formationen nicht selten Mycelien von Schmarotzerpilzen gefunden, auch auf fossilen Blattresten lassen sich häufig noch parasitische Formen nachweisen, doch können diese einzelnen Reste im ganzen wenig Aufschluß über die früher vorhandene Pilzvegetation geben.

Im gewöhnlichen Leben bezeichnet man als P. oder Schwämme nur eine bestimmte Anzahl von Arten aus den Gruppen der Basidiomyceten und Ascomyceten, die durch die Größe und Gestalt ihrer Fruchtkörper besonders auffallen. Viele werden als Nahrungsmittel genossen. Ihr Nährwert ist früher wegen ihres reichen Gehalts an Stickstoffverbindungen überschätzt und dem des Fleisches nahezu gleichkommend erachtet worden. Dies ist indes ein Irrtum, da nur ein geringer Teil ihrer Stickstoffsubstanz aus Eiweiß besteht und sie überdies nur unvollkommen im menschlichen Darm ausgenutzt werden. Man darf deshalb die P. hinsichtlich ihres Nahrungswertes nur den Gemüsen gleichstellen. Die eßbaren P. (hierzu Tafel: Pilze I: Eßbare Pilze; zur Erklärung vgl. die Artikel Champignon, Hallimasch, Parasolschwamm, Stockschwamm, Lactarius, Eierschwamm, Steinpilz, Kapuzinerpilz, Polyporus, Hydnum, Clavaria, Helvella, Morchella und Trüffel) werden in der verschiedenartigsten ↔ Zubereitung genossen, meistens werden dieselben als Gemüse gekocht oder mit Butter gebacken. Einige Arten, wie die Trüffel, die Morcheln, der Musseron u. a., werden bloß als Gewürze zu andern Speisen verwendet. Zur Aufbewahrung eignen sich die P. am besten im getrockneten Zustande oder in Essig eingemacht.

Allerdings liegt bei Verwendung von P. zur Herstellung von Speisen in manchen Füllen die Gefahr einer Verwechselung mit giftigen Formen nahe, doch ist die Anzahl der wirklich giftigen P. (hierzu Tafel: Pilze II: Giftige Pilze; zur Erklärung vgl. die Artikel Pantherschwamm, Fliegenpilz, Knollenblätterschwamm, Schwefelkopf, Speitäubling, Lactarius, Satanspilz, Hexenpilz und Phallus) gegenüber der Anzahl der eßbaren oder doch wenigstens unschädlichen eine äußerst geringe.

Die Wirkung der in den P. auftretenden Gifte auf den menschlichen Organismus ist eine verschiedene und macht sich oft erst nach 4-5 Stunden bemerkbar; gewöhnlich tritt zuerst ein Gefühl von Ekel, Übelkeit, Leibschmerzen, heftiges Erbrechen und Durchfall ein, später folgen Ohnmachten, Krämpfe, Schwindel, Delirien u. dgl. und schließlich tritt in schweren Vergiftungsfällen der Tod ein. Die wichtigsten Gegenmittel sind zunächst Entfernung der genossenen P. durch Brechmittel oder mittels der Magenpumpe sowie durch Abführmittel (Ricinusöl), sodann Anwendung von gerbstoffhaltigen Abkochungen (von Eichen- oder Weidenrinde, Galläpfeln, Tannin, schwarzem oder grünem Thee, Kaffee); nach Entleerung der P. wendet man Hautreize (Senfteige, Essigwaschungen) und belebende Mittel (Hoffmanns Tropfen, starken Wein, Kampfer) an. Bei der besonders gefährlichen Vergiftung mit dem Fliegenpilz verordnen die Ärzte Atropin als Gegengift. Die chem. Zusammensetzung der hierbei in Betracht kommenden Gifte ist noch sehr wenig untersucht. Viele derselben sind in Wasser löslich und man kann deshalb manche giftige P. durch längeres Extrahieren mit Wasser, Wein, Essig, Alkohol oder Salzwasser unschädlich und genießbar machen, doch gehen dabei auch viele Nährstoffe in Lösung, so daß der Nährwert der P. dadurch bedeutend herabgesetzt wird. So können die Morcheln, im frischen Zustand genossen, giftig wirken, während sie nach wiederholtem Aufsieden, Überspülen mit heißem Wasser und gehörigem Ausdrücken ohne Schaden genossen werden können. Ebenso kann das Gift der Morcheln durch längeres Trocknen verflüchtigt werden; getrocknete Morcheln sind nach vierbis fünfmonatigem Liegen ganz giftfrei und können ohne weitere Vorsichtsmaßregeln verspeist werden, während sie nach zwei- bis dreimonatiger Trocknung immer noch schädliche Wirkungen entfalten können. Das einzig sichere Mittel, um Verwechselungen zu vermeiden, ist eine genaue Kenntnis der wenigen wirklich giftigen P., und diese Kenntnis läßt sich bei einigem Fleiße sehr bald erreichen, da nur etwa zwei oder drei giftige Formen mit eßbaren Arten Ähnlichkeit zeigen.

Viel verderblicher als diese giftigen P. sind die krankheiterregenden Bakterien (s. d. und Tafel: Bakterien) für Menschen und Tiere. Sehr schädlich sind auch viele der als Schimmel, Rußtau u. dgl. bekannten kleinern Arten. (Hierzu Tafel: Pilze III u. IV, Fig. 1; zur Erklärung vgl. die Artikel Beggiatoa, Crenothrix, Mucor, Saprolegnia, Rußtau, Aspergillus, Penicillium und Cordyceps.)

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 151.