Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Eisenbahn'
Anmerkung: Fortsetzung von [Formen und Stand des Eisenbahnwesens in verschiedenen Ländern.]
gent wohlunterrichteter Baumeister und Techniker aus den Staatsschulen verfügbar, streng diszipliniert,
aber ohne jenen englischen Geist freier Initiative. Wie im geistigen Leben, so kennt auch im Eisenbahnwesen
Frankreich nur einen Brennpunkt, Paris. Die Generalinspektionen der Brücken und Chausseen denken für die
Eisenbahnbeamten der Provinzen; diese führen als wohldisziplinierte Organe die Anordnungen aus, wobei der
fachwissenschaftlich hoch entwickelten Tüchtigkeit des Personals die Anerkennung keineswegs zu versagen
ist. Die französischen Bahnen entstanden durch Zusammenwirken des Staats mit dem Privatkapital, welch
letzteres sich allein zum Ausbau des Netzes nicht als ausreichend erwies. Die Formen der Staatsunterstützung
waren mannigfaltiger Art: bare Zuschüsse in Geld oder Grund und Boden (bis 1884 in einer Gesamtsumme von
mehr als 1½ Milliarden Frank), Zinsgarantie-Zuschüsse (infolge des Gesetzes vom 11. Juni 1859), welche mit
Einschluß der Zuschüsse für die algerischen Bahnen bis 1883 den Gesamtbetrag von 700 Mill. Fr. erreichten,
Begünstigung der Fusionen, lange Konzessionsdauer, milde Handhabung des staatlichen Beaufsichtigungsrechts.
Durch seine Eisenbahnpolitik hat der Staat sechs mächtige Monopolgesellschaften großgezogen, welche ihre
einflußreiche Stellung den wechselnden Ministerien der Republik gegenüber vortrefflich auszubeuten verstanden,
dabei aber den Verkehr schlecht bedienten und namentlich einer weitern Ausbreitung des Netzes durch Anlage
wenig rentabler Nebenlinien hinderlich waren. Diese Verhältnisse gaben 1877 dem Minister de Freycinet den
Anstoß zur Einleitung einer Staatseisenbahnpolitik, welche mit dem Ankauf von einigen Tausend Kilometer
notleidender kleinerer Bahnen und mit der Aufstellung eines Plans für 16,000 km neuer Hauptbahnen und 40,000 km
Nebenbahnen begonnen wurde. Der Ausführung dieses Plans, welcher in wenigen Jahren eine Summe von 6½ Milliarden
Fr. erfordert haben würde, stellten sich, abgesehen von finanziellen Hindernissen, namentlich auch Schwierigkeiten
beim Betrieb heraus, da die zahlreichen auf Kosten des Staats erbauten kleinen Strecken isoliert innerhalb der
größern Privatbahnnetze gelegen sind. Infolgedessen ist durch eine Reihe von Verträgen mit den sechs großen
Gesellschaften 1884 die Ausführung der im Freycinetschen Bautenplan vorgesehenen Bahnlinien den bestehenden
Gesellschaften unter finanzieller Beteiligung des Staats sowie unter gleichzeitiger Verlängerung der den
Gesellschaften erteilten Konzessionen auf durchschnittlich 75 Jahre übertragen worden. Diese Verträge haben
die Verwirklichung der Staatsbahnprojekte in unabsehbare Ferne verschoben. Die Gesamtlänge des französischen
Eisenbahnnetzes betrug Anfang 1885 über 30,000 km.
Österreich-Ungarn (wie die Schweiz) wurde durch die natürlichen Verhältnisse
gezwungen, zwei große Probleme im Eisenbahnwesen zu lösen: hohe Alpen, welche die Provinzen scheiden, waren zu
durchbrechen und zugleich große Massentransporte auf weite Entfernungen zu überwinden. Die Tracierung von
Gebirgsbahnen hatte bis dahin unerhörte Steigungen und Krümmungen zu überwinden. Die "Gebirgsmaschine", deren
Physiognomie in der Schmiegsamkeit des Radstandes in den Kurven, sei es durch Gelenkstellung, sei es durch
verschiebbare Achsen, und durch die ein Maximum der Zugkraft erzielenden Verhältnisse von Cylindermaß, Raddurchmesser
und Gewicht gegeben ist, mußte geschaffen werden, sowohl in ihren Modifikationen für Last- als für
↔
Schnellzüge. Auf diesem Gebiet der Technik ist Österreich auf dem Kontinent vorangegangen. Die relativ geringere
Dichtigkeit der Bevölkerung, das Vorwiegen des Ackerbaues und die weiten Entfernungen des Reichs haben langsamere
Bewegung und geringere Zahl der Züge, bez. Eilzüge veranlaßt.
Die Gesamtlänge des österreich-ungarischen Eisenbahnnetzes betrug 1. Jan. 1885 erst 21,786 km. Der Stillstand in
der Entwickelung des Bahnnetzes hat seit 1880 eine kräftige Initiative seitens des Staats zum Ankauf von Bahnen
und zur Verbindung sowie zum Ausbau der in ihrer Gliederung bis dahin zum Teil noch unzusammenhängenden einzelnen
Verkehrsgruppen hervorgerufen. Das Staatsbahnwesen ist namentlich in Ungarn binnen wenigen Jahren weit
vorgeschritten und hat zu einer verhältnismäßigen Verdichtung des zuvor lose zusammengefügten und unvollständigen
Schienennetzes geführt.
Das Eisenbahnnetz der Schweiz ist ein in hohem Grad mannigfaltiges.
Normalspur, Schmalspur, Bergbahn mit gewöhnlichem Betrieb, mit Zahnrad, mit System Wetli, Straßenbahnen,
Tramways etc. finden sich hier bunt durcheinander. Das hauptsächlichste Charakteristikum des schweizerischen
Eisenbahnwesens bilden die Bergbahnen, deren Bau durch den mächtigen Strom der Vergnügungsreisenden, welcher
sich alljährlich in die Schweiz ergießt, ungemein gefördert wurde und zuletzt in der Gotthardbahn seinen höchsten
Triumph gefeiert hat. Das gesamte Netz hatte Anfang 1885 eine Länge von 2960 km, wovon nur 84 km sich in
Staatsbesitz befanden.
In Italien hat der Bau der E. seit der Wiederherstellung der staatlichen
Einheit einen kräftigen Aufschwung genommen. Durch ein Gesetz vom 29. Juli 1879 wurde die Regierung zum Bau von
6020 km neuer Strecken im Bauwert von 1,204,500,000 Frank ermächtigt; das Gesetz bezeichnet die einzelnen Strecken
und teilt sie je nach ihrer Bedeutung für den Verkehr und dem derselben entsprechenden Maß der Beteiligung der
Provinzen und Gemeinden an der Beschaffung der Baumittel in vier Klassen ein. Mit der Ausführung dieses Gesetzes
ist 1880 begonnen worden und dadurch die Länge des italienischen Eisenbahnnetzes Ende 1883 schon auf 9666 km
angewachsen, wovon 4525 km vom Staat betrieben wurden. In besonders ausgedehntem Maß findet seit 1877 die Benutzung
öffentlicher Straßen zur Anlage von Schienengeleisen für Dampfbetrieb (tramvie a vapore)
statt. Diese Benutzung erfolgt meist in der Weise, daß, wie bei den gewöhnlichen Pferdebahnen, die Schienen in den
Straßenkörper versenkt werden, so daß durch dieselben der Verkehr des Lastfuhrwerks nicht behindert wird. 1883
waren bereits 1400 km dieser Dampftramways im Betrieb. Eine durchgreifende Veränderung hat das italienische
Eisenbahnwesen seit dem 1. Juli 1885 erfahren. Die bis dahin in Wirksamkeit gewesenen drei großen Verwaltungen,
der Oberitalienischen, der Römischen und der Südbahnen, sind seit jener Zeit aufgelöst und an deren Stelle auf
Grund staatsseitig abgeschlossener Pachtverträge die Betriebsgesellschaften der Mittelmeer-, Adriatischen und
Sizilischen Bahnen getreten. Gleichzeitig wurde das Tarifwesen auf gesetzlichem Weg einer einheitlichen Regelung
unterzogen.
In Rußland ward bis zum Tode des Kaisers Nikolaus der Eisenbahnbau in keiner
Weise begünstigt. Als aber der Handelsverkehr mit dem Ausland zunahm und der Krimkrieg gezeigt hatte, wie
notwendig ein ausgedehntes Eisenbahnnetz auch in militärischer Hinsicht für Rußland sei, um Truppenmassen
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 433.