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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Swedenborg

er England, Holland, Frankreich und Deutschland, besuchte die Universitäten dieser Länder und wurde nach seiner Rückkehr 1716 von Karl Ⅻ. zum Assessor beim Bergwerkskollegium in Stockholm ernannt. Die Erfindung einer Rollenmaschine, mit der S. eine Schaluppe, zwei Galeeren und vier große Boote, die Karl Ⅻ. 1718 zum Transport des Belagerungsgeschützes nach Friedrichshall brauchte, fünf Stunden weit über Berg und Thal schaffte, wie seine Abhandlungen über Algebra, Wert des Geldes, Planetenlauf, Ebbe und Flut bewirkten, daß ihn die Königin Ulrike 1719 in den Adelsstand erhob. In Angelegenheiten seines Amtes bereiste er 1720 die schwed. und 1721 die sächs., später die österr. und böhm. Bergwerke. Nachdem er 1736‒40 neue Reisen nach Deutschland, Holland, Frankreich, Italien und England gemacht hatte, verlegte sich S. immer mehr auf theosophische Studien, trat 1747 von seinem Amte beim Bergwerkskollegium zurück und wandte sich ganz der, wie er glaubte, ihm von Gott aufgetragenen Gründung der sog. Neuen Kirche auf Grund der Offenbarung Johannis zu. Seine «Opera philosophica et mineralogica» (3 Bde.) erschienen in Dresden 1734. Später wendete er seine naturphilos. Ideen auch auf die belebte Schöpfung, besonders den Menschen an. So in der «Oeconomia regni animalis» (Lond. 1740‒41) und in dem «Regnum animale» (Bd. 1 u. 2, Haag 1744; Bd. 3, Lond. 1745), woran sich das Werk «De cultu et amore Dei» (2 Bde., Lond 1745) anschloß, das schon sehr poetisch und mystisch gehalten ist. Die theol. Bücher, die er meist ohne seinen Namen herausgab, sind sehr zahlreich. Obenan stehen die «Arcana coelestia, quae in Genesi et in Exodo sunt, detecta» (8 Bde., Lond. 1749‒56; deutsch, 16 Bde., Tüb. und Bas. 1837‒70). Er starb 29. März 1772 zu London.

Bis an seinen Tod glaubte S. fest an die Wirklichkeit seiner Visionen und göttlichen Eingebungen. Was von seinem Fernsehen und von seinen Entdeckungen solcher Dinge, die dem Bereiche der Verstorbenen angehören, erzählt wird, gab Kant und Thibault Stoff zu kritischen Prüfungen. S. selbst erzählte in seinen Schriften nichts davon. Das religiöse System S.s kann als ein spekulativer Mysticismus auf physik. Grundlage bezeichnet werden. Die Religion hat nach ihm den Verkehr zwischen der vielgestaltigen Geister- und Menschenwelt zu eröffnen und zu unterhalten. Die christl. Dogmen kritisiert S. scharf, insbesondere die Dreieinigkeitslehre. Die Erlösung durch Christus ist ihm Überwindung der höllischen Geister. Die Geister selber haben einst als Menschen, sei es gute, sei es böse, existiert. Eine Vollendung der Neuen Kirche findet statt durch die Wiederkunft Christi, die aber nicht als einmalige, sichtbare zu fassen ist, sondern als die immer wirkungsvollere Offenbarung seines Geistes durch die Heilige Schrift in der Gemeinde. (Vgl. Tafel, Darstellung der Lehrgegensätze der Katholiken und Protestanten, zugleich der Unterscheidungslehren S.s, Tüb. 1835.)

Die Zahl der Anhänger S.s (Swedenborgianer) nahm nur langsam zu. In Stockholm bildete sich 1786 die Exegetisch-philanthropische Gesellschaft, die mehrere Werke S.s übersetzte und hochstehende Männer, darunter selbst den nachmaligen König Karl ⅩⅢ., als Mitglieder hatte. Diese Gesellschaft löste sich aber wieder auf, und 1796 entstand eine neue, Fide et charitate genannt, die noch besteht, wie denn überhaupt die Zahl der Anhänger S.s neuerdings sehr zugenommen haben soll. Mittelpunkt der Neuen Kirche ist indessen England, wo es hauptsächlich Geistliche der Hochkirche waren, die auf die Massen wirkten. So schon S.s Freund Thom. Hartley, Rektor von Winwick, der zwei Werke von ihm ins Englische übersetzte. Das meiste aber that seit 1773 John Clowes, Rektor der St. Johnskirche zu Manchester (gest. 1831), der nicht nur die meisten Werke S.s ins Englische übersetzte, sondern auch außerdem 60 andere Werke zu deren Verteidigung, Erklärung und Anwendung schrieb. 1782 gründete er zu Manchester eine Gesellschaft zum Druck der S.schen Werke, die schon 1818 über 260000 Bücher verbreitet hatte. Seitdem nahm die Gesellschaft und auch ihre Wirksamkeit noch bedeutend zu. Besondere Gemeinden der S.schen Kirche mit eigenen Geistlichen und einem ihrer Lehre entsprechenden Kultus bildeten sich in England seit 1788 und wuchsen seitdem bis zu ungefähr 50 in dem Vereinigten Königreich. Zahlreich sind auch die Gemeinden in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die offiziellen Organe der Neuen Kirche sind die «Minutes» und «Journals of proceedings», und in England noch außerdem seit 1830 das Journal «The intellectual Repository and New Jerusalem Magazine». 1813 hatte sich zu Manchester und Salford auch eine Missionsgesellschaft der Neuen Kirche gebildet, der 1820 eine Hilfsgesellschaft zu London beitrat; 1821 bildete sich aber auch hier eine besondere Missions- und Traktatengesellschaft und 1822 eine ähnliche zu Edinburgh. Von den Mitgliedern der Neuen Kirche haben sich als Prediger und Schriftsteller ausgezeichnet in England Rob. Hindmarsh, Joh. Roud und Sam. Noble; in Amerika M. B. Roche, früher Prediger der bischöfl. Kirche. In Deutschland hat der württemb. Zweig in Verbindung mit dem Schweizer eine «Versammlung der Neuen Kirche» in Cannstatt oder Stuttgart gegründet; vereinzelte Mitglieder sind auch in andern Landesteilen, wie auch in Polen, Rußland und Frankreich. Übrigens ist die Lieblingsthese des Meisters jetzt so gut wie fallen gelassen, während der Gegensatz gegen Trinitätslehre, Erbsünde und Rechtfertigung festgehalten und die Eschatologie nach wie vor ausgemalt wird.

In Frankreich schrieb E. Richer ein Werk über S.: «La Nouvelle Jérusalem» (8 Bde., Par. 1832‒35). In Deutschland hatte zuerst Oetinger von 1765 an einiges von S. ins Deutsche übersetzt, das später in neuen Auflagen erschien. Neue, bis dahin noch unübersetzte Werke S.s vereinigte Tafel in einer Sammlung u. d. T. «Göttliche Offenbarungen» (8 Bde., Tüb. 1823‒36), der auch eine kritische Ausgabe der «Arcana coelestia», (13 Bde., Tüb. 1833‒42) besorgte. Diese sowie andere Schriften S.s haben Tafel und Hofacker auch ins Deutsche übersetzt. Die S.schen Manuskripte hat Tafel in photolithogr. Nachbildung herausgegeben (10 Bde., Stockh. 1869‒70). – Vgl. die biogr. Schriften von Schaarschmidt (Elberf. 1862), Matter (Par. 1863), White (2 Bde., Lond. 1867; neue Aufl. 1871), Wilkinson (2. Aufl., ebd. 1886); ferner Schneckenburger, Vorlesungen über die Lehrbegriffe der kleinern prot. Kirchenparteien (hg. von Hundeshagen, Frankf. 1863); Brickmann, Die Lehren der Neuen Kirche (2. Aufl., besorgt von Müllensiefen, Bas. 1870), und Emanuel S.s Leben und Lehre. Eine Sammlung authentischer Urkunden über S.s Persönlichkeit und ein Inbegriff seiner Theologie in wört-^[folgende Seite]