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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Preußen (Geschichte 1861-88)

tionen der augustenburgischen Partei gegen P. nicht nur geschehen ließ, sondern sogar begünstigte. Seit Ende März 1806 gestaltete sich die Lage aufs schlimmste. Der preuß. Annexion beizustimmen war Österreich nicht gewillt. Die Hinweise Österreichs auf Kompensationen durch Abtretung schles. Gebietes fanden bei der preuß. Regierung keinen Boden. Noch im März 1866 ging das Ministerium Bismarck mit einer Wendung vor, die keinen Zweifel ließ, daß es entschlossen sei, dem etwa entstehenden Kriege eine Ausdehnung auf die deutsche Frage überhaupt zu geben. In einer Cirkulardepesche vom 24. März fragte P. bei den einzelnen deutschen Regierungen an, ob und wie weit es bei einem Waffenkampfe mit Österreich auf ihre Unterstützung rechnen könne, und kündigte auch P.s Vorgehen in der Bundesreform an. Gleichzeitig führten die von langer Hand her angeknüpften Verhandlungen mit Italien zu dem Allianzvertrage vom 8. April 1866, worin die ital. Regierung sich verpflichtete, P. bei der Reform der deutschen Bundesverfassung zu unterstützen, wenn dies ihm bei der Erwerbung Venetiens behilflich sei. Nun stellte P. 9. April beim Bundestage den Antrag auf Berufung eines deutschen Parlaments aus allgemeinen direkten Wahlen zum Zweck der Beratung einer neuen Bundesverfassung. Das war das Signal zur Sonderung der Parteien am Bundestage. In den ersten Tagen des Mai erfolgte dann sowohl in P. wie in Österreich die Mobilmachung, und die Mittelstaaten folgten. Der Krieg war unvermeidlich geworden, als P. eine Verletzung des Gasteiner Vertrags seitens Österreichs mit dem Einrücken von Truppen in Holstein beantwortete und der Bundestag 14. Juni den Antrag Österreichs auf Mobilmachung gegen P. annahm.

Völlig unausgeglichen war noch zu Anfang des Krieges die Kluft zwischen Regierung und Landesvertretung. Der Landtag, 15. Jan. 1866 eröffnet, verharrte auf seinem einseitigen Rechtsstandpunkt und wurde in gegenseitiger Verbitterung schon 23. Febr. 1866 geschlossen, noch ehe das Budget des laufenden Jahres beraten worden war. Die Regierung sah sich somit auf ihre eigenen Mittel beschränkt; ein Staatsschatz von mehr als 20 Mill. Thlrn. und andere bedeutende Hilfsquellen standen ihr zu Gebote. Als aber der Ernst des Krieges herantrat und die ersten Siegesnachrichten aus Böhmen kamen, änderte sich über die Köpfe der Volksvertretung hinweg rasch das Verhältnis zwischen Volk und Regierung. In der Hauptstadt kündigte sich der Umschwung durch Ovationen an, die dem König und dem Ministerpräsidenten 29. Juni dargebracht wurden. Der Sieg von Königgrätz (3. Juli) steigerte das kriegerische Selbstgefühl des preuß. Volks zu hoher Begeisterung. (S. Deutscher Krieg von 1866.)

Der gewaltsamen, aber glorreichen Lösung des österr. Konflikts folgte die friedliche Lösung des innern Konflikts. Die Neuwahlen für das 9. Mai aufgelöste Abgeordnetenhaus erfolgten 3. Juli. Das Volk hatte wenig Verständnis mehr für die Forderungen der Opposition, daß auch jetzt noch, nachdem die Regierung die nationale Fahne erhoben hatte und im Begriff war, die Führung Deutschlands zu übernehmen, derselben die Mittel für die Armeeorganisation verweigert werden sollten. Die Fortschrittspartei verlor gegen 100 Sitze an die Konservativen; die Liberalen hatten kaum noch eine Mehrheit von 70 Stimmen. Und auch diese zerfiel bald darauf, da ein Teil der Liberalen eine die Regierung in ihrer auswärtigen Politik unterstützende Mittelpartei (später nationalliberale Partei) gründete, wahrend die äußerste Linke unter Hoverbeck und Virchow in ihrem Doktrinarismus verharrte. Bei der Eröffnung des Landtags 5. Aug. kündigte der König die Gründung eines neuen Bundes, die Einberufung einer Volksvertretung der Bundesstaaten und das Verlangen der Indemnität für die seitherige budgetlose Verwaltung an. Der König erkannte offen an, daß die Finanzverwaltung der letzten Jahre der gesetzmäßigen Grundlage entbehrt habe. Die Indemnitätsvorlage wurde 3. Sept. mit 230 gegen 75 Stimmen angenommen. Am 7. Sept. wurde die in einer königl. Botschaft vom 17. Aug. verkündete Einverleibung von Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt in die preuß. Monarchie angenommen, und durch das Patent vom 12. Jan. 1867 wurde auch Schleswig-Holstein, mit Ausschluß eines kleinen an Oldenburg abgetretenen Bezirks, einverleibt. Auch ward der Regierung 25. Sept. ein außerordentlicher Kredit von 60 Mill. Thlrn. für den möglichen Fall weiterer Verwicklungen mit Frankreich und zur Wiederanfüllung des Staatsschatzes und aus der Kriegsentschädigung 1½ Mill. Thlr. zu Dotationen für den Grafen Bismarck und die Generale Roon, Moltke, Herwarth von Bittenfeld, Steinmetz, Vogel von Falckenstein bewilligt. Das Wahlgesetz für den Reichstag des zu gründenden Norddeutschen Bundes, das Militärbudget samt den Ausgaben für die Reorganisation, der Vertrag wegen Übernahme der Thurn- und Taxisschen Postverwaltung wurden gleichfalls genehmigt. Die Zahl der aus den neuen Provinzen zu wählenden Landtagsabgeordneten wurde auf 80 festgesetzt; von einer entsprechenden Verstärkung des Herrenhauses wurde abgesehen, um nicht dem welfischen Adel sofort Sitz und Stimme damit einzuräumen. Der Landtag wurde 8. Febr. 1867 geschlossen. Durch die annektierten Länder, Lauenburg mitgerechnet, erhielt P. einen Zuwachs von 72022 km mit 4815700 Seelen, so daß nun das Gesamtgebiet einen Umfang von 347500 km und 23590000 E. hatte. Jetzt erst bildete P. einen auch geographisch einheitlichen Staat. Einen weitern Machtzuwachs erhielt es durch die Gründung des Norddeutschen Bundes (s. d. und Deutschland und Deutsches Reich, Bd. 5, S. 202 b), erregte aber gerade dadurch die Eifersucht Frankreichs (s. d., Bd. 7, S. 110) in einem so hohen Grade, daß P. schon jetzt mit der Möglichkeit eines deutsch-franz. Krieges rechnen mußte. Eine diplomat. Konferenz zu London führte zu dem Vertrage vom 11. Mai 1867, wonach Luxemburg seine neutrale Stellung behielt, P. aber sein Besatzungsrecht daselbst aufgab und die Festung geschleift wurde. Wie diese Anträge, so wurde auch der Interventionsversuch der franz. Regierung in dem Streite P.s mit Dänemark wegen der nördl. Distrikte Schleswigs von P. zurückgewiesen.

Die Verschmelzung der neuen Provinzen mit dem Königreich P. ging nicht überall ohne Anstoß vor sich. Die Verordnungen über Einführung verschiedener Steuern und über die Verwaltung der in jenen Provinzen vorhandenen Staatskapitalien riefen Unzufriedenheit hervor. Die preuß. Regierung bemühte sich, die Differenzen auszugleichen, indem sie die provinziellen Fonds, die namentlich in Hessen und Hannover erheblich waren, für nur provinzielle Zwecke bestimmte. Die Neuwahlen für das Abgeordnetenhaus 7. Nov. 1867 ergaben einen entschie-^[folgende Seite]