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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Polen (Königreich)

über, 5. Okt. folgte Rybinski mit der Hauptarmee, worauf auch die letzten poln. Festungen Modlin und Zamosc (9. und 24. Okt.) sich den Russen ergaben.

Die Amnestie, die 1. Nov. 1831 verkündigt wurde, enthielt zahlreiche Ausnahmen. Die Konstitution von 1815 wurde aufgehoben, und an die Stelle der Verfassung trat das Organische Statut vom 14. (26.) Febr. 1832. Dasselbe hob den Reichstag auf und ersetzte ihn durch einen Staatsrat, dessen Mitglieder, die nicht geborene Polen zu sein brauchten, der Kaiser ernannte. Die oberste Leitung der Verwaltung wurde einem Administrationsrate übertragen, der unter dem Statthalter Paskewitsch stand. Mit diesem System eng verbunden war die Strenge polizeilicher Überwachung, die Absperrung des Landes vom Verkehr mit dem Auslande, die Hemmung jeder nichtruss. Thätigkeit in der Presse. Die alten Lehranstalten wurden in russ. Sinne umgestaltet, niemand sollte auf russ. Universitäten zugelassen werden, kein poln. Edelmann ins Militär eintreten können, überhaupt seit 1840 niemand ein öffentliches Amt erhalten, der nicht der russ. Sprache mächtig sei. Die Woiwodschaften wurden in Gubernien umgewandelt. Das poln. Münzwesen wurde durch einen Ukas von 1842 auf den russ. Fuß gesetzt und überhaupt die Umwandlung der poln. Verhältnisse ins Russische konsequent durchgeführt.

Indessen waren die poln. Emigrierten, besonders die demokratische Partei in Paris, unermüdet thätig, eine neue Erhebung vorzubereiten. Zwischen dem 17. und 21. Febr. 1846 sollte dieselbe stattfinden. Aber der zum Lenker des poln. Aufstandes bestimmte Mieroslawski (s. d.) ward bei Gnesen gefangen, viele Verdächtige in Posen und Westpreußen wurden verhaftet. Krakau verlor infolge des Aufstandes, vermöge einer Verabredung der östl. Mächte, seine Unabhängigkeit und ging im Nov. 1846 an Österreich über.

Durch die Revolution von 1848 erhielt die kaum beschwichtigte Bewegung in P. einen neuen Anstoß. In Krakau ward gleich nach dem Ausbruch der Wiener Märzrevolution von 1848 eine Amnestie verkündigt. Rasch strömten nun Emissäre und Ausgewanderte nach dem österreichischen P., und als die Behörden dem weitern Zuströmen wehren wollten, brach 26. April eine Bewegung los, die nur nach heftigem Kampf unterdrückt ward. In Preußen waren infolge der Berliner Märzrevolution die gefangenen Führer der Polenverschwörung von 1846 befreit worden, und eine poln. Deputation, die um nationale Reorganisation Posens petitionierte, erhielt die Verheißung, daß ihr Verlangen erfüllt werden sollte. Eine königl. Kabinettsorder vom 26. April 1848 schied das Gebiet des Großherzogtums in ein östliches, zur poln. Reorganisation bestimmtes, welches eigene konstitutionelle Verfassung, nationalen Schulunterricht, Gerichtsverfassung und Verwaltung erhalten sollte, und in ein westliches, mit der Festung Posen, welches zur Aufnahme in den Deutschen Bund bestimmt war. Indessen dauerten die aufrührerischen Bewegungen fort, bis General Pfuel Mitte Mai 1848 dem Aufstande ein Ende machte. Die Politik der Restauration machte 1850 alle Zugeständnisse an die Polen wieder rückgängig. In Russisch-Polen schritt die Politik der Einverleibung rücksichtslos fort, und 1851 fiel auch die Zolllinie zwischen P. und Rußland. In Österreich ward 1850 und 1851 die Gesamtstaatspolitik auch auf Galizien angewandt und das Land auf österr. Fuß organisiert. Die poln. Emigration fand zwar in den ungar. Kämpfen von 1848 und 1849 einen neuen Schauplatz ihrer Thätigkeit; aber die Hoffnungen, die sie an die Thronbesteigung Napoleons III. knüpfte, erwiesen sich schon während des Orientkrieges als trügerisch.

Im Königreich P. machte sich die nationale Opposition zu Ende 1860 wieder bemerkbar. Am 25. Febr. 1861, als dem Jahrestag der Schlacht bei Grochow, ward in Warschau eine großartige Prozession veranstaltet, bei welcher Gelegenheit es zu Konflikten kam, die trotz des strengen Militärregiments unter General Lüders fortdauerten; die Bewegung pflanzte sich sogar über die poln. Grenze fort, so daß auch im Gubernium Wilna der Belagerungszustand erklärt wurde. Am Todestage Kosciuszkos (15. Okt. 1861) kam es in Warschau wiederum zu blutigen Demonstrationen. Mehrere Tausende aus allen Ständen, die sich bei der Bewegung hervorgethan hatten, wurden eingekerkert oder in das innere Rußland und Sibirien deportiert, und der Belagerungszustand ward mit größter Strenge gehandhabt. Am 8. Juni 1862 wurde der Bruder des Kaisers, Großfürst Konstantin Nikolajewitsch, zum Statthalter des Königreichs P. ernannt und ihm Wielopolski als Chef der Civilverwaltung und Vicepräsident des poln. Staatsrats zur Seite gestellt; 3. Juli fand ein Mordversuch gegen den Großfürsten, 7. und 15. Aug. auch gegen Wielopolski statt. Der offene Ausbruch einer neuen poln. Insurrektion ward durch eine Rekrutierung beschleunigt, die die Warschauer Regierung besonders gegen die aus Anlaß der letzten Unruhen "schlecht Notierten" 15. Jan. 1863 vornehmen ließ. Es kam zu blutigen Gefechten zwischen den willkürlich Ausgehobenen und dem russ. Militär, und bald war der Kampf allgemein. Das geheime Warschauer Centralkomitee trat jetzt als Nationalregierung auf und rief durch Proklamation vom 22. Jan. das poln. Volk zu den Waffen; doch konnten weder Mieroslawski, noch Langiewicz, noch Czechowski Erfolge gegen die Russen erzielen. Dagegen kämpften die Aufständischen siegreich bei Ponin (21. März), bei Kalisch (22. März) und bei Warka (25. April). Im Königreich P. konnte die russ. Militärmacht alle größern Städte in Unterwerfung erhalten und jede Organisation stärkerer Insurgentenmassen verhindern. Ende März 1863 wurde General Graf Berg zum Adlatus des Großfürsten-Statthalters und nach dem Rücktritt Wielopolskis (7. Juli) zum Vicepräsidenten des poln. Staatsrats bestellt. Der Großfürst Konstantin verließ 25. Aug. 1863 Warschau und wurde 31. Okt. auf Ansuchen seines Amtes enthoben, worauf Berg definitiv zum Statthalter und Oberbefehlshaber in P. ernannt wurde. Dieser schritt mit äußerster Energie ein. Entscheidend für den Ausgang der Insurrektion war, daß es der russ. Regierung gelang, den Bauernstand vollends auf ihre Seite zu ziehen. Zuerst in Litauen (13. März 1863), dann in Rotrußland (12. Aug. 1863) und endlich im Königreich P. (2. März 1864) erhielten die Bauern durch kaiserl. Ukas ihre bisherigen Pachthöfe zu freiem Eigentum verliehen; sie wurden von allen bisherigen Leistungen an die Gutsbesitzer befreit und sollten nur eine verhältnismäßig geringe Grundsteuer an die Staatskasse bezahlen. Die Entschädigung der Grundbesitzer übernahm der Staat. Zu Anfang 1864 war die Insurrektion im ganzen erloschen, und die geheime Nationalregierung stellte seit Februar ihre Thätigkeit allmählich ein. Ein Ukas vom 26. Dez. 1865