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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frankenreich

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Frankenreich (5.-6. Jahrhundert).

keit nach haben Chlodios Söhne das Gebiet des Vaters geteilt; sicher ist jedenfalls, daß es später mehrere Könige gab, die alle als Blutsverwandte galten, und von denen derjenige, der zu Tournai residierte, für den angesehensten galt. Dies war 457-481 Childerich I. (s. d.), dessen Grab man 1653 zu Tournai gefunden hat; darin den Siegelring des Königs, zahlreiche Münzen u. a. Childerich unterhielt gute Beziehungen zu den Römern und kämpfte als ihr Bundesgenosse gegen Westgoten und Sachsen; zur katholischen Kirche stand er bereits in freundlichem Verhältnis. In der Zeit nach den Eroberungen Chlodios, aber wahrscheinlich noch vor dem Tod Childerichs ist der älteste Text der Lex Salica (s. Salisches Gesetz) entstanden, des ersten uns erhaltenen deutschen Rechtsbuches und zugleich des einzigen, welches uns einen Blick in die altgermanische Verfassung vor den durch die Gründung des großen fränkischen Reichs hervorgerufenen Veränderungen thun läßt. Wir erkennen aus derselben, daß die freien Franken, die, in Dörfern zusammenlebend, vorzugsweise Ackerbau und Viehzucht trieben, noch den Kern der Bevölkerung bildeten, neben denen die hörigen Leten (Liten), die nicht sehr zahlreiche römische Bevölkerung und die unfreien Knechte aller politischen Rechte entbehrten. Der erbliche König, dessen seinem ganzen Geschlecht eigentümliches Abzeichen der Schmuck der lang herabwallenden, von keinem Schermesser berührten Locken ist, steht an der Spitze des Staats; aber er ist noch nicht der alleinige Träger der Souveränität, sondern bei wichtigen Dingen an die Zustimmung des Volkes, das alljährlich zum Märzfeld als Heerversammlung in Waffen zusammentritt, gebunden. Er ist noch nicht im Besitz der Gerichtshoheit, vielmehr wird die Leitung und der Vorsitz der Gerichte, die nach Hundertschaften zusammentreten, noch durch einen vom Volk für jede Hundertschaft erwählten Beamten, den Thunginus oder Zentenarius, ausgeübt; dagegen ist die exekutive Gewalt und auch die Vollstreckung der gerichtlichen Urteile bereits auf den König und seine Beamten, die Grafen, übergegangen. So ist das Recht der salischen Franken ein sehr merkwürdiges Dokument aus der Zeit der allmählichen Umwandlung der alten germanischen, auf der Souveränität des Volkes beruhenden Verfassung in das souveräne Königtum.

Mit Childerichs Sohn und Nachfolger Chlodwig (481-511, s. d.) tritt die Geschichte der Franken in ein neues Stadium. In drei gewaltigen Stößen breitete er seine Herrschaft weiter aus: 486 vernichtete er durch die Besiegung des Syagrius den letzten Rest der Römerherrschaft in Gallien und erweiterte dadurch sein Gebiet zuerst bis zur Seine und allmählich weiter südlich bis zur Loire, worauf er seinen Wohnsitz von Tournai nach Soissons verlegte. 496 besiegte er in einer am obern Rhein (nicht bei Zülpich) gelieferten Schlacht die Alemannen, unterwarf sie seiner Herrschaft und entriß ihnen das Maingebiet, das mit Franken bevölkert wurde, worauf er mit einem Teil seines Volkes zum Christentum katholischen Bekenntnisses übertrat, ein Schritt, der den Franken nicht nur die für die Ausbreitung ihrer Herrschaft sehr wichtige Unterstützung der römisch-katholischen Geistlichkeit gegen die arianischen Westgoten und Burgunder sicherte, sondern von noch viel größerer Bedeutung dadurch geworden ist, daß er zuerst die welthistorisch wichtige Verbindung zwischen dem fränkischen Königtum und der römischen Kirche anbahnte und ermöglichte. Im Bündnis mit den Burgundern unternahm er 507 einen Zug gegen die Westgoten, schlug deren König Alarich bei Voullon unweit Poitiers und erweiterte die Herrschaft der Franken bis zur Garonne. Schon vorher hatte er begonnen, durch List und Gewalt die noch von ihm unabhängigen Herrschaften der salischen Franken zu beseitigen; jetzt unterwarf er auch die Ripuarier, und als er 511 in Paris starb, waren alle Franken seinem Zepter untergeben. So war er aus dem König einer kleinen germanischen Völkerschaft zum Gebieter eines gewaltigen, größtenteils auf romanischem Boden begründeten Reichs geworden. Aber eben durch diese Eroberungen war auch die Stellung des Königtums bei den Franken selbst eine wesentlich andre geworden. Seinen römischen Unterthanen gegenüber, die er politisch den Franken gleichstellte, übte der König von vornherein weit bedeutendere Rechte aus, als sie bis dahin einem germanischen König seinem Volke gegenüber zugestanden hatten; dieser Umstand einerseits und anderseits die Thatsache, daß die gemachten Eroberungen nicht zunächst von dem Volk, sondern von dem König der Franken ausgegangen waren und als die seinigen erschienen, trug dazu bei, auch den Franken gegenüber dem Königtum zur vollen Souveränität zu verhelfen, was seinen höchsten Ausdruck darin findet, daß der vom Volk erwählte Richter der Lex Salica in der Verfassung des neuen fränkischen Reichs verschwindet und die gesamte richterliche Gewalt auf den König und die von ihm ernannten Beamten, die Grafen, übergeht.

Da nach fränkischem Erbrecht das Königreich wie eine Privathinterlassenschaft behandelt wurde, so teilten Chlodwigs Söhne sich in dasselbe; Theuderich I. (511-533) nahm seine Residenz zu Metz, Chlodomer (511-524) zu Orléans, Childebert I. (511-558) zu Paris und Chlotar I. (511-561) zu Soissons. Die Erben, von denen nach Chlodomers Tod Childebert und Chlotar das Reich von Orléans teilten, setzten die Eroberungspolitik des Vaters erfolgreich fort. Theuderich wandte sich nach Osten, schlug mit Hilfe der Sachsen den Thüringerkönig Hermanfried an der Unstrut und eroberte das Reich desselben, von dem er nur den nördlichsten Strich zwischen Bode und Unstrut den Sachsen überließ (531). Währenddessen bekriegten Chlotar und Childebert die Burgunder, schlugen sie bei Autun (532) und eroberten ihr Reich, das 534 zwischen den Siegern und Theudebert I. (534-548), dem Sohn und Erben Theuderichs I., der sich mit Hilfe seiner Großen gegen die Nachstellungen seiner Oheime glücklich behauptete, geteilt wurde. Darauf mischten sich die Franken in die Kriege zwischen den Ostgoten und dem oströmischen Kaiser Justinian ein; 536 trat ihnen der Gotenkönig Vitiges die Provence und einen Teil Rätiens ab, während Theudeberts Versuche, sich in Italien festzusetzen, zwar zu einer zeitweisen Okkupation der Landschaften Ligurien und Venetien, aber doch zu keiner dauernden Erwerbung derselben führten, da nach der Vernichtung eines fränkisch-alemannischen Heers durch Narses die fränkischen Eroberungen in Italien wieder verloren gingen. Als 555 mit Theudebald, dem Sohn des Theudebert, das Haus des Theuderich ausgestorben war, trat Chlotar in diese Herrschaft ein. Derselbe beerbte 558 auch den kinderlosen Childebert und vereinigte so noch einmal die ganze fränkische Monarchie. Schon in dieser Zeit müssen auch die Bayern mit den Franken in Berührung getreten sein und sich durch ein Bündnis nach außen hin deren Schutz erworben und im Innern durch Anerkennung fränkischer Oberhoheit ihre alte Verfassung erhalten haben. Friesen und