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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Drama

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Drama (Arten des Dramas; Geschichtliches).

tern selbst für das geistige, sondern noch mehr durch die sichtbare Darstellung des Dramas (theatralische Aufführung) für das sinnliche Auge. Jedes echte D. als Nachahmung einer im wirklichen Vollzug begriffenen Handlung ist daher für die Aufführung bestimmt und erlangt erst durch diese den Schein voller Gegenwärtigkeit, für den es geschaffen ist. Sogen. Lese- und Buchdramen sind gegen den Begriff des Dramas. Daraus folgt allerdings nicht, daß jedes D. für die Aufführung auf einer bestimmten Schaubühne unter bestimmten Theaterverhältnissen bestimmt sein müsse. Wer nur die letztere, wohl gar die zufälligen Wünsche einer Bühnenleitung oder eines Theaterpublikums im Auge hat, erniedrigt das D. zum Bühnenstück. Gehört die nachgeahmte Handlung (z. B. eine geschichtliche) nach Ort und Zeit einem bestimmt gefärbten Kulturkreis an, so muß der Schein ihrer Gegenwärtigkeit in der nachahmenden durch möglichst treue Wiedergabe des Zeitcharakters, der Örtlichkeit, der Tracht, der Redeweise etc. erhöht werden. Die Einteilung des Dramas erfolgt je nach der Beschaffenheit entweder der Form oder des Stoffs der Handlung. In jener Hinsicht unterscheidet man Charakter- und Situationsdramen, je nachdem die Motivierung des Redens und Handelns der dramatischen Personen mehr in deren innere Anlage (Charakter, Naturell) oder in deren äußere Lage (die durch Zufall oder Vorherbestimmung gegebenen Verhältnisse) verlegt wird. Das sogen. moderne D. (Shakespeares und der Shakespearomanen, wie Hebbel, Otto Ludwig u. a.) gehört vornehmlich der erstern, das sogen. antike (der Alten und ihrer Nachahmer, z. B. Schillers im "Wallenstein", der die größere Hälfte der Schuld desselben "den unglückseligen Gestirnen zuwälzt", in der "Braut von Messina" u. a.) der letztern Gattung an. Nach der Zahl der handelnden Personen werden Mono-, Duo- und Polydramen unterschieden. In Bezug auf den Stoff ist bei der Einteilung entweder der Charakter oder der Ursprung der als Handlung dargestellten Begebenheit maßgebend. Ist dieselbe nach des Aristoteles Ausdruck eine ernste, so daß ihre dramatische Darstellung Mitleid (mit dem leidenden Helden: Ödipus, Hamlet, Wallenstein) und Furcht (für uns selbst als seinesgleichen: nil humani a nobis alienum!) hervorruft, so entsteht das Trauerspiel oder die Tragödie (s. d.); ist sie dagegen eine heitere, welche durch ihre dramatische Behandlung den Handelnden zwar ungereimt (für den Beschauer), aber sein Los unschädlich (für ihn selbst) und ihn (infolge beider Umstände dem Beschauer) lächerlich erscheinen läßt, so entsteht das Lustspiel oder die Komödie (s. d.). In beiden Fällen findet ein Glückswechsel vom Bessern zum Schlimmern statt, in jenem ein schädlicher (Cäsars, Wallensteins Tod), in diesem ein unschädlicher (der habsüchtige Geizige wird um seinen geträumten Gewinn, der heiratssüchtige Alte um seine erträumte Braut, der Ruhm- und Lobsüchtige um seine vermeinte Bewunderung geprellt, ohne daß er jedoch einen wirklichen Nachteil erfährt); der tragische Held wird beweint, der komische ausgelacht. Erfolgt dagegen der Glückswechsel in umgekehrter Richtung (vom Schlimmern zum Bessern), so entsteht, wenn derselbe dem Helden zum wirklichen Vorteil gereicht (sein schließliches Glück uns erfreut, wie uns sein anfängliches Unglück betrübt hat), das Schauspiel (Goethes "Iphigenia"; Lessings "Nathan"); macht dagegen sein Glückswechsel den Helden (Glückspilz) nur lächerlich (weil sein schließliches Glück nur ein vermeintliches, sein in Wirklichkeit fortbestehendes Mißgeschick übrigens nach wie vor kein so ernsthaftes ist, daß es Mitleid erregen kann), so entsteht die Posse (die verbannten staatsweisen Athener als schließliche Erbauer und Beherrscher von Wolkenkuckucksheim; der verkannte, schließlich im Korb in die Lüfte erhöhte [vermeintliche] Sophist Sokrates bei Aristophanes). Was den Ursprung der als D. dargestellten Begebenheit (Fabel) betrifft, so kann sie entweder einer gänzlich erfundenen phantastischen Welt (poetisches D.; Tiecks Märchendrama; Raimunds u. a. Feen- und Zauberstücke) oder der, sei es im Glauben (mythisches D.; geistliches Schauspiel; Mysterium; Passionsspiele), sei es in der Erfahrung (realistisches D.; weltliches Schauspiel), gegebenen Welt entnommen sein. Gehört sie in letzterer der Vergangenheit an, so entsteht das historische, gehört sie dagegen der (jeweiligen) Gegenwart (des Dichters) an, das moderne D. Je nachdem sie das Leben eines Individuums oder als typische das Wesen einer ganzen Gattung von solchen (eines Geschlechts, einer Altersstufe, einer Berufsklasse, eines Standes, einer Nationalität, einer Kulturstufe etc.) repräsentiert, wird das entsprechende D. Biographie- oder Genrestück. Durch Kombination beider Einteilungen ergeben sich als Unterarten: 1) das historisch-biographische D. (Shakespeares Historien; Goethes "Götz", "Egmont" und "Tasso"; Schillers "Wallenstein", "Maria Stuart", "Tell" etc.); 2) das modern-biographische D. (Goethes "Clavigo", der noch bei dessen Lebzeiten erschien; Lassalle und Kaiser Max von Mexiko wurden unmittelbar nach ihrem Tod auf die Bretter gebracht); 3) das historische Genrestück ("Wallensteins Lager"; Scribes "Glas Wasser"; Laubes "Rokoko"); 4) das moderne Genrestück (das bürgerliche Trauerspiel; das Konversationsstück; das moderne Sittenbild). Weitere Abarten gehen aus der Verbindung der Einteilungen nach dem Stoff mit jenen nach der Form des Dramas hervor.

Geschichte des Dramas.

Geschichtlich sind die Anfänge des Dramas bei allen Völkern aus der Nachahmung wirklicher oder als wirklich geglaubter (wie es die Lebensumstände der Götter sind) Handlungen durch handelnde Personen hervorgegangen. Ähnliches läßt sich noch heute bei den Kindern beobachten, welche die Handlungen Erwachsener (Hochzeit, Leichenbegängnis, Krieg, Gottesdienst, Gericht etc.) im Spiel mit verteilten Rollen nachahmen. Die begleitenden Reden wurden dabei entweder (wie noch heutzutage bei den sogen. Stegreifkomödien) von den Darstellern selbst im Augenblick der Darstellung erfunden, oder denselben zugleich mit der darzustellenden Handlung von deren Erfinder (dem dramatischen Dichter) ihrem Charakter und ihrer jeweiligen Lage gemäß in den Mund gelegt. Was zunächst das außereuropäische D. betrifft, so ziehen in China die Schauspieler gleich Seiltänzern umher und stellen Begebenheiten, meist Liebes- und Kriminalgeschichten, ohne geschlossene Handlung und sorgfältige Motivierung in dialogisierter Form dar. Als Urheber des regelrechten Dramas wird der Kaiser Hiuentsong (702-756 n. Chr.) genannt; er soll aus Wechselrede und Wechselgesang das erste D. geschaffen haben. Ein chinesisches Schauspiel: "Die Waise von Tschao", hat Voltaire für die französische Bühne bearbeitet; ein andres: "Der Geizige", erinnert an Molière; auch historische Dramen sind der chinesischen Litteratur nicht fremd. Neuere Ägyptologen fassen das uralte Totenbuch der Ägypter, welches eine Darstellung der Schicksale der Seele nach dem Tod enthält, als D. auf, welches nach dem Zeugnis der Bildwerke von den Priestern, von den Ver-^[folgende Seite]