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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Stenographie

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Stenographie (Geschichtliches und Systematisches)'

In Italien fand die Amantische Bearbeitung des Taylorschen Systems (1809) Verwertung.

In Deutschland fand zunächst das Taylorsche System Nachahmung durch Mosengeil (1796) und Horstig (1797). Die eigentliche deutsche, auf ganz neue Grundlagen gestützte Kurzschrift, das erste deutsche graphische oder kursive System schuf der Münchener Franz Xaver Gabelsberger (s. d. und 8 der Tafeln) 1817, dessen ausführliche «Anleitung zur deutschen Redezeichenkunst» 1834 erschien. Sein Alphabet besteht im Gegensatz zu den englischen geometr. Systemen aus Teilzügen der gewöhnlichen Schrift, deren Lage, Liniensystem und Einzeiligkeit beibehalten ist. Die Wahl seiner alphabetischen Zeichen erfolgte gemäß dem Grundsatze «für ähnliche Laute ähnliche Zeichen» und mit Rücksicht auf die verhältnismäßige Häufigkeit der Wiederkehr der zu bezeichnenden Laute, auf die Verbindungen, die die einzelnen Laute untereinander eingehen, auf die Art und Weise der Hervorbringung der Laute durch die Sprachwerkzeuge. Schreibflüchtigkeit, Kürze und Deutlichkeit waren ihm die maßgebenden Gesichtspunkte bei dem Aufbau seines Systems. Die Schrift sollte ein getreues Abbild der Sprache sein und der Schreibende mit dem Redenden Schritt halten können. Für die Rechtschreibung gilt als Hauptregel: schreibe wie du hörst. Zusammenklingende Konsonanten werden durch einheitlichen Zug, die Vokale meist mit den Konsonanten gleichzeitig in charakteristischer oder symbolischer Weise (durch Veränderung der Stellung, Schräglegung, gegenseitige Durchkreuzung, Verstärkung) zum Ausdruck gebracht. Für das zur Erreichung der wünschenswerten Schriftkürze nötige Abkürzungsverfahren gilt als Grundsatz: Hinweglassung alles Minderwesentlichen in der sprachlichen Bezeichnung. Die Mittel, auch die schnellste Rede, wortgetreu wiederzugeben, bietet Gabelsberger in der hauptsächlich aus seinem Studium der Tironischen Noten hervorgegangenen Satzkürzungslehre, d. i. die Lehre von der freien Kürzung der Schrift auf Grund des logischen und grammatikalischen Zusammenhangs der Wörter im Satze, durch Formsilben (Formkürzung) oder Teile der Stammsilbe (Klangkürzung) oder beides zugleich (gemischte Kürzung). Hauptsächlich für die Zwecke einer Redenachschreibeschrift eingerichtet, erhielt das System seine jetzige, den Bedürfnissen einer Geschäfts- und Schulschrift entsprechende Gestalt durch die sog. «Dresdener Beschlüsse» 1857. Es fand zunächst seine Hauptpflegestätten in Bayern (Münchener Centralverein), Sachsen (Stenographisches Institut, s. d.) und Österreich-Ungarn (Wiener Centralverein), wo es jetzt überall als fakultativer Lehrgegenstand in den Mittelschulen eingeführt ist, verbreitete sich aber bald über das ganze übrige Deutschland und hat besonders auch in Preußen feste Wurzel geschlagen. Es wurde auf die Sprachen fast aller Kulturländer übertragen und findet amtliche Verwendung außer im Deutschen Reichstag und den Ständekammern der deutschen Einzelstaaten in den Parlamenten von Österreich-Ungarn, Schweden, Dänemark, Griechenland und mehrerer slaw. Länder. Allgemeinere Verwendung findet die Gabelsbergersche S. in den genannten Staaten, dann aber auch in der Schweiz und ganz besonders in Italien (übertragen von Noë). Wesentliche, auf größere Einfachheit zielende Änderungen hat das System seit 1857 nur durch die Wiener Beschlüsse (1895) erfahren, über die Einheitlichkeit des Systems wachen (seit 1868) der ↔ Gabelsberger Stenographenbund und (seit 1890) das Stenographische Institut (s. d.). 1896 fand zu Budapest ein internationaler Gabelsberger Stenographenkongreß statt; ein deutscher Gabelsberger Stenographentag wird alle fünf Jahre (der nächste 1900 in Dresden) abgehalten.

In Wettbewerb mit Gabelsberger trat 1841 Wilhelm Stolze (s. d. und 9 der Tafeln) in Berlin. Dessen System fußt auf dem Gabelsbergerschen, dem eine Reihe von Konsonantenzeichen und Vokalbezeichnungen entlehnt sind. Stolzes Konsonantenzeichen sind wesentlich mit Rücksicht auf eine einheitliche symbolische Bezeichnung des Inlautvokals gewählt ( ½ - bis 3-stufig und sämtlich ohne Unterlänge). Die Darstellung der unmittelbar aufeinander folgenden Konsonanten ist von derjenigen der durch einen Vokal getrennten scharf unterschieden. Die einfachen Vokale in der Stammsilbe werden durch die Stellung der ganzen Silbe auf, über oder unter die Zeile oder unter Schattierung des vorausgegangenen Konsonantenzeichens oder Weitabziehen des folgenden symbolisch zum Ausdruck gebracht. Bei einigen Doppelvokalen jedoch und in der Nebensilbe muß die Gabelsbergersche Bezeichnung durch relative Stellungsveränderung des nachfolgenden Konsonanten zu Hilfe gezogen werden. Von vielen Anhängern des Systems ist die durch die Bezeichnung des Vokals der Stammsilbe bedingte Dreizeiligkeit der Schrift als Hauptübelstand empfunden und sind mehrfach Versuche gemacht worden, das System einzeilig zu gestalten. Was das Kürzungswesen anlangt, so verwarf Stolze die Gabelsbergersche freie Kürzung und stellte Sigel (s. d.) auch für zahlreiche Begriffswörter auf, doch greifen die Kammerstenographen auch zu freien Kürzungen. Das ursprünglich große Heer von Sigeln und die zu ihrer richtigen Handhabung eine klassische Bildung voraussetzende Lehre von den Vorsilben, namentlich von den fremden, sowie gewisse schwerfällige Wortverbindungen führten 1872 zu einer Systemrevision, die ganz besonders auf Vereinfachung des Regelwerks gerichtet war. Neben Alt-Stolzeanern entstanden Neu-Stolzeaner, die 1888 ihre Schrift weiter zu vereinfachen suchten, nachdem 1885 eine dritte, ungefähr die Mitte zwischen den vorgenannten beiden innehaltende Richtung, der Mittel-Stolzeanismus, sich abgezweigt hatte. Die andern weit überragend ist jedoch die Zahl der Neu-Stolzeaner. Das Stolzesche System kommt als zweitbedeutsamstes deutsches System in Betracht. Seine größte Verbreitung fand es in Preußen, besonders in Berlin, sodann aber auch in der Schweiz. Eine allgemeinere amtliche Einführung in die Schule hat bisher nicht stattgefunden, dagegen arbeiten die Stenographen des preuß. Landtags, sowie die Hälfte der Stenographen des Deutschen Reichstags und des ungar. Parlaments nach demselben. Das Stolzesche System fand eine Reihe von Bearbeitern, die es möglichst zu vereinfachen suchten, ohne indes etwas Besseres geschaffen zu haben, wenn sie ihre Bearbeitungen auch als eigene Systeme veröffentlichten, so Velten (1875), Adler (1877), Werth (1878), Merkes (1880), Simon (1881), Lenze (1881) u. a. An dritter Stelle ist zu nennen das 1860 von Leopold A. F. Arends (s. d. und 10 der Tafeln) in Berlin veröffentlichte Stenographiesystem. Das Eigentümliche dieses Systems beruht namentlich darin, daß die Vokale meist in Form gerader oder gebogener Haarstriche an die

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 318.