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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Eskimo

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Eskimo.

sich Innuit ("Menschen"). Auf Grönland bewohnen die E. die Westküste bis zum 80. ° nördl. Br., die Ostküste scheinen sie in jüngster Zeit fast ganz verlassen zu haben. Auch die Namollo oder Fischer-Tschuktschen (richtiger Tuski), welche die asiatische Küste von der Koliutschinbai im N. bis zum Anadyrgolf im S. bewohnen und erst vor 300 Jahren in diese Gegenden aus dem nordwestlichen Amerika eingewandert sein sollen, werden ihnen zugerechnet. Die Gesamtzahl dieser über ein ungeheures Gebiet verstreuten Völkerfamilie dürfte aber 30,000 nicht überschreiten, von denen (1874) 10,000 in Grönland, (1876) 3500 in Labrador und (1883) 16,303 in Alaska ermittelt wurden. In Alaska räumt aber die unbeschränkte Einfuhr schlechter Spirituosen in neuester Zeit furchtbar unter den Eingebornen auf. Man teilt die E. in zwei Hauptgruppen: östliche und westliche E., welche dialektisch verschiedene Sprachen reden und ihre ungefähre Grenze an der Mündung des Mackenzieflusses haben. Dort kommen alljährlich die östlichen E. mit den westlichen zusammen, um eiserne Gerätschaften und andre von den Russen eingehandelte Artikel gegen Seehundsfelle, Thran und Pelzwerk einzutauschen. Die E. (s. Tafel "Amerikanische Völker", Fig. 3 u. 4) unterscheiden sich in ihrer physischen Konstitution, die in allen maßgebenden Merkmalen mit der der nordasiatischen Völkerschaften völlig übereinstimmt (besonders was Haut und Haar betrifft), so bedeutend von den andern Ureinwohnern der Neuen Welt, daß es zweifelhaft erscheint, ob man sie, wie Gallatin und nach ihm Duponceau und Prichard gethan haben, zu der amerikanischen Rasse zählen kann. Morton betrachtet die E. und andre polare Völkerschaften nach dem Schädelbau als eine Mischlingsrasse, die er mit dem Namen der "Mongolamerikaner" bezeichnet. Friedr. Müller zählt die E. zu einer eignen schlichthaarigen Rasse, der der Arktiker oder Hyperboreer; Peschel neigt zu der Annahme, daß hier eine Wanderung aus Asien über die Beringsstraße nach Amerika stattgefunden habe. Für die letztere Annahme scheint noch zu sprechen, daß auch die Wortbildung in der Sprache der E. immer auf dem Weg der Suffigierung geschieht, ähnlich wie es bei der ural-altaischen Sprachengruppe der Fall ist, wenn schon deren wichtigstes Merkmal, die Lautharmonie, bei den E. fehlt.

Die E. sind nicht groß von Wuchs (meist unter, seltener über 1,6 m), dabei aber stark und geschmeidig. Ihr Schädel ist groß, von langer, schmaler, fast pyramidaler Form, das Gesicht breit und platt, die Nase klein und tief eingedrückt, das Haar schwarz, straff und hart, die Augen schief stehend und geschlitzt, der Bartwuchs wenig entwickelt, die Haut gelbbraun, fettig und unangenehm kalt beim Berühren; Hände und Füße sind auffallend klein. Im allgemeinen sind nach Beechey die westlichen E. ein schönerer Menschenschlag als die östlichen. Der Mann wird selten über 50 Jahre, das Weib, das nicht so angestrengt arbeitet, häufig 70-80 Jahre alt. Die wichtigste Beschäftigung der E. ist der Fang von Seehunden, nächstdem von Renntieren und Walfischen, die ihnen alles liefern, dessen sie an Nahrung, Kleidung und Gerätschaften bedürfen. Im Sommer, wo die Renntiere herdenweise wandern, fängt der E. seinen Bedarf mit Hilfe von Schlingen, Hürden und Fallgruben, Speeren und Pfeilen. Die Felle der jungen Tiere liefern ihm warme Kleider, welche die Frauen geschickt zu gerben und zu nähen verstehen. Das in der Sonne gedörrte oder in einer Eisgrube aufbewahrte Fleisch dient den E. zur Winternahrung; während der Jagd im Herbst nähren sie sich reichlich durch Gänse und andre Vögel. Pflanzenkost ist ihnen unbekannt, ausgenommen eine zufällig gefundene Wurzel, einige Beeren etc. oder die Nerucks, d. h. die halb verdauten Flechten aus den Eingeweiden des Renntiers. Nachdem das Renntier nach Süden gezogen, sammeln sich im September die Eskimofamilien an bestimmten Vorgebirgen zum Walfischfang, und dieser schafft ihnen, wenn er ergiebig ist, einen genußreichen Winter. Zugleich erhalten sie dadurch Brennmaterial für ihre irdenen Lampen. Streifen der Eingeweide vom Walfisch werden sauber aneinander genäht und liefern die Segel zu den Umiaks (Weiberbooten), die 10-12 Menschen, Weiber und Kinder, nebst Zelten und Hausgeräten fassen, und aus dem gleichen Material gefertigte, wasserdichte Hemden ziehen die Männer über, wenn sie in ihren Kajaks (kleinen Jagdbooten von 4 m Länge und 0,6 m Breite) sitzen. Beide Arten von Booten sind mit außerordentlichem Geschick konstruiert und werden von ihnen mittels eines Doppelruders ebenso geschickt geführt. Die Rippen und andre Knochen des Walfisches werden, wenn es an Treibholz mangelt, zu Schlittengestellen verarbeitet und dienen auch als Balken in den aus Torf gebauten Häusern. Letztere stehen halb in dem Boden und sind ganz mit Erde und Moos bedeckt; das Licht fällt durch ein Loch im Dach, das mit den durchsichtigen Därmen von Seetieren überspannt ist; der Eingang ist unter der Erde, lang und niedrig. In diesen Häusern (Igloäcks), welche durch Thranlampen erleuchtet und erwärmt werden, bringen sie die monatelange Winternacht zu. Doch kaum beginnen die Tage länger zu werden, so verlassen sie dieselben und ziehen mit ihren Familien ans Meer zur Seehundsjagd. Seehundsfleisch ist ihnen die liebste Speise und das Seehundsfell die beste Bedeckung für ihre Fahrzeuge. Die Felle schneiden sie auch kreisförmig in lange Streifen ohne Knoten, oder die Weiber fertigen wasserdichte, geräumige Stiefel und leichte Sommerjacken daraus. Während dieser Jagdzeit wohnen sie in geschickt gebauten Schneehütten, im Herbst, wenn der Schnee sich nicht mehr dazu eignet, in Eishütten. Das einzige Haustier der E. ist der Hund, eine wilde, wolfsähnliche Art, die zum Ziehen wie zur Jagd gebraucht wird und hauptsächlich von Fischabfällen lebt.

Die E. schließen ihre Ehen sehr früh und leben in Polygamie, doch haben sie selten mehr als zwei Frauen. Auch Polyandrie hat man bei den E. beobachtet. Hall, der lange unter ihnen weilte, nennt sie das gutherzigste Volk auf dem Erdboden. Ihr Temperament ist sanguinisch-phlegmatisch; Einfalt ohne Dummheit und Klugheit ohne Räsonnement sind die Grundzüge ihres psychischen Habitus. Die E. sind wahrheitsliebend, ehrlich und mutig; für ihren scharfen Verstand spricht die Thatsache, daß sie sehr rasch Domino- und Brettspiele (selbst das Schach) erlernten. Den ältern und neuern Seefahrern haben sie auf dem Schauplatz der nordwestlichen Durchfahrt wesentliche Dienste geleistet. Ein Lieblingsvergnügen der E. ist das Tabakrauchen, das sie in Gesellschaft ausüben. Sie leben in völliger Gleichheit ohne Regierung und eigentliche Häuptlinge. Sie verehren einen gütigen Schöpfer, Torngarsuk oder (nach Hall) Anguta genannt, dem eine schadenstiftende weibliche Gottheit gegenübersteht. Eine große Rolle spielen Zauberer und Geisterbeschwörer (Angekok) und die Hexenkünste alter Weiber. Sie glauben an eine Fortdauer nach dem Tode, daher sie die Leichen der Verstorbenen anständig kleiden und neben sie alle die Gerätschaften legen, deren sich dieselben im Leben bedienten, und an eine jenseitige Bestrafung der Verbrecher und der Lieblosen.