Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ludwig

974

Ludwig (Frankreich: L. Philipp).

ihm vom Kaiser Paul I. gewährten Asyl zu Mitau in Kurland zurück, wo er sich mit einem kleinen, aus vornehmen Emigranten gebildeten Hof umgab und mit einer Unterbrechung, während der er in Warschau verweilte, bis zum Tilsiter Frieden aushielt. Ende 1807 begab er sich nach England, wo er zu Hartwell in Buckinghamshire mit Studien beschäftigt lebte. Als die Verbündeten in Frankreich eingedrungen waren, erließ er 1. Febr. 1814 eine Proklamation, worin er sein göttliches Thronrecht beanspruchte, aber volle Amnestie des Vergangenen, Beibehaltung der segensreichsten Reformen und Vernichtung der Konskription versprach. Aber erst nach der förmlichen Absetzung Napoleons I. landete er 26. April 1814 zu Calais und hielt 3. Mai seinen Einzug in Paris. Am 4. Juni empfing die Nation aus seinen Händen die konstitutionelle Charte. L. würde bei der Milde seiner Gesinnung Frankreich allmählich an das Königtum wieder gewöhnt haben, hätte sich nicht sogleich die alte Adels- und Priesterpartei, an deren Spitze sein Bruder, der Graf von Artois, stand, zwischen das Volk und den gutmütigen, bequemen Monarchen geworfen. Die wichtigsten Bestimmungen der Charte wurden sogleich mit Füßen getreten und die Anhänger des Kaisers, die Republikaner und die Protestanten verfolgt. Erst auf die Nachricht von der Landung Napoleons lenkte der König um, beschwor aufs neue die Charte und erließ freisinnige Proklamationen. Bei der Annäherung Napoleons verließ L. mit seiner Familie in der Nacht vom 19. zum 20. März 1815 Paris und floh nach Gent. Nach der Schlacht von Waterloo erließ L. zu Cambrai 25. Juni eine Proklamation, in der er eine allgemeine Amnestie, mit Ausnahme der Verräter, und die Sicherung der Charte durch neue Bürgschaften versprach. Unter dem Schutz des Herzogs von Wellington hielt er hierauf 8. Juli 1815 abermals seinen Einzug in Paris. Er berief auch Talleyrand und Fouché, zwei Napoleonische Minister, in sein Kabinett; indes diese wurden bald von der royalistisch-klerikalen Koterie unter Artois, dem sogen. Pavillon Marsan, und der Chambre introuvable, die 7. Okt. 1815 zusammentrat, gestürzt, denen auch die neuen Minister, Richelieu und Decazes, nicht reaktionär genug waren. Die blutigen Verfolgungen der Protestanten erneuerten sich, so daß L. sich schließlich genötigt sah, 1816 die Kammern aufzulösen. 1819 trat sogar eine liberale Wendung durch die Wahlen ein, der sich L. bereitwillig anschloß, die indes bereits 1820 durch die Ermordung des Herzogs von Berri unterbrochen wurde. Die neue Kammer, in der die reaktionären Ultras wieder die Majorität hatten, nötigte 1821 L. das Ministerium Villèle auf, welches nach außen (durch die Intervention in Spanien 1823) und nach innen schroff reaktionär auftrat. L. wurde zuletzt durch seine fromme Familie selbst dahin gebracht, daß er sein Seelenheil durch Beichten und geistlichen Beistand, von welchem er lange nichts wissen wollte, in Sicherheit brachte. Nach langer Krankheit starb er 16. Sept. 1824. Vermählt war er seit 1771 mit Luise, Tochter des Königs Viktor Amadeus von Sardinien. Da er keine Kinder hinterließ, folgte ihm sein Bruder Karl X. Die von Lamothe-Langon herausgegebenen "Mémoires de Louis XVIII" (Par. 1832) sind apokryph. Vgl. Alphonse de Beauchamp, Vie de Louis XVIII (3. Aufl. 1825); Petit, Histoire contemporaine de la France; Bd. 8: Louis XVIII (1885).

37) L. Philipp, König der Franzosen, der älteste Sohn des Herzogs Ludwig Philipp Joseph von Chartres, spätern Herzogs von Orléans (Egalité, s. Orléans), und der Prinzessin Luise Marie. Adelaide von Penthièvre, geb. 6. Okt. 1773 zu Paris, erhielt bei der Geburt den Titel eines Herzogs von Valois und nach dem Tod seines Großvaters (1785) den eines Herzogs von Chartres. Von Frau v. Genlis nach Rousseauschen Prinzipien erzogen, erhielt L. Philipp eine tüchtige Verstandesbildung und einen gestählten Körper. Gleich seinem Vater schloß er sich der Revolution an, erklärte sich für die Konstitution, trat in die Nationalgarde und den Jakobinerklub. 1782 zum Maréchal de Camp ernannt, befehligte er unter Luckner eine Kavalleriebrigade und ward 11. Sept. Generalleutnant und der Armee Kellermanns beigegeben, unter dem er 20. Sept. 1792 bei Valmy mitfocht. In der Schlacht bei Jemappes (6. Nov.) befehligte er das Zentrum und trug wesentlich zum Sieg bei. Nachdem er unter Dumouriez bei Neerwinden gekämpft, trat er, als dessen Versuch, den Herzog auf den Thron zu erheben, scheiterte, mit demselben 4. April 1793 auf das österreichische Gebiet über und begab sich nach der Schweiz, wo er unter dem Namen Chabaud Latour eine Lehrerstelle im Kollegium von Reichenau bekleidete. Im März 1795 reiste er über Hamburg nach Skandinavien und, als das Direktorium für die Freilassung seiner Mutter und seiner Brüder die Bedingung stellte, daß er Europa verlasse, im Herbst 1796 nach Amerika, von da im Januar 1800 nach England. Er versöhnte sich hier mit den Bourbonen und lebte mit seinen Brüdern Montpensier und Beaujolais auf einem Schloß bei Twickenham, bis diese 1807 und 1808 starben. Darauf begab er sich nach Palermo, wo er sich 25. Nov. 1809 mit der Prinzessin Maria Amalie von Sizilien, der zweiten Tochter des Königs Ferdinand I., vermählte. Auf die Nachricht von dem Sturz Napoleons I. eilte er Ende April 1814 nach Paris, wo er von Ludwig XVIII. kalt und mißtrauisch empfangen wurde. Erst nach Napoleons Rückkehr aus Elba im März 1815 erhielt er ein höheres Kommando im Norden und begab sich während der Hundert Tage nach England, von wo er nach des Kaisers zweitem Sturz nach Paris zurückkehrte. Hier residierte er im Palais Royal, wurde aber von Ludwig XVIII. und dem Hof mit solchem Mißtrauen behandelt, daß er wieder nach England ging und erst 1817 dauernd nach Frankreich übersiedelte. Nun widmete er sich der Regelung der tief zerrütteten Vermögensverhältnisse der Familie und der Erziehung seiner Kinder. Er hielt sich von allen politischen Geschäften fern und hütete sich wohl, durch Teilnahme an der Reaktion sein Geschick mit dem der Bourbonen zu verflechten. Naturgemäß richteten sich die Blicke aller Mißvergnügten, die eine Änderung wünschten, auf ihn; das Palais Royal wurde der Sammelpunkt einer liberalen Partei, die durch L. Philipp ihre Ziele zu erreichen hoffte. Als in der Julirevolution 1830 am 29. Juli auf dem Stadthaus die Absetzung Karls X. ausgesprochen worden, beschlossen die liberalen Deputierten auf Laffittes Vorschlag am 30., dem Herzog von Orléans die Regentschaft als Generalleutnant des Reichs anzutragen. Nach längerer Beratung mit Laffitte, Talleyrand u. a. nahm L. Philipp 31. Juli die ihm angebotene Würde an, erließ eine Bekanntmachung, die mit den Worten schloß: "Die Charte wird fortan eine Wahrheit sein!" und beseitigte durch seinen Zug nach dem Stadthaus die revolutionäre Munizipalkommission. Nach der Flucht Karls X. eröffnete er 3. Aug. als Generalleutnant von Frankreich die Kammern, welche 7. Aug. den Thron für erledigt erklärten und L. Philipp aufforderten, denselben einzunehmen.