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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Harmonia; Harmonichórd; Harmonie; Harmonie der Evangelisten; Harmonie der Sphären; Harmonielehre

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Harmonia - Harmonielehre.

der republikanischen Freiheit und ihre That als Anfang der Befreiung Athens. Ihre Bildsäulen wurden an dem Aufgang zur Akropolis aufgestellt, ihre Ahnen unter die Heroen des Landes erhoben, ihren Nachkommen die höchsten Ehrenrechte zuerkannt. Zu ihrer Verherrlichung dichtete Kallistratos ein Skolion (Tischlied), das die Athener beim geselligen Mahl zu singen pflegten.

Harmonia, in der griech. Mythologie Tochter des Ares und der Aphrodite, Gemahlin des Kadmos (s. d.). Bei ihrer Vermählung auf der Burg in Theben waren sämtliche Götter zugegen und verehrten ihr Geschenke. Kadmos gab ihr ein von Hephästos gefertigtes kunstvolles Halsband, an welchem aber nur Verderben hing. Dies war der verhängnisvolle Schmuck, welchen später Polyneikes der Eriphyle gab, damit diese ihren Gemahl Amphiaraos zur Teilnahme am Kriege gegen Theben bewegen solle. Nach Eriphyles Tod kam das Halsband an ihres Sohns Alkmäon Gattin Arsinoë, dann an Phegeus und Kallirrhoë (s. Agenor 2) und veranlaßte allenthalben Zwietracht und Mord, bis es endlich nach Ermordung der Söhne des Phegeus von Alkmäons Söhnen als Weihgeschenk im Tempel der Athene zu Delphi niedergelegt wurde. Auch hier veranlaßte es noch Unglück. Die Gemahlin des Ariston, eines Feldherrn der Ötäer, ward von dem Tyrannen Phayllos geliebt und durch dieses Halsband, das Phayllos raubte, gewonnen, worauf ihr Sohn rasend wurde und sie samt ihren Schätzen verbrannte.

Harmonichórd, ein von Kaufmann in Dresden (1812) erfundenes Tasteninstrument von der Gestalt eines aufrecht stehenden Pianofortes, dessen Saiten durch Reibung eines mit Leder überzogenen und mit Kolophonium durchgearbeiteten Cylinders zum Ertönen gebracht wurden und Longitudinalschwingungen machten. M. v. Weber komponierte für das H. ein großes Konzert mit vollem Orchester.

Harmonie (griech., "Übereinstimmung"), richtiges Verhältnis der Teile eines Ganzen, besonders eines Kunstwerkes; auch Übereinstimmung der Gesinnungen und Gefühle, sowohl im Gemüt des einzelnen Menschen und dann eine Hauptbedingung des innern Friedens, als auch zwischen mehreren Menschen, welche in einem nähern Verkehr miteinander stehen; daher öfters Bezeichnung geselliger Vereine. - H. nennt man ferner den Zusammenhang, die innige Verbindung von Leib und Seele, vermöge deren ihre beiderseitigen Thätigkeiten zusammenstimmen; prästabiliert heißt diese H. bei Leibniz, insofern dieselbe von Gott in vorhinein bestimmt sei. - In der Musik bezeichnet das Wort die Vereinigung mehrerer für sich bestehender und in ihrer äußern Erscheinung auch ganz verschiedener Töne zu einem Haupt- oder Gesamtklang, d. h. zu einem Akkord; dann das aus der Natur der Konsonanzen hervorgehende Verhältnis des einen Tons zum andern oder das Zusammenfließen mehrerer Töne in einen und endlich die Beschaffenheit eines ganzen Tonstücks, insofern es, in seinen Grundlinien betrachtet, als eine Folge von Akkorden angesehen wird. Der Ausdruck H. wird auch als gleichbedeutend mit Akkord gebraucht, und man spricht z. B. von einer Dominanten-, Septimenharmonie etc., von einer engen, weiten (zerstreuten) H., was gleichbedeutend ist mit der engen oder weiten Lage eines Akkords (s. Akkord).

Harmonie der Evangelisten, s. Evangelienharmonie.

Harmonie der Sphären, eine Annahme des Pythagoras (s. d.), wonach die Weltkörper in ihrem Umschwung um das Zentralfeuer tönen, eine Harmonie hervorbringen sollten, wenn auch das Ohr des Menschen diese Töne (Sphärenmusik) sowenig vernehme, wie dessen Auge das Zentralfeuer sehe. Dieselbe gründete sich auf die Abstände der sieben Kreise der Weltkörper vom Zentralfeuer, die nach seiner Rechnung dem Zahlenverhältnis der sieben Töne seines Heptachords entsprachen, und wurde später noch phantastisch ausgeschmückt.

Harmonielehre, die Lehre von der Harmonie oder, wie man seit M. Hauptmann gern sagt, Harmonik, hat zum Gegenstand die Erklärung der Akkordbildungen der modernen Musik (die Alten kannten Harmonie in unserm Sinne nicht), ihre Zurückführung auf wenige typische Grundformen sowie die Anleitung für die Verbindung der Akkorde, d. h. die Regeln der Stimmführung etc. Die H. ist daher die Vorbereitung und der erste Kursus des Kompositionsunterrichts (Stufenfolge: H., Kontrapunkt, Kanon und Fuge, freie Komposition). Die allgemein übliche Methode der H. benutzt als Unterrichtsvehikel die Generalbaßschrift, weshalb auch die Bezeichnung Generalbaß (s. d.) gleichbedeutend mit H. gebraucht wird. In neuester Zeit, seit die grundlegenden Thatsachen des musikalischen Hörens mehr und mehr erkannt werden, behandelt man die H. in einer abweichenden, mehr rein theoretischen Weise und fragt nach der Klangbedeutung der Akkorde; wir haben daher eine Reihe von Werken, welche Anleitungen für den Tonsatz gar nicht geben, sondern sich ausschließlich mit der Erklärung der verschiedenen möglichen und üblichen Arten von Zusammenklängen und Akkordfolgen beschäftigen, deren Hauptkapitel daher sind: Konsonanz und Dissonanz, Tonart (Tonalität), Modulation. Solche Harmoniesysteme sind die einschlägigen Arbeiten von Rameau ("Traité d'harmonie", 1722, u. a.), Catel ("Traité de l'harmonie", 1796), Fétis ("Traité de la théorie et de la pratique de l'harmonie", 1844, u. a.), Hauptmann ("Natur der Harmonik", Leipz. 1853); von neuern, rein theoretischen Arbeiten sind zu nennen die von A. v. Öttingen ("Harmoniesystem in dualer Entwickelung", Dorp. 1866), O. Tiersch ("System und Methode der H.", Leipz. 1868), Thürlings ("Die beiden Tongeschlechter und die neuere musikalische Theorie", Berl. 1877), O. Hostinsky ("Die Lehre von den musikalischen Klängen", Prag 1879), H. Riemann ("Skizze einer neuen Methode der H.", Leipz. 1880) u. a., insgesamt Vertretern des harmonischen Dualismus, welcher von M. Hauptmann zuerst weiter ausgeführt, in seinen Grundzügen aber bereits von Zarlino ("Istituzioni harmoniche", 1558) festgestellt wurde (der Mollakkord als polarer Gegensatz des Durakkords gedacht, vgl. Akkord und Obertöne).

Während diese theoretischen Harmonielehren die Regeln des musikalischen Satzes und die Grundgesetze der musikalischen Formgebung zu begründen suchen, begnügen sich die praktischen Harmonielehren mit der Aufstellung der durch die Praxis allmählich festgesetzten Regeln und mit Anleitungen zu ihrer Befolgung, so daß die kurzen eingestreuten theoretischen Erklärungen von Tonart, Modulation etc. von untergeordneterer Bedeutung sind und nur darum unerläßlich scheinen, weil die Generalbaßbezifferung an die Tonleiter anlehnt. Einige neuere Generalbaßschulen versuchen allerdings dem Zug der Zeit gerecht zu werden und den Erklärungen mehr Raum zu vergönnen, so die Werke von E. F. Richter ("Lehrbuch der Harmonie", 17. Aufl., Leipz. 1886), L. Köhler ("Leichtfaßliche Harmonie- und Generalbaßlehre", 3. Aufl., Berl. 1880), O. Paul