Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Englische Litteratur

655

Englische Litteratur (Geschichtschreibung).

kirche und als eine echt religiöse, aber geistig befangene Bewegung. Dieser frühern Generation der "Evangelicals" verdanken die Engländer die Aufhebung der Sklaverei und die Stiftung mehrerer nützlicher Gesellschaften, die zum Teil noch in hoher Blüte stehen. Die neuern Evangelicals repräsentieren vollständig den kontinentalen gläubigen Protestantismus, aber mit überwiegendem Calvinismus. Von theologischer Wissenschaft ist bei ihnen keine Rede; ihre Litteratur besteht fast nur aus Predigten und Erbauungsschriften. Das hochkirchliche Element steigerte sich durch die Oxforder Professoren John H. Newman (geb. 1801) und Edw. B. Pusey (gest. 1882), welche zur Erneuerung echter Katholizität alle katholischen Satzungen und Lehren, soweit ihnen die 39 Artikel nicht ausdrücklich widersprachen, wieder aufnahmen, zugleich aber auch in der Litteraturgeschichte Englands durch ihre zündenden "Tracts for the times" glänzten. Für eigentliche Gelehrsamkeit erwiesen sich nur die Anhänger der sogen. breitkirchlichen Richtung (broad-church) zugänglich und fruchtbar, an ihrer Spitze der Dean Arthur P. Stanley (1815-81); zu nennen sind ferner die Gelehrten Oxfords: Hussey, Jowett, Mansell, Macbride, die Gebrüder Hare, Milman, Trench; von Cambridge: Conybeare, Howson, Blomfield, Alford, Hardwick u. a. Der Predigtsammlungen (sermons) ist kein Ende in der Litteratur der Hochkirche; klassisch und auch frei für seine Zeit redete der Erzbischof Tillotson (gest. 1694). Auch unter jenen Protestanten, die sich der anglikanischen Kirche nicht anschlossen, zeigten sich im 17. Jahrh. hervorragende Schriftsteller: Richard Baxter (gest. 1691), dessen "Ewige Ruhe der Heiligen" mit Bunyans (gest. 1688) "Pilgerfahrt des Christen" zu den gelesensten aller Erbauungsbücher gehört. Dieselbe Zeit des religiösen Enthusiasmus gebar auch die Sekte der Quäker, deren gebildetere Anhänger Barclay, Penn, Whitehead, Ellwood ihre Lehren in Schriften verteidigten. Berühmte Nonkonformismen waren ferner: Whiston, Doddridge, Law und die Methodisten Whitefield (gest. 1770) und Wesley (gest. 1791). Von den englischen Dissenters der neuern Zeit, die ein gelehrtes Streben an den Tag legten, nennen wir: Lardner, Farmer, Foster, Leland, Hall, Clarke; von den Schotten: Blair, Campbell, Alison, Thomson, den ausgezeichneten Prediger und Schriftsteller Chalmers, Brown, Wardlaw, Guthrie, Caird, Cumming, Candlish.

Geschichtsschreibung.

Die Geschichtschreibung wurde in England im Mittelalter vorwiegend von Geistlichen, meist Benediktinermönchen, gepflegt und in lateinischer Sprache abgefaßt. Eins der ältesten und wertvollsten Geschichtswerke ist die Geschichte der englischen Könige und der englischen Kirche bis 1142 von Wilhelm von Malmesbury. Der Streit zwischen Staat und Kirche in England im 12. Jahrh. rief auch Geschichtswerke hervor, so die von Gervasius von Canterbury und von Johannes von Salisbury, die auf kirchlichem Standpunkt stehen, während Benedikt von Peterborough, dessen Werk dem von Roger von Hoveden zu Grunde liegt, und namentlich Matthäus Paris (gestorben um 1259), der bedeutendste englische Geschichtschreiber des Mittelalters, in entschiedener Opposition zu Papsttum und Kirche stehen. Nur litterarischen und sagengeschichtlichen, nicht historischen Wert haben die Reimchroniken, besonders die des Meisters Wace aus Jersey, welcher nebst einer Geschichte der Normannen: "Roman de Rou" ("Romanze des Rollo"), um 1160 die an Fabeln reiche Chronik Geoffreys von Monmouth zu einem erzählenden Gedicht: "Le Brut d'Angleterre", verarbeitete, welches Layamon ins Sächsische übersetzte und Robert von Gloucester und R. Mannyng nachahmten. Zu Anfang des 14. Jahrh. entstanden solche Reimchroniken, die nur nackte Erzählungen meist von Schlachten und Festen ohne Urteil, Kunst und Phantasie brachten, in Masse. Auch Chroniken und Geschichtsbücher, z. B. in englischer Sprache, wurden gegen Ende des Mittelalters und in der Reformationszeit zahlreicher. Sie alle übertrifft Sir Walter Raleighs (gest. 1618) unvollendete Weltgeschichte.

Eigentliche Geschichtschreibung mit selbständiger Reflexion und Charakterzeichnung rief erst der große Kampf zwischen Volk und Krone im 17. Jahrh. ins Leben. Thomas May (gest. 1650) beschrieb zuerst diesen Bürgerkrieg, dann Whitelocke (gest. 1676), Bischof Gilbert Burnet (gest. 1715) und Lord Clarendon (gest. 1674). Auf diese durch eine interessante Zeit hervorgerufene Geschichtschreibung folgten wieder ein Rückschritt und eine Reihe bloßer Kompilatoren, wie L. Echard, Strype, Kennet, Rapin, ein französischer Protestant, u. a. Lord Bolingbroke (gest. 1751, "Letters on the study of history"), Nathaniel Hooke (gest. 1763) und C. Middleton (gest. 1750) brachten dann wieder einen großen Fortschritt in die englische Geschichtschreibung und waren die Vorläufer des großen Triumvirats der Vertreter der skeptisch-rationalistischen Aufklärungsperiode: David Hume (1711-76, "History of England"), mit dem die neue historische Schule beginnt, William Robertson (1721-93, "History of Scotland", "History of Charles V.", "History of America") und Edward Gibbon (1737-94, "History of the decline and fall of the Roman empire"), dessen Werk trotz mancher Schwächen und Irrtümer zu den größten Triumphen historischer Kunst gehört. Ihr Erfolg rief eine Legion mehr oder weniger guter Geschichtswerke ins Leben. Mit besonderer Vorliebe wandte sich die Geschichtsforschung auf die Heimat selbst und ihre innere Geschichte. Würdig beschloß W. Roscoe (gest. 1831) die Reihe der englischen Historiker des 18. Jahrh. durch seine mit Wärme und Liebe geschriebenen Biographien der Mediceer ("The life of Lorenzo de' Medici", 1795, und "The life and pontificate of Leo X.", 1803), welche insbesondere die damaligen Kulturzustände Italiens, das Wiederaufleben der schönen Künste und Wissenschaften dankenswert beleuchten. Vgl. Ebeling, Englands Geschichtschreiber (Berl. 1852).

Die Historiker des 19. Jahrh. zeichnen sich nicht nur durch größere Tiefe der Forschung und zum Teil durch kunstvolle Darstellung, sondern auch dadurch vorteilhaft aus, daß sie nach dem Vorgang Roscoes die Litteratur- und Kunstgeschichte gern mit der politischen verbinden, was ihren Werken einen höhern Grad von Anziehung und Belehrung verleiht. Um zunächst bei der vaterländischen Geschichte zu verweilen, so wurde jetzt die angelsächsische Geschichtsperiode, ein bisher ganz brach gelegenes Feld, mit besonderm Eifer bebaut. Der erste war Sharon Turner (1768-1847), dessen "History of the Anglosaxons" und "History of England during the middleages", obschon in einem etwas affektierten Stil abgefaßt, ihm einen ehrenvollen Namen erwarben. Ihm folgten Thom, Wright (gest. 1877) und Sir Francis Palgrave (gest. 1861), dieser mit den rühmlich bekannten Werken: "The rise and progress of the English commonwealth: Anglosaxon period" (1832) und "The