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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Leberkrankheiten

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Leberkrankheiten (gelbe Atrophie etc., Parasiten, Schnürleber).

welche einschrumpft oder sich mit Kalksalzen infiltriert und verhärtet. Das Leiden wird gewöhnlich erst erkannt, wenn der Prozeß abgelaufen und eine Narbe in der Leber vorhanden ist, so daß jede Behandlung zu spät kommt.

Die akute gelbe Leberatrophie ist auch als eine entzündliche Affektion zu betrachten, bei welcher die Leberzellen in der ganzen Ausdehnung des Organs schnell zerfallen. Bei der Sektion findet man die Leber zuweilen um die Hälfte verkleinert, ihr Gewebe schlaff und welk, ihre Konsistenz sehr stark vermindert; der acinöse Bau des Organs ist nicht mehr zu erkennen, die Farbe desselben ist eine gesättigt orangegelbe. Das ganze Organ ist blutarm. Bei der mikroskopischen Untersuchung findet man statt der normalen Leberzellen nur Detritusmasse, Fetttröpfchen und Pigmentkörner. Die akute gelbe Leberatrophie ist eine sehr seltene Krankheit, befällt vorzugsweise das weibliche Geschlecht und namentlich Schwangere. Vielleicht handelt es sich um Vergiftungssymptome durch unbekannte organische Gifte, ähnlich wie sie nach dem Genuß mancher schädlicher Pilze, verdorbener Speisen und bei Schafen unter dem Bilde der sogen. Lupinenseuche vorkommen. Sie bietet von Anfang an keine charakteristischen Symptome dar. Die Kranken sind appetitlos, klagen über Druck und Vollsein in der Magen- und Lebergegend und über andre Beschwerden, welche beim Magendarmkatarrh vorkommen. Dazu gesellt sich meist ein mäßiger Grad von Gelbsucht. Später nimmt die Gelbsucht zu; die Lebergegend wird schmerzhaft, die Kranken klagen über heftigen Kopfschmerz, werden sehr unruhig und aufgeregt und fangen an zu delirieren. Bald folgt auf diese Erscheinungen eine unüberwindliche Abgeschlagenheit und Müdigkeit; die Kranken verfallen in einen tiefen Schlaf, aus welchem man sie anfänglich nur momentan, zuletzt aber gar nicht mehr erwecken kann. Der früher normale oder verlangsamte Puls wird frequent, die Körpertemperatur wird bedeutend erhöht, Kot- und Harnentleerungen erfolgen unwillkürlich. Unter überhandnehmendem Verfall, sehr hoher Frequenz des immer kleiner werdenden Pulses, Ausbruch von reichlichen Schweißen gehen die Kranken, ohne aus ihrer Bewußtlosigkeit zu erwachen, meist schon am zweiten Tag zu Grunde. Über die Behandlung der Krankheit läßt sich aus demselben Grund nicht viel sagen. Ist die Krankheit ausgesprochen vorhanden, so sind Blutentziehungen erfahrungsmäßig schädlich; dagegen werden namentlich von englischen Ärzten starke Drastika, wie Aloe, Krotonöl, Koloquintenextrakt, empfohlen. Gegen die Reizerscheinungen im Nervensystem pflegt man kalte Umschläge auf den Kopf zu machen. Endlich zählt man zu den entzündlichen Leberaffektionen noch die sogen. Pylephlebitis, d. h. die Entzündung der Pfortader (s. d.). Außerdem sind noch die Fettleber (s. d.), die Speckleber, d. h. die amyloide Entartung (s. Amyloidentartung) und der Leberkrebs (Carcinoma hepatis) zu erwähnen. Dieser letztere kommt auf 80 Leichen ungefähr einmal vor, ist also eine ziemlich häufige Erkrankung. Der Krebs kommt in der Leber äußerst selten primär, ungleich öfter aber sekundär vor. Welche Ursachen das Entstehen desselben bedingen, ist noch vollständig unbekannt. Wenn die Geschwulst des Krebses auf Gallengänge drückt, so entsteht Gelbsucht, welche fast bei allen L. in schwachem Grad vorhanden ist. Der Arzt kann gegen dieses Leiden gar nichts thun. Durch nahrhafte Kost sind die Kräfte des Kranken möglichst lange aufrecht zu erhalten.

Es finden sich auch Parasiten in der Leber. Ziemlich häufig kommt das Pentastomum denticulatum in verkalktem Zustand darin vor. Es ist dies ein etwa 4 mm langer Gliederwurm mit starken Haken am Kopfende. Er ruft nie deutliche Symptome an der Leber hervor und wird nur gelegentlich bei Sektionen gefunden. Viel wichtiger dagegen ist der Echinococcus der Leber. Die Echinokokken sind die junge, geschlechtslose Brut der Taenia Echinococcus, eines Bandwurms (s. d.), welcher im Hund vorkommt, und erscheinen in der Form von erbsen- bis apfelgroßen Blasen mit dicker, gallertiger Wand und wässerigem Inhalt. Die Art und Weise, in welcher die Eier und Embryonen der Taenia Echinococcus in die menschliche Leber gelangen, um sich dort zu Echinococcusblasen zu entwickeln, ist dunkel. In Island beherbergt etwa jeder siebente Mensch diese Tiere. Man nimmt an, daß Tiere, welche von der Taenia Echinococcus bewohnt werden (wie Hunde, welche in Island besonders zahlreich gehalten werden), von Zeit zu Zeit reife Glieder jenes Bandwurms mit dem Kot entleeren. Die Eier und Embryonen, welche in diesen Gliedern enthalten sind, gelangen wahrscheinlich mit dem Trinkwasser oder mit roh genossenen Nahrungsmitteln in den Darmkanal des Menschen und wandern von hier aus in die Leber. Hier schwillt der mikroskopisch kleine Embryo zu einer großen Blase an, auf deren Innenwand junge Bandwurmammen emporsprießen. In der Regel bewohnen diese Blasenwürmer die Leber jahrelang, und man wird erst auf sie aufmerksam durch die Ausdehnung der Leber, welche meist schon an der Hervorwölbung der Rippen und an der kugeligen Prominenz unter dem Rippenbogen erkennbar ist. Auf der Höhe solcher Prominenz, die glatt und von elastischer Konsistenz ist, fühlt man zuweilen deutliche Wellenbewegung. Der Leber-Echinococcus ist stets ein sehr bedenkliches Leiden; nicht allein wird durch den Druck, den die Geschwulst auf die Leber ausübt, Atrophie derselben und Kompression andrer Organe (Niere, Magen, Lunge) mit ihren Folgen herbeigeführt, es liegt auch bei großer Ausdehnung der Geschwulst die Gefahr nahe, daß der Echinococcussack platzt und seinen Inhalt in den Pleuraraum oder in die Bauchhöhle ergießt und schnell zum tödlichen Ende führt. Ein Medikament gegen den Echinococcus gibt es zur Zeit nicht, am meisten Aussicht auf Erfolg hat die operative Behandlung.

Eine eigentümliche Verkrüppelung der Leber entsteht bei Frauen durch den Gebrauch enger Schnürleiber oder durch festes Binden der Unterrockbänder und wird Schnürleber genannt. Dieselbe zeigt Eindrücke von den Rippen auf dem rechten und vom Schwertfortsatz auf dem linken Lappen, sodann eine ausgesprochene Querfurche an der obern Fläche beider oder nur des rechten Lappens. In dieser Furche ist der seröse Leberüberzug stark verdickt und das Lebergewebe daselbst unter dem Drucke geschwunden. Daß bei dieser Beeinträchtigung des Organs auch die Funktionen desselben mehr oder weniger leiden und allerhand krankhafte Gefühle auftreten müssen, liegt auf der Hand. S. Gallensteinkolik. Vgl. Frerichs, Klinik der L. (Braunschw. 1858-61).

Bei Haustieren kommen L. als selbständige Leiden selten vor (s. Gelbsucht der Schafe und Leberegelkrankheit), meist treten sie als Nebenerscheinungen und unter undeutlichen Symptomen auf. So entwickeln sich bei allen hochgradigen Fiebern, bei akuten Dyskrasien mäßige entzündliche Affektionen der Leber. Dabei tritt Gelbfärbung der Schleimhäute,