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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Francke

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Francke.

war auf die Erziehung zur Gottseligkeit gerichtet, die von ihm tief und warm, aber in dem namentlich in erziehlicher Hinsicht nicht unbedenklichen Sinn des Pietismus aufgefaßt ward. Daneben hatte er offenen Blick für die Bedürfnisse des praktischen Lebens. Comenius' Anregungen folgend, gab er den Realfächern, namentlich der Naturkunde und dem Deutschen, breitern Raum. Mit Locke betonte er Zeichnen, körperliche Übungen und sinnige Rekreationen durch Handarbeiten (Drechseln, Glasschleifen etc.). Überhaupt zeigte er Verständnis auch für andre Richtungen und andre Bestrebungen zum Wohl der Jugend. Die Mittel für seine großartigen Werke flossen dem gottvertrauenden Mann von allen Seiten zu. Im Lauf der Zeit half er mit einigen wohlberechneten geschäftlichen Unternehmen (Apotheke, Medikamentenexpedition, Buchhandlung) nach und verschmähte auch nicht Gaben, die als Bezahlung der von den Waisenkindern bedungenen Fürbitten eingingen. Im ganzen kann man trotz einzelner Schwächen die großartige, weit in sein Jahrhundert hinaus erkennbare Einwirkung Franckes auf das Schul- und Erziehungswesen nur als segensreich bezeichnen. Eine große Anzahl von Pädagogen seiner Schule fand namentlich in Preußen bereitwillige Aufnahme und fruchtbaren Boden. Unter diesen hat sich J. J. ^[Johann Julius] Hecker (s. d.) durch seine Thätigkeit auf den Gebieten der Volksschule, der Realschule, des Seminars berühmt gemacht. Aus Franckes zahlreichen Schriften ist noch heute namentlich lesenswert: "Öffentliches Zeugnis vom Werk, Wort und Dienst Gottes" (Halle 1702) und besonders der darin enthaltene "Kurze, einfältige Unterricht, wie die Kinder zur wahren Gottseligkeit und christlichen Klugheit anzuführen sind" (auch für sich herausgegeben, das. 1702 u. öfter). Vgl. "A. H. Franckes pädagogische Schriften nebst der Darstellung seines Lebens und seiner Stiftungen", herausgegeben von Kramer (2. Aufl., Langensalza 1885); Kramer, A. H. F. (Halle 1880-82, 2 Bde.); Stein (Nietschmann), A. H. F. (2. Aufl., das. 1886); Frick, Das Seminarium praeceptorum (das. 1883); Ritschl, Geschichte des Pietismus, Bd. 2 (Bonn 1884).

Die Franckeschen Stiftungen sind das bleibendste Vermächtnis A. H. Franckes und eine der ersten Zierden der Stadt Halle. Reich fundiert durch bedeutenden Grundbesitz und Kapitalvermögen sowie unterstützt durch Schul- und Pensionsgelder, Zuschüsse des Staats etc., umfassen dieselben: ein königliches evangelisches Pädagogium, 1695 gegründet, als Gymnasium Ostern 1873 eingegangen, aber als Parallelanstalt der lateinischen Schule mit den Klassen IV bis I seit Ostern 1879 wieder eingerichtet, eine lateinische evangelische Hauptschule, ein Realgymnasium, eine höhere Töchterschule mit (Privat-) Lehrerinnenseminar, eine Vorschule für die höhern Lehranstalten, eine Bürgerknabenschule, eine Bürgermädchenschule und eine Armen- und Freischule. Außer den genannten Schulen gehören zu den Stiftungen eine Waisen- und eine Pensionsanstalt (letztere für Schüler der lateinischen Schule und des Realgymnasiums), die großartige Cansteinsche Bibelanstalt, eine Mission, eine sehr bedeutende Buchdruckerei, eine große Buchhandlung mit bedeutendem Verlag, eine Apotheke etc. Sämtliche Schulen genießen eines weitgehenden Rufs und wurden 1885 von 3051 Schülern und Schülerinnen besucht. Dem Direktorat der Stiftungen stehen besondere Rechte zu, es beruft die Lehrer und stellt dieselben wie auch die übrigen Beamten an, verleiht Stipendien und Freistellen der Schule, der Waisen- und Pensionsanstalt und hat bei etwanigen Änderungen in Bezug auf die Organisation der Anstalt durch die zuständige Behörde (königliches Provinzialschulkollegium in Magdeburg) das Recht der Mitwirkung. Die Gebäulichkeiten bilden eine aus zwei Hauptstraßen bestehende, nach Süden von Gärten und großen freien Plätzen begrenzte kleine Stadt. Das Wappen oder Wahrzeichen der Stiftungen sind zwei zur Sonne steigende Adler mit den Worten aus Jesaias 40, 31. Am 5. Nov. 1829 wurde das Erzbild Franckes (modelliert von Rauch) enthüllt.

2) Wilhelm Franz Gottfried, bedeutender Lehrer und Schriftsteller auf dem Gebiet des römischen Rechts, geb. 26. Juli 1803 zu Lüneburg, studierte seit 1821 in Göttingen, wurde 1824 daselbst Doktor der Rechte, 1825 Privatdozent, 1828 außerordentlicher Professor und Beisitzer des Spruchkollegiums. 1831 ging er als ordentlicher Professor und Oberappellationsgerichtsrat nach Jena, von wo er 1844 nach Göttingen als Mühlenbruchs Nachfolger zurückkehrte. Er starb 12. April 1873. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: "Zivilistische Abhandlungen" (Götting. 1826); "Beiträge zur Erläuterung einzelner Rechtsmaterien" (das. 1828, Abt. 1); "Das Recht der Noterben und Pflichtteilsberechtigten" (das. 1831); "Exegetisch-dogmatischer Kommentar über den Pandektentitel de hereditatis petitione" (das. 1864).

3) Karl Philipp, Mitglied der provisorischen Regierung von Schleswig-Holstein, geb. 17. Jan. 1805 zu Schleswig, studierte in Göttingen, Heidelberg und Kiel die Rechte und arbeitete seit 1827 in der schleswig-holstein-lauenburgischen Kanzlei in Kopenhagen, ward 1835 in das Generalzollkammer- und Kommerzkollegium daselbst versetzt und hatte 1835-48 die Oberleitung der Zoll- und Handelsangelegenheiten der Herzogtümer. Friedrich VII. wollte ihn 1848 zum Minister von Holstein und Lauenburg ernennen, doch lehnte F. ab, da er in der Trennung Holsteins von Schleswig eine Verletzung der Rechte der Herzogtümer sah. Als 24. März 1848 die Inkorporation des Herzogtums Schleswig ausgesprochen worden war, legte F. alle seine Ämter nieder und verließ Kopenhagen, worauf ihn die provisorische Regierung der Herzogtümer zum Präsidenten der schleswigschen Regierung ernannte. Als Abgeordneter eines schleswigschen Wahldistrikts in die deutsche Nationalversammlung gewählt, stand er auf seiten der konstitutionellen und erbkaiserlichen Partei und wirkte als Bevollmächtigter der schleswig-holsteinischen Regierung bei der Zentralgewalt (seit November 1848) für die energische Führung des zweiten dänischen Feldzugs. Nach Auflösung des Parlaments nach Schleswig zurückgekehrt, übernahm er dort im August 1849 das Finanzdepartement und dazu im Juni 1850 noch das der auswärtigen Angelegenheiten, bis die Unterwerfung des Landes unter die Bundesexekution seiner öffentlichen Wirksamkeit 31. Jan. 1851 ein Ziel setzte. Von der dänischen Regierung proskribiert, mußte er sein Vaterland verlassen, erhielt aber schon im Oktober 1851 vom Herzog Ernst von Koburg-Gotha das Präsidium der Landesregierung in Koburg übertragen und ward nach der Regelung der koburg-gothaischen Angelegenheiten als Geheimer Staatsrat Vorstand der Abteilung für Koburg. 1863 nahm er seine provisorische Entlassung, um in das im November 1863 von dem Herzog Friedrich von Augustenburg gebildete Ministerium einzutreten, und blieb von da an der Vertraute und treue Ratgeber des Herzogs Friedrich. Nach dem Scheitern der augustenburgischen Ansprüche hielt er sich, von dem Herzog Friedrich pen-^[folgende Seite]