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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Schiffsgeschütze
lungen aus, wie sie die Decke der Sckiffe bieten.
Die Manöver des eigenen und des feindlichen Schiffs
erfordern fortdauernde Änderungen in der Lage der
Kämpfenden zu einander und in den Entfernungen.
Die Ziele sind meistens von bedeutender Wider-
standsfähigkeit (Panzer), weshalb große Kaliber mit
schweren Geschossen von großer Durchschlagskraft
nötig sind. Die Eigentümlichkeiten der verschie-
denen Gattungen der Kriegsschiffe in Bezug auf
Zweck, Tragfähigkeit und Raumverhältnisse erfor-
dern eine große Zahl verschiedener Geschützkalibcr
und innerhalb der einzelnen Kaliber verschiedene
Rohrlängen und Gewichtsklassen. Die beschränkten
Naumverhältnisse und die Bewegungen der Schisse
verlangen besondere Lafettcneinrichtungen. Ein
Stellungswechsel der Geschütze ist so gut wie ausge-
schlossen. Größere Boote sind mit leichten Kano-
nen armiert, die zur Verwendung als Landungs-
geschütze auch in eine Art von Fcldlafctte eingelegt
werden. In neuester Zeit sind auf allen Flotten
Schnellfeuerkanonen und Ncvolverkanoncn (s. Kar-
tütschgcschütze), namentlich zur Abwehr von Torpedo-
bootsangriffen eingeführt worden. Zur Zeit der Se-
gelschiffe kam es namentlich darauf an, fovicl wie
möglich S. in der Breitseite des Schiffs unterzubrin-
gen. Die Linienschiffe (s. d.) battcn die schwersten C.
in der untersten Batterie, auf dem Oberdeck die leich-
testen, meist nur Karronaden (s. d.). Aus glatten,
gußeisernen oder bronzenen Rohren auf Holzlafctten
schoß man Vollgefchosse, Kartätschen, Ketten-, Stan-
gen- und Pahkugeln, die letztern hauptsächlich um die
Takelung des Gegners zu zerstören. Die Kaliber va-
riierten zwischen 3 und 33 1(F Geschosigcwicht. Die
Wirkung war dem Schiffskörper wenig gefährlich' so
erhielt z. V. Nelsons Flaggschiff in der Schlacht bei
Trafalgar etwa 800 Schüsse in den Rumpf, ohne zu
sinken. Zuweilen wurden Schiffe in Brand geschossen,
oder in die Luft gesprengt, wenn die Pulverkammer
Feiler sing. Erst die Einführung der Vombcnkanoncn
ermöglichte die schnellere Zerstörung der Schiffs-
körper. Während des Krimkriegcs und selbst im Dä-
nischen Krieg 1864 verwendete man noch glatte Ge-
schütze. Die österr. Marine führte noch in der See-
schlacht bei Lissa 1866 nur wenige gezogene 15 cm-
Schisfsgeschütze modernen Systems, während die ital.
Flotte schon über eine bedeutende Anzabl Armstrong-
kanonen verfügte. Ende der sechziger Jahre wurden
bei allen Marinen die gezogenen Hinterlader einge-
führt. Der Wettkampf zwischen Gescbütz und Panzer
bat ganz außerordentliche Erfolge auf dem Gebiet der
Schisfsartillerie zu Tage gefördert. Während zu Nel-
sons Zeit ein Linienschiff von 100 Kanonen eine Breit-
seite von 600 kF und in der Schlacht bei Lissa Tegett-
boffs Flaggschiff Ferdinand Max 236 kF Eifen warf,
betrug das Geschoßgewicht des in den Grund ge-
rannten Re d'Italia 823 K3. Das deutsche Panzer-
schiff König Wilhelm vermag aus einer Breitseite mit
20 Geschützen 1390 kF, die Panzcrkorvctte Sachsen
mit 6 Geschützen 1100 IlF zu schleudern, die engl.
Panzer Sultan (8 schwere, 4 leichte Geschütze) 968 liss,
Alexandra (12 Geschütze) 1200 K3 und Invincible
(l4 Geschütze) 3084 kF'. endlich die ital. Schiffe
Duilio (4 sehr schwere, 4 leichtere Geschütze) 3682^
und Italia (4 sehr schwere, 18 leichtere Gesckütze)
4072 K3. In neuester Zeit sind gewaltige Fortschritte
in der Herstellung der S. gemacht worden; man sucht
jetzt die Wirkung der einzelnen Kaliber zu erhöben
durch 35, 40 und 50 Kaliber lange Rohre, 4 Kaliber
lange Geschosse, sehr starke Pulverladungen von lang-
sam verbrennenden, rauchschwachen Pulverarten.
Die Stahl- und Hartgußgranaten haben durch Form
und Herstellungsart große Durchschlagsfähigkeit; die
Zündergranatcn haben große Hohlräume, um große
Sprengladungen brisanter Stoffe aufnehmen zu kön-
nen. Die Erfahrungen in der Seeschlacht an der Jalu-
mündung (Herbst 1894) drängen auf Bewaffnung der
Schiffe mit möglichst vielen Schnellfeuerkanonen
leichten und mittlern Kalibers.
Die deutsche Marine hat folgende S.: 30,5,
28, 26, 24, 21, 17, 15, 12,5, 12, 10,5, 8,7, 8 cm-
Kruppfche Ring- und Mantelringkanonen und die
8 cm-Bronzebootskanone; darunter kommen fast
alle Kaliber als lange und kurze Rohre, erstere mit
22-25, letztere mit 20 Kaliber Länge vor. Seit
1887 ist ein neues Rohrsystem mit Längen von
30 bis 40 Kalibern, mit Geschossen von 3,5 und
4 Kaliber Länge und Ladungsquotienten bis zu
einem Drittel hinzugetreten, das erhöhte Geschwin-
digkeit, günstigere Gestaltung der Geschosse zur Über-
windung des Luftwiderstandes, wesentlich erhöhte
Geschoßwirkung und Tresffähigkeit als entscheidende
Vorzüge besitzt, die allerdings mit einem erhöhten
Rohrgcwicht (desselben Kalibers) erkauft werden.
Hiervon existieren bis jetzt 28,24,21,15 und 10,5 cm-
Schiffsgefchütze. Das schwerste deutsche Schiffs-
geschütz ist das 11,2 m (40 Kaliber) lange 30,5 cm-Ge-
schütz von 54,0 t Rohrgewicht, das mit 175 K3 brau-
nem prismatischem Pulver (sog. Schokoladenpulver)
ein Geschoß von 455 1<F feuert bei einer Anfangs-
energie von 7868 Metcrtonnen und auf kurze Entfer-
nung noch einen Eiscnpanzer von 85 cm durchschlägt.
Von den genannten Kalibern ist das von 30,5 cm für
die Panzerkanonenboote, das von 26 cm und 24 cm.
für die Panzerschiffe bestimmt; die ältern Panzer-
schiffe führen kurze 24 cm- und 21 cm-Schiffsgeschütze.
Auf der Kreuzerslotte werden durchgängig 15 cm-
und kleinere Kaliber verwendet. Seit 1881 ist die
3,7 cm-Revolverkanone System Hotchkiß eingeführt;
in neuester Zeit sind Krupps Schnellfeuerkanonen
(s. d.) von 5,8,8,10,5 und 15 cm sowie das Maximsche
Maschinengewehr von 8 mm Kaliber eingeführt. Der
Verschluß aller deutschen S. ist der Keilverschluß, als
Geschosse kommen Stahl- und Hartgußgranaten mit
geringer Sprengladung gegen Panzerziele und Zün-
dergranaten mit großer Sprengladung gegen unge-
panzerte Ziele (auch Erdwerke) zur Verwendung sowie
Sbrapnels für mittlere und schwere Kaliber.
Die österreichische Marine hat 12, 15,21,
24, 26 und 30,5 cm-Kruppsche Kanonen, außerdem
Bootskanonen von Hchatius-Stahlbronze.
England hatte bis vor kurzem gezogene Vorder-
und Hinterlader; von erstcrn wurden zuerst die
Whitworthgeschütze, von lctztcrn die Armstrongschen
eingeführt. Namentlich die Armstrongschen bewähr-
ten sich nicht, sie wurden 1865 durch Woolwich-
Vordcrlader nach Fräsers System ersetzt. Erst 1879,
nach vielen Unglücksfällcn durch Zerspringen der
Geschütze, führte man die bereits feit Jahrzehnten in
andern Marinen bewährten Hinterlader endgültig
ein. Damit ist das verbesserte Armstrongsystem
in einer großen Zahl von Kalibern durchgeführt,
die nach ibrem Durchmesser in engl. Zoll oder nach
ihrem Robrgewicht benannt werden. Das schwerste
Schiffsgcschütz ist die 111 t (Nohrgewicht) schwere
Armstrongkanone von 41,2 cm Kaliber, 13,4 m Rohr-
länge, die mit einer Pulvcrladung von 435 K3 brau-
nem prismatischem Pulver ein Geschoß von 816,5 KZ
feuert und mit diesem bei 636 m Anfangsgeschwin-