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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Landwirtschaft

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Landwirtschaft (im Altertum).

fester Wohnsitze den Weg geordneter Zustände betreten. Eins der ältesten ackerbauenden Völker mögen die Chinesen sein; sichere Nachrichten über die Anfänge ihrer Kultur fehlen uns. Deutliche Beweise für eine ehemals fleißige Bodenbebauung finden wir an den Ufern des Euphrat in den Ruinen untergegangener Königssitze. Die uralten Religionsurkunden der Inder erzählen schon von Pflug und Webstuhl. In Ägypten geben uns die alten Baudenkmäler die ersten Bilder voller landwirtschaftlicher Thätigkeit, die wir aus den Überlieferungen zum abgerundeten Ganzen vervollständigen können. Pflug, Egge, Sichel und andre Geräte zeigen die einfachste Konstruktion; die Spuren frühzeitiger Bewässerungsanlagen (mit Schöpfrädern) erregen aber noch heute unsre Bewunderung. Die Viehzucht scheint vernachlässigt (verachtet) gewesen zu sein, zumal man nicht an Düngen der Felder dachte. Noch heute gibt der Nil alljährlich in seinem Schlamm den genügenden Ersatz für die dem Boden entzogene Ernte, und schon in frühster Zeit schnitt man auf dem Feld nur die Ähren ab und verbrannte das Stroh. Der Pflanzenbau erstreckte sich auf Gerste, Weizen, Roggen, Flachs, von einzelnen in mehreren Varietäten, ferner aus Baumwolle, Nymphaea Lotus, Nymphaea Nelumbo und Sesam, aus welchem Öl gewonnen wurde. Vgl. Thaer, Die altägyptische L. (Berl. 1881). Ein auf so hoher Stufe stehender Ackerbau mußte sich weiter verbreiten. Dies geschah durch die Hebräer nach Palästina und von da nach Phönikien und Karthago und durch die Hellenen nach Europa. Die mehr zur Viehzucht geneigten Juden lehrte erst Moses in seiner Gesetzgebung die Bedeutung des Ackerbaues, welcher dann im fruchtbaren Palästina zu hoher Blüte gelangte. In Phönikien ließen die Beschaffenheit des Landes und das überwiegende Handelsinteresse den Ackerbau nicht recht aufkommen, welchen dagegen die Tochterstadt Karthago zu hohen Ehren brachte. Der Karthager Mago wird von Columella der "Vater der Agrikultur" genannt; er schrieb 40 Bücher über die L., welche der römische Senat ins Lateinische übersetzen ließ. Hellas sah in allmählicher Entwickelung von den rohesten Anfängen bei den Pelasgern an einen vielgerühmten Ackerbau, welchem zahlreiche Schriftsteller sich widmeten und eine umsichtige Gesetzgebung zu Hilfe kam (Solon). Hier, wo neben äußerst fruchtbaren Gründen, in welchen noch heute, wie damals, Gerste auf Gerste in ununterbrochener Folge ohne Dünger gebaut wird, sich auch unfruchtbare Strecken fanden, weckte die Vergleichung schon frühzeitig das Nachdenken und führte damit zur Düngung der Felder. Theophrast lehrt schon, daß Erdmischung den Dünger ersetze, und Plinius erzählt, daß man kalte und feuchte Gründe mit Mergel fruchtbar machte. Hesiod rühmt die L. als das wahre Geheimnis der Glückseligkeit, und bei Xenophon findet sich schon eine vollständige Betriebsangabe. Noch ist der Erfindung der Entwässerung der Grundstücke zu gedenken: Ab- und Zufluß des Wassers war gesetzlich geregelt.

In Rom wurde die L. schon in den ältesten Zeiten neben dem Kriegshandwerk gepflegt; doch in entwickeltster Gestalt lernen wir sie erst aus den zahlreichen landwirtschaftlichen Schriftstellern (Columella, Varro, Vergil, Cato, Saserna Vater und Sohn, Tremellius, Hyginus, Celsus, Atticus, Gräcinus, Plinius Secundus u. a.) kennen. Diese Schriften sind nicht mehr nur beschreibend, sondern sie enthalten schon Regeln und Vorschriften über alle Teile des Betriebs. Das Düngerwesen war hoch entwickelt, und Stercutius ward für die Erfindung der Düngung mit Stallmist den Unsterblichen eingereiht. Aus Meer und Gewässern, selbst aus Gestein wußten die Römer Dungstoffe zu gewinnen; sie sammelten alle Abfälle, streuten Asche auf die Felder, bauten die Lupine zur Gründüngung an und hielten in ihren Kolumbarien die Vögel mehr des Düngers als des Fleisches wegen (Guano). Sorgfältig war die Bestellung der Felder, besonders die der Brache; die Entwässerung wurde vervollkommt durch Anlage von Drains mit Hohl- und Flachziegeln, die Bewässerung regelmäßig angewendet und behufs geeigneter Erdmischung der Boden schon klassifiziert. Der einfache eiserne oder hölzerne Rührhaken der ältern Völker wird bei den Römern zum vollkommenen Räderpflug (aratrum) mit Schar und Streichbrett und schon, je nach Gebrauch, verschieden konstruiert. Egge (occa), Hacke (ligo, sarculum), Schaufel (betillum), Walze (medula) und manch andres Gerät findet sich in Formen, welche den heutigen ähneln, die Dreschmaschine entweder als ein von Ochsen über das Getreide gezogenes, unten rauhes Brett, welches der Führer mit seinem Gewicht vermehrte, oder als Schlitten mit unten gezahnten und gezackten Brettern (tribulum und traha). Als Kulturpflanzen baute man Bohnen, Wicken, Lupinen, Kichererbsen, Erbsen, Rüben, Hafer, Hirse, Hanf, Klee- und Weizenarten als Hauptfrüchte; auch der Weinbau wurde sorgsamst gepflegt. Erst der üppige Luxus des Kaiserreichs verdrängte durch stolze Villen die Wirtschaftsgebäude in bescheidene Winkel und setzte die Verwaltung mit all den Fehlern, wie sie bei sorgloser Verschwendung sich einfinden, an die Stelle der Selbstbewirtschaftung. Die nun geringern Renten suchte man nicht durch verbesserten Betrieb, sondern durch Anhäufung von Grundbesitz zu mehren, und aus diesem mit den geringsten Kosten die größten Einnahmen zu erpressen, ward die ganze Kunst der Verwalter. Die Bedrückung der Sklaven führte dann zu gewaltsamen Erhebungen, so daß die vernachlässigten und nur noch beraubten Felder immer häufiger Mißernten lieferten, welche neben der verschwenderischen Pracht und dem sittenlosen Leben der Großen allmählich die Grundfesten des Staats erschütterten. Überallhin hatten aber die Römer mit ihren siegreichen Adlern die Fülle ihrer Errungenschaften im Gebiet der Kultur und Industrie gebracht. Gallien dankt ihnen den Wein (Burgunder), die Olive, den Flachs und die wertvollern Futterpflanzen (Klee), der Rhein den Pflug (als rheinischer Wessel noch heute üblich), den Wein und den Weizen sowie Spanien eine lange Zeit hochberühmte Kultur.

Die alten Deutschen waren mehr der Jagd und Viehzucht als der Feldbestellung, die sie den Weibern und Sklaven überließen, zugethan; zudem ließen das rauhe Klima und die Sitte, die Ländereien alljährlich neu zu verteilen, keinen gedeihlichen Ackerbau aufkommen. Gerste, Hafer, Einkorn und Lein werden als die gebräuchlichsten Pflanzen genannt, außerdem nur die großen Gänse, die starken Pferde (der Chauken besonders) u. die riesigen Rettiche gerühmt. Möglich, daß die alten Deutschen die "Dreifelderwirtschaft" betrieben, wenigstens deutet ein Satz in der "Germania" des Tacitus daraufhin: "Arvae per annos mutant, sed superest ager" ("die Früchte wechseln alljährlich, aber ein Acker bleibt übrig", d. h. unbestellt - in Brache liegen). Man könnte aber auch das "sed superest ager" so verstehen, daß der "übrigbleibende" Acker sogen. Gemeindeacker gewesen sei, welcher nicht im regelmäßigen Turnus bestellt wurde. Die Gallier und