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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Geschichte 1474-1500. Maximilian I.).

lagerte und in das Elsaß seine Truppen einrücken ließ. Vielmehr war er nur bemüht, auf dies Reich für sein Haus die Anwartschaft zu erlangen. Er war sogar auf Verhandlungen über Verleihung des Königstitels an Karl den Kühnen eingegangen in der Hoffnung, für seinen Sohn Maximilian die Hand der einzigen Tochter des mächtigen Herzogs zu gewinnen. Diese Aussicht hatte sich bei Lebzeiten Karls zerschlagen; aber als dieser nach seinem unglücklichen Eroberungszug gegen die Schweizer, die ihn bei Granson und Murten 1476 besiegten, 1477 vor Nancy fiel, reichte seine Erbin Maria in der That dem stattlichen Kaisersohn ihre Hand und brachte ihm so den zum Deutschen Reiche gehörigen Teil ihrer Besitzungen zu, während die französischen Lehen sofort von König Ludwig XI. eingezogen wurden. 1489 erbte Friedrich III. auch Tirol, das bisher von einer habsburgischen Nebenlinie beherrscht worden, und 1490 starb Matthias Corvinus, worauf Friedrich wieder in den ungestörten Besitz seiner österreichischen Erblande gelangte; mit dem Jagellonen Wladislaw, König von Böhmen, der Matthias' Nachfolger in Ungarn wurde, schloß Maximilian 1491 den Vertrag von Preßburg, welcher die habsburgische Erbfolge auch in Böhmen und Ungarn in Aussicht stellte. Nach den größten Demütigungen, in schimpflicher Ohnmacht begründete also dieser träge, indolente Kaiser Friedrich III. die Weltherrschaft des Hauses Habsburg, indem er Land auf Land teils selbst erwarb, teils durch Verträge für die Zukunft sicherte; in ihm prägte sich am schärfsten jenes Streben nach Erwerbung einer großen Hausmacht aus, welches die Kaiser dieser Periode charakterisierte, freilich in einer Weise, die D. und dem deutschen Kaisertum nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden gereichte. Was Habsburg gewann, war dem deutschen Volk nicht gewonnen, sondern verloren; denn indem der Schwerpunkt der habsburgischen Weltmacht außerhalb des Reichs gelegt ward, wurden auch seine deutschen Besitzungen D. entfremdet.

Edler und erhabener faßte Maximilian I. (1493-1519) seine Stellung auf, der, bereits 1486 zum römischen König erwählt, nach seines Vaters Tod 1493 auf dem deutschen Thron folgte. Wiederum war es doch das Kaisertum als die höchste weltliche Macht der Christenheit, was die Phantasie und den Ehrgeiz dieses begabten, ritterlichen Herrschers vornehmlich beschäftigte und ihn zu kühnen Unternehmungen anreizte. Jedoch war er bereit, wenn die Reichsstände ihm Truppen und Geld für seine Kriegspläne bewilligten, dem Reich eine Verfassung zu geben, welche ihm Frieden und gesetzliche Ordnung verbürgten. Im Einverständnis mit den angesehensten Reichsfürsten, wie Berthold von Mainz, Friedrich von Sachsen, Johann von Brandenburg, Eberhard von Württemberg u. a., berief er daher 1495 den Reichstag von Worms, auf dem die neue Organisation beschlossen werden sollte. Zunächst verkündete er hier den ewigen allgemeinen Landfrieden, durch welchen nicht bloß für eine bestimmte Zeit und für eine einzelne Landschaft, sondern für immer und im ganzen Reich alle Fehden bei Strafe der Reichsacht verboten und jedermann zum Austrag von Streitigkeiten auf den Rechtsweg verwiesen wurde. Um diesen allen zu sichern, wurde das Reichskammergericht begründet, dessen besoldete Mitglieder teils vom Kaiser, teils von den Reichsständen zur Hälfte aus dem Ritterstand, zur Hälfte aus gelehrten Juristen ernannt werden sollten. Um die Kosten für dies Gericht zu bestreiten und die Mittel für Aufstellung einer Truppenmacht zu beschaffen, welche jeden Bruch des Landfriedens strafen und die Exekution der Urteile des obersten Gerichts vollstrecken konnte, wurde die Einführung einer allgemeinen Reichssteuer, des gemeinen Pfennigs, beschlossen. Alle Jahre sollte der Reichstag zusammentreten, um über den Landfrieden, die Vollziehung der kammergerichtlichen Urteile und des Reiches Wohl überhaupt zu wachen. Die Zusammensetzung des Reichstags war so geordnet, daß die Kurfürsten und die Fürsten besondere, die sogen. obern Kollegien waren; die Städte waren als drittes Kollegium zugelassen, jedoch wurde ihr Recht auf ein beschließendes Votum immer wieder angefochten, und ihr Einfluß beschränkte sich meist darauf, daß sie durch ihren Einspruch einen Beschluß, besonders Geldauflagen, verhindern konnten. Die Reichsritterschaft war auf den Reichstagen nicht vertreten. Im ganzen gab es 250 Reichsstände; da jedoch die kleinern Reichsstände keine Viril-, sondern nur gemeinsame Kuriatstimmen hatten, so zählte der Reichstag wenig mehr als 100 Stimmen. Die Reichsversammlung war jedoch zu einer kontrollierenden Aufsichtsbehörde wegen der Schwerfälligkeit und Weitläufigkeit ihrer Beratungen nicht tauglich. Maximilian gab daher 1500 auf dem Reichstag zu Augsburg seine Zustimmung zur Errichtung eines bleibenden Ausschusses der Stände, des Reichsregiments, das aus 20 Mitgliedern, 6 Vertretern der Kurfürsten, 12 der Fürsten, Grafen und Prälaten und 2 der Städte, bestand. Zur bessern Durchführung aller dieser Maßregeln wurde das Reich in sechs, 1512 in zehn Kreise geteilt, an deren Spitze je ein Direktorium stand: der österreichische, der bayrische, der fränkische, der kurrheinische, der oberrheinische, der burgundische, der niederländisch od. westfälische, der niedersächsische u. der obersächsische Kreis (s. die einzelnen Artikel). Böhmen mit seinen Nebenländern und die Schweiz blieben ganz außerhalb der Reichsverfassung. Letztere weigerte sich, den ewigen Landfrieden anzunehmen und sich dem Kammergericht zu unterwerfen. Maximilian unternahm einen Kriegszug gegen sie, um sie dazu zu zwingen; indes nicht genügend vom Reich unterstützt, richtete er nichts aus und mußte sie im Baseler Frieden (1499) faktisch aus dem Reichsverband entlassen.

Diese Reichsverfassung, wie sie nach mühsamen Verhandlungen zu stande gebracht wurde, hatte ein durchaus oligarchisches Gepräge, indem den Kurfürsten der entscheidende Anteil an den wichtigsten Behörden eingeräumt wurde. Selbst die Fürsten waren nicht mit derselben einverstanden, noch weniger natürlich die Städte und die Reichsritter, welche ihre Bedeutung als der Wehrstand des Reichs seit dem Aufkommen der Landsknechtheere verloren hatten, denen nun auch das Fehdehandwerk gelegt wurde, und denen man nicht die geringsten politischen Rechte einräumte. Dennoch würde unter der Leitung so vortrefflicher Männer wie Bertholds von Mainz und Friedrichs des Weisen eine Befestigung und ein Ausbau der neuen Organisation wohl möglich gewesen sein, wenn Kaiser Maximilian dem Werk seine nachhaltige Gunst und Unterstützung zugewendet hätte. Die Beschränkungen seiner monarchischen Gewalt waren allerdings bedeutend, indes doch nicht thatsächlich, sondern bloß, wenn man das Kaisertum in seiner frühern Machtfülle im Auge hatte, und Maximilian hätte sich dieselben auch auf die Dauer gefallen lassen, wenn ihm nur die Wiederherstellung der Kaisergewalt in Italien, nach der er vor allem strebte, geglückt wäre. Daß aber seine italienischen Feldzüge alle erfolglos blieben, maß er dem geringen Beistand bei, welchen die Fürsten ihm leisteten, während er