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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Preußen (Landwirtschaft und Viehzucht)

Mecklenburg und Oldenburg überragen. Dem gegenüber waltet in Berlin, im Rheinland (mit Hohenzollern) und in Westfalen die Industrie so sehr vor, daß diese Gebietsteile nächst dem Königreich Sachsen die industriereichsten Deutschlands sind; 54,29, 47,31 und 46,80 Proz. der Bevölkerung jener Provinzen gehören mit ihrem Hauptberufe der Industrie an. Berlin, Schleswig-Holstein, Hessen-Nassau, Rheinland und Hannover zeichnen sich durch größeres, Berlin sogar sehr starkes Auftreten der Handels- und Verkehrsgewerbe aus.

Wohlstandsverhältnisse. Betrachtet man die Ergebnisse der Steuerlisten für 1893/94 nach Landesteilen sowie nach Stadt und Land, so ergiebt sich eine große Überlegenheit der Städte und des Westens sowie ein besonders weites Zurückbleiben des Nordostens, der Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern und Posen. Während die Städte 11,94 Mill. E. (etwa 40 Proz.) der Gesamtbevölkerung nachwiesen, zählte man unter den physischen Personen Eingeschätzte mit einem ermittelten (nicht veranlagten) Einkommen von:

^[Tabelle]

Mark Eingeschätzte in den Städten Proz. der Einw. Eingeschätzte auf dem Lande Proz. der Einw.

900-3 000 1204589 10,09 955872 5,27

3000-9500 193831 1,62 69775 0,38

9500-100000 44862 0,38 9270 0,05

Über 100000 1284 0,01 295 0,002

Zusammen 1444566 12,10 1035212 5,70

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Obwohl also die Bevölkerung des platten Landes rund um die Hälfte größer war als die städtische, blieb sie in allen Einkommensklassen ziffernmäßig weit hinter der städtischen zurück, und zwar namentlich in den höchsten. Es zeigt sich unter anderm, daß in den Städten die Personen mit "großem Einkommen" verhältnismäßig genau so häufig sind wie auf dem Lande diejenigen mit mittlerm bis gutem, nämlich mit 0,38 Proz. der Seelenzahl. Von den 1579 Personen mit "sehr großem" Einkommen fielen 472 auf Berlin: letzteres zählte viel mehr "sehr große" Einkommen als die sieben östl. Provinzen zusammen mit einer zehnmal so großen Bevölkerung.

Landwirtschaft und Viehzucht. Die Landwirtschaft hat infolge der Stein-Hardenbergschen Gesetzgebung im 19. Jahrh. einen bedeutsamen Aufschwung genommen. Die grundlegenden gesetzgeberischen Maßnahmen sind folgende: 1807 wurde die Erbunterthänigkeit aufgehoben, 1811 und 1861 die Ablösbarkeit der Grundlasten gegen eine billige Entschädigung ausgesprochen, die Parzellierung und Zusammenlegung der Besitztümer gestattet, 1821 die Teilung der Gemeinheiten unter gewissen Bedingungen verordnet, 1850 die Lehen in freies Eigentum verwandelt und die Ablösung der Grundlasten durch Errichtung von Provinzial-Rentenbanken erleichtert, 1861 die ungleich verteilten Grundsteuern mit Entschädigung der Neubesteuerten neu reguliert u. s. w. Die freie Verfügung und Teilbarkeit des Grundeigentums ist indessen auch nicht ohne nachteilige Folgen geblieben und hat infolge der gleichen Erbteilung zur Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes und zur Gefährdung des mittlern Bauernstandes geführt. Den hierdurch drohenden Gefahren sucht die preuß. Gesetzgebung durch Wiedereinführung oder Begünstigung der frühern bäuerlichen Erbrechte zu begeben. (S. Höferecht.) Andern Maßnahmen zur Hebung der Landeskultur, wie der Ordnung des landwirtschaftlichen Kreditwesens, der Deichverbände und Wassergenossenschaften zu Ent- und Bewässerungszwecken u. s. w., der Schutzwaldungen und Waldgenossenschaften, des Viehseuchenwesens, des landwirtschaftlichen Unterrichts- und Versuchswesens, der Meliorationen u. a., bei denen Staat (8 Generalkommissionen, s. d.) und Selbstverwaltungskörper mitwirken, verdankt Land- und Forstwirtschaft reiche Förderung. Zur Wahrung der Interessen der Landwirtschaft besteht in jeder Provinz (mindestens) ein vom Staat organisierter und mit reichen Geldmitteln unterstützter landwirtschaftlicher Lokalverein, an dessen Stelle in neuester Zeit die Landwirtschaftskammer treten soll. Zur Beratung landwirtschaftlich wichtiger Fragen wird das Landes-Ökonomiekollegium (s. d.) alljährlich durch den Minister einberufen. Die Landwirtschaft bildet trotz der großartigen Entfaltung der Industrie noch heute die Hauptgrundlage des nationalen Wohlstandes; auf ihr Gedeihen sind 40-45 Proz. aller Familien direkt angewiesen; 1882 wurden in P. 3040196 Haushaltungen oder 56 Proz. aller Familienhaushaltungen ermittelt, von denen aus überhaupt Landwirtschaft betrieben wurde; davon bewirtschafteten 614000 nur Anbauflächen von unter 20 a, die übrigen 2427000 mit über 20 a Anbaufläche hängen mehr oder minder von der Landwirtschaft unmittelbar ab. Im ganzen herrscht der kleinere und mittlere Betrieb vor, der Großbetrieb nur in den ostelbischen Provinzen. Es wurden (1882) 1456724 Landwirtschaftsbetriebe (d. i. 2,2 Proz.) mit unter 1 ha landwirtschaftlich benutzter Fläche, 1178625 (19,8) mit 1-10 ha, 384408 (46,3) mit 10-100 ha und 20439 (31,7 Proz.) mit mehr als 100 ha ermittelt; der Prozentsatz des Großbetriebes erbebt sich in Westpreußen auf 47,1, in Posen auf 55,3 und in Pommern bis auf 57,4, fällt aber in Hohenzollern auf 2,6, in Rheinland auf 2,7, in Westfalen auf 4,8, in Hessen-Nassau auf 6,7 und in Hannover auf 6,9. Nach dem Anteil an der bewirtschafteten Fläche haben den stärksten Bauernstand (Wirtschaftsfläche 10-100 ha) die Provinzen Schleswig-Holstein (72,2 Proz.), Hannover (63,3), Westfalen (57,8), Ostpreußen (51,i) und Sachsen (50).

Die bestellte Fläche (vgl. Karte der Landwirtschaft im Deutschen Reiche, Bd. 5, S. 124) und die darauf erzielte Erntemenge betrug 1893:

^[Tabelle]

Fruchtarten Bestellte Fläche ha Erntemenge t Erntemenge auf 1 ha kg

Weizen 1201085 1795228 1495

Roggen 4562314 5312056 1164

Spelz 16329 16567 1015

Gerste 855926 975628 1140

Hafer 2576173 2068758 803

Kartoffeln 2075558 20668747 9958

Hülsenfrüchte* 632276 386 130 611

Wiesenheu 3272647 5308942 1622

Klee (Heu) 1101759 1736425 1576

Raps, Rübsen u. s. w. 71614 78395 1095

Zuckerrüben 312367 7559674 24201

Futterrüben 225178 3632863 16133

Tabak 4806 10303 2144

Hopfen 3182 1476 464

* Erbsen, Ackerbohnen, Wicken, Lupinen.