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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Serbien (Geschichte)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Serbien (Geschichte)'

Brunnen, in dem ein Serbe getötet wurde: es folgte ein Straßenkampf, die türk. Bevölkerung floh in die Festung, und 17. Juni begann der Kommandant Aschir Pascha Belgrad plötzlich zu bombardieren. Die Beschießung wurde auf Intervention der Konsuln eingestellt, der Pascha von der Pforte abgesetzt, und nach einer Konferenz der Vertreter der Pariser Vertragsmächte in Konstantinopel (Protokoll vom 8. Sept.) ließ der Sultan die türk. Staatsbürger gegen Entschädigung aus S. auswandern, schleifte die Burgen von Užice und Sokol und behielt nur Garnisonen in den Festungen von Belgrad, Šabac, Smederevo und Kladovo. Mit Hilfe der Mächte gelang es dem Fürsten Michael, die Pforte 1867 auch zur Übergabe dieser Festungen zu bewegen, unter der Bedingung, daß in ihnen neben der serb. noch immer die osman. Fahne wehen sollte. Oppositionelle Strömungen, die von der serb. Presse in Südungarn unterstützt wurden, bewogen den Fürsten, eine neue Verfassung vorzubereiten, jedoch wurde er schon 10. Juni 1868 im Park von Topčider ermordet. Die Verschworenen, an deren Spitze der Advokat Radovanovič stand, wurden jedoch ergriffen und 16 derselben erschossen. Ein schwerer Verdacht lastete auf dem ehemaligen Fürsten Alexander, dessen Familie die Verschwörer wieder auf den Thron bringen wollten; jedoch wurde er in Ungarn zwar von einer Instanz verurteilt, von den zwei andern aber freigesprochen.

Michaels Nachfolger wurde sein Neffe Milan (1868–89), während dessen Minderjährigkeit das Fürstentum 1868–72 von einer Regentschaft verwaltet wurde, bestehend aus General Blasnawatz, Ristič und Gawrilovič. Eine Verfassung, die am St. Peterstag 1869 von einer Skupschtina in Kragujevac bestätigt wurde, erklärte die Dynastie der Obrenowitsche für erblich auch in weiblicher Linie, schloß die Karadjordjewitsche vom Thron aus und bestimmte die Zusammensetzung des Landtags, der zu drei Vierteln aus gewählten Deputierten (einer für je 3000 Steuerzahler), zu einem Viertel aus ernannten bestehen sollte. Auch nach der Großjährigkeitserklärung Milans (Aug. 1872) leitete Ristič bis 1873 die Regierung weiter; dann folgten mehrere Ministerien schnell aufeinander. Als Juli 1875 in der Herzegowina ein Aufstand ausbrach, durfte S. schon wegen der Rivalität mit dem stammverwandten Montenegro nicht zurückbleiben; aber Fürst Milan, dem das diplomat. Talent Michaels fehlte, schwankte lange zwischen den Ratschlägen der Großmächte, den Anschauungen serb. Politiker und den Bestrebungen der Skupschtina, bis Mai 1876 der bulgar. Aufstand, der Konsulmord in Saloniki und der Sturz des Sultans Abd ul-Asis (s. Osmanisches Reich, Bd. 12, S. 685) die Kriegsbewegung unaufhaltsam machten. Obwohl die Rüstungen unzulänglich waren, begann S. im Bund mit Montenegro 30. Juni 1876 den Krieg gegen die Türkei. Der zum Oberbefehlshaber ernannte russ. General Tschernajew mußte die Versuche einer Offensive bald aufgeben, Osman Pascha besetzte von Vidin aus das Timokthal, und Abd ul-Kerim operierte aus Nisch gegen das befestigte serb. Lager bei Alexinac und Deligrad, wo Tschernajew durch die Proklamierung Milans zum König 16. Sept. eine vorübergehende polit. Demonstration veranstaltete, bis die Türken durch die Schlacht bei Djunis 30. Okt. sich den Weg in das Innere gegen Kruševac öffneten und Alexinac besetzten. Durch russ. Intervention wurde sofort ein ↔ Waffenstillstand geschlossen, worauf im Frieden vom 28. Febr. 1877 der frühere Zustand erneuert wurde. Der Mißerfolg des Krieges hinterließ viel Unzufriedenheit, weshalb S. im Russisch-Türkischen Kriege von 1877 und 1878 (s. d.) erst 14. Dez. 1877 die Feindseligkeiten gegen die Türken wieder eröffnete. Die Serben hatten unter einheimischen Feldherren (Leschjanin, Belimarković, Horwatović u. s. w.) Nisch, Pirot, Trn, Vranja und Kuršumlija erobert, als der Waffenstillstand ihrem Vormarsch ein Ende machte. Im Frieden von San Stefano wurde S. auch Novipazar zugesprochen, so daß es von Montenegro nur durch einen schmalen Landstreifen getrennt gewesen wäre. Im Berliner Vertrag erhielt S. jedoch Pirot und Vranja (die früher Bulgarien zufallen sollten), Nisch, das fortan ebenfalls Residenz und Versammlungsort der Skupschtina wurde, Leškovac und das Toplicathal, 11097 qkm mit etwa 367000 E., sowie die Unabhängigkeit, mußte dagegen auf die alten histor. Stätten des Serbentums, das Amselfeld, Prizren u. s. w., verzichten, was ebenso wie die Occupation von Bosnien und Herzegowina durch Österreich in S. verstimmte, da damit den nationalen Aspirationen nach Westen und Südwesten ein Damm vorgeschoben wurde. Daraus ergab sich eine Mißstimmung gegen Österreich bei den Verhandlungen um Eisenbahn- und Handelsverträge, die 21. Okt. 1880 zum Rücktritt Ristićs führte, der seit Okt. 1878 wieder Präsident des Ministeriums gewesen war. Mit dem Kabinett Pirotschanatz, dessen Seele Milutin Garaschanin, ein Sobn des Ilija Garaschanin war, kam an Stelle der Liberalen Ristić’ Nov. 1880 die Fortschrittspartei (Naprednjaci) ans Ruder, die aus den jüngern Elementen der gebildeten Klassen bestand; in der Skupschtina bildete sich gleichzeitig eine dritte, die radikale Partei unter der Führung des Ingenieurs Paschić. 1881 genehmigte die Skupschtina einen Vertrag mit Bontoux, dem Vertreter der Pariser «Union Générale», zum Bau der Eisenbahn Belgrad-Nisch nebst der dazu erforderlichen Anleihe, im Mai einen Handelsvertrag mit Österreich. Bald folgte ein Kirchenstreit, in dessen Verlauf Okt. 1881 der Metropolit Michael, ein liberaler Parteimann und Anhänger Rußlands, abgesetzt wurde. Ein harter Schlag war Jan. 1882 der Zusammensturz der Union Générale, worauf die Regierung den Bahnbau dem Comptoir d’escompte überließ. Ein vergeblicher Versuch, die wachsende Unzufriedenheit im Lande zu beschwichtigen, war die Proklamierung S.s zum Königreich März 1882. Nach kurzer Zeit legten 57 Radikale und Liberale ihre Mandate nieder und wiederholten dasselbe Verfahren nach den Ersatzwahlen, worauf das Ministerium die Minoritätskandidaten als gewählt in den Landtag berief, bis bei den Neuwahlen Sept. 1883 die Radikalen die Majorität erlangten. Die Entwaffnung der Bevölkerung, die seit der Befreiung stets Waffen zu führen gewohnt war, entfachte neue Mißstimmung. Am 1. Okt. 1883 trat das Kabinett Christić an, das mehr absolutistischen Anschauungen huldigte. Sofort brach ein Aufstand der Radikalen im Timokthal aus, der von General Nikolić rasch gedämpft wurde; von 819 Angeklagten wurden 20 erschossen, über 700 zu Gefängnisstrafen verurteilt. Febr. 1884 folgte ein Ministerium Garaschanin. König Milan, der sich in den innern Wirren durch militär. Erfolge Luft schaffen wollte, benutzte die Gelegenheit der Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien, um 13. November 1885 Bulgarien den Krieg

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 875.