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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Staatsschuldenverwaltung

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Staatsschuldenverwaltung

nicht weniger in Anspruch nehmen wird, als die Gegenwart, hat im Interesse der Erhaltung eines kreditfähigen Staates im Reiche und in Preußen aber zu Versuchen der Einführung einer staatsrechtlichen Tilgungspflicht geführt. In Preußen gelang sie mit Gesetz vom 8. März 1897 als dauernde Einrichtung; im Reich wurde sie auf bestimmte Zeit erreicht (Gesetze vom 16. April 1896 und 24. März 1897). Für Preußen ist bestimmt, daß für 1897/98 mindestens ½, von 1898/99 an mindestens 3/5Proz. des jeweiligen Staatsschuldenkapitals zu tilgen sei. Die erforderlichen Beträge werden in den Staatshaushalt eingestellt. Ergiebt sich ein Überschuß im Staatshaushalt, so ist derselbe im vollen Betrage zur weitern Tilgung zu verwenden. Im Reiche wurden für Verminderung der Reichsschuld 1895-1896: 13, 1896/97: 50 Mill. M. besonders ausgeworfen. Übersteigen auch 1897/98 die den Bundesstaaten zustehenden Überweisungen (s. Deutschland und Deutsches Reich, Finanzwesen) die Matrikularbeiträge, so sollen drei Viertel des Überschusses an den Überweisungen aus Zöllen und Tabakssteuern zwecks Tilgung der Reichsschuld den Bundesstaaten gekürzt werden.

Regelmäßig sind die S. des modernen Staates, wie nicht besonders fundiert, so auch nicht wie andere Schuldverhältnisse (s. Obligation) durch besondere Pfänder sicher gestellt; ausnahmsweise kommen aber auch Schuldverschreibungen als Pfandbriefe auf Domänen oder sonstige Realitäten vor.

In den letzten Decennien zeigt die Staatsschuld der meisten europ. Staaten die Tendenz zu steigen, was zum Teil mit den wachsenden Kapitalanlagen in Eisenbahnen und sonstigen Betrieben, zum Teil, wie bei Frankreich, mit den Kriegskosten zusammenhängt. England vermochte seine Staatsschuld seit 1866 bedeutend zu vermindern, noch weit mehr aber die Vereinigten Staaten von Amerika.

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Gesamtsumme der S., die jährlichen Zinsen in Summa sowie den auf den Kopf der Einwohner entfallenden Anteil in den europ. Staaten nach dem Stande von 1894.

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Länder Staatsschuld (Mill. M.) Jährliche Zinsen (Mill.M.) Jährliche Zinsen (pro Kopf M.)

Frankreich 25 633 1 028 26,81

Rußland 15 260 553 4,65

Großbritannien 13 710 500 13,00

Österreich-Ungarn 13 375 460 10,57

Italien 11 456 725 23,73

Deutsches Reich 11 052 400 8,00

Spanien 4 830 248 14,09

Portugal 2 562 84 17,68

Türkei 2 138 68 3,40

Niederlande 1 854 64 13,70

Belgien 1 740 85 13,80

Rumänien 836 53 10,50

Griechenland 592 28 12,63

Schweden-Norwegen 449 16,5 2,43

Serbien 263 16,5 7,62

Dänemark 209 9,8 4,50

Bulgarien 82 11,2 3,39

Schweiz 52 2,5 0,85

Luxemburg 13 0,6 2,86

Montenegro 2 0,1 0,05

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Aus der Größe der Staatsschuld allein kann man weder auf die allgemeine Finanzlage noch auf die Größe des Staatsvermögens (s. d.) schließen.

Zwangsanleihen, bei welchen die Gläubiger gegen ihren Willen dem Staate Darlehen gewähren müssen, die übrigens verzinslich und einlösbar sein können, sind in Zeiten finanzieller Bedrängnis öfters vorgekommen. In gewissem Sinne stellt das mit Zwangskurs versehene Papiergeld des Staates auch jetzt noch eine Zwangsschuld dar.

Litteratur. Wagner, Die Ordnung der Finanzwirtschaft und der öffentliche Kredit, in Schönbergs "Handbuch der polit. Ökonomie", Bd. 3 (3. Aufl., Tüb. 1891); Artikel Anleihen und Staatsschulden im "Handwörterbuch der Staatswissenschaften" (Bd. 1, Jena 1890; Bd. 5, 1893); Sattler, Das Schuldenwesen des preuß. Staates und des Deutschen Reichs (Stuttg. 1893); von Hoffmann, Die preuß. Hauptverwaltung der S. vom J. 1820 bis 1896 (Berl. 1896).

Staatsschuldenverwaltung. Zur Verwaltung der Staatsschuld bestehen in allen größern Staaten mit Rücksicht auf den relativ bedeutenden Geschäftsumfang sowie auf die technischen Eigentümlichkeiten besondere, dem Finanzministerium untergeordnete Centralorgane (in Preußen "Hauptverwaltung der Staatsschulden"; im Reich "Reichsschuldenverwaltung"; in Österreich "Direktion der Staatsschuld"). Zur Kontrolle derselben bestehen fast allenthalben Kontrollorgane der Volksvertretung, (sog. Staatsschuldenkommissionen), welche in Gemäßheit der bestehenden gesetzlichen Vorschriften Ausnahme von Anleihen, Verzinsung und Tilgung derselben, Ausstellung der Schuldverschreibungen, Einziehung und Vernichtung derselben, Ausgabe und Einziehung von Staatspapiergeld oder Banknoten überwachen. In Preußen heißt dieses durch Gesetz vom 24. Febr. 1850 geschaffene Organ "Staatsschuldenkommission"; im Reich "Reichsschuldenkommission" (s. d.), in Österreich "Kontrollkommission"; in Preußen gehören ihm auch Mitglieder der Oberrechnungskammer, im Reich Bundesratsmitglieder an. Für die Kassengeschäfte der Staatsschuld sind neben der speciellen Staatsschuldenkasse auch die Kassen der allgemeinen Finanzverwaltung wirksam. Bei Aufnahme von Anleihen ist folgendes zu würdigen:

a. Die Anleihen lauten regelmäßig auf die betreffende Landeswährung. Nur wo diese Papierwährung ist, wird häufig nicht nur im Interesse des ausländischen Marktes, sondern auch des heimischen Kapitals, Metallwährung zugesagt.

b. Als Domizile für die Zahlung der übernommenen Verbindlichkeiten kommen neben der Hauptstadt und den größern Städten (regelmäßig die Provinzialhauptstädte u. a.) des betreffenden Staates auch ausländische Plätze in Betracht, insofern der Schuldner damit den Interessen der Gläubiger des Auslandes entgegenzukommen vermag.

c. Die Zinstermine sind den Eingangsterminen der Steuern und sonstigen Einnahmen anzupassen und nach Verschiedenheit der Schuldgattungen auf das Jahr zu verteilen. Im Interesse der Gläubiger dürften zwei Zinstermine im Jahre genügen.

d. Die einzelnen Obligationen sind, von dem Einschreibesystem (s. d.) abgesehen, jetzt vorwiegend Inhaberpapiere (s. d.). Die einzelnen Schuldtitel sollen mit Rücksicht auf die Beteiligung auch der kleinen Sparer an den Anleihen des Staates nicht ausschließlich auf große Beträge ausgestellt sein.

e. Für Begebung oder Emission (s. d.) der Anleihen sind folgende Methoden zu unterscheiden: 1) der Verkauf der Obligationen für eigene Rechnung des Staates; 2) die Übereinkunft mit Zwischenhändlern oder einem Konsortium (s. d.) von solchen, denen eine Provision und ein Gewinn am Kurse